Rosen auf dem Weg

Am 29. Oktober will die NPD in Göttingen aufmarschieren. Die Stadt versucht erst gar nicht, die Demonstration zu verbieten. von jan langehein

Die Stadt Göttingen sieht keine Möglichkeit, ein Verbot der für den 29. Oktober angekündigten Demonstration der NPD rechtlich durchzusetzen. Die geplante Veranstaltung soll aber nur unter scharfen Auflagen stattfinden können.« Diese lapidare Ankündigung der Stadtverwaltung Göttingen vom 26. September sorgte in der Stadt für Entrüstung über fast alle politischen Grenzen hinweg.

Zwar ist es bereits der sechste Versuch der NPD, in Göttingen zu demonstrieren, und zweimal konnte sie ihr Ansinnen vor den Gerichten auch mit einer Klage durchsetzen; dass die Stadt diesmal aber nicht einmal versucht, die Demonstration zu verhindern, ist ein Novum. Zwar könnte der Rechtsdezernent Wolfgang Meyer (SPD) durchaus Recht haben, wenn er nicht an den Erfolg einer Verbotsverfügung glaubt, weil die »NPD eindeutig dazu gelernt hat«, was ihre Demonstrationsaufrufe angehe; dass die Stadt deshalb aber auf das politische Symbol eines Verbots verzichtet, ist manchen unverständlich.

Von den Bundes- und Landtagsabgeordneten der Region über den DGB bis hin zu verschiedenen Antifagruppen haben mittlerweile viele ihre Empörung über die Tatenlosigkeit der Verantwortlichen geäußert. Die Antifaschistische Linke International (Ali), ein Spaltprodukt der aufgelösten Autonomen Antifa (M), warf der Stadtverwaltung vor, sie habe der NPD »Rosen auf den Weg gestreut«. In einer Erklärung heißt es: »Die für den 29. Oktober geplante ›polizeilich national befreite Zone‹ umfasst Gegenden, in denen sich Neonazis ansonsten nicht sicher bewegen können.«

Für besonderen Unmut sorgt die Tatsache, dass die Neonazis unter dem Motto »Sozialabbau, Rentenklau, Korruption – nicht mit uns!« durch das von zahlreichen linken und ausländischen Studierenden bewohnte Universitätsviertel und das noble Ostviertel ziehen dürfen, während die Route der Gegendemonstration auf wenige hundert Meter zwischen dem Hauptbahnhof und dem Platz der Synagoge beschränkt bleibt. Die NPD werde ihr Glück kaum fassen können, kommentierte die Ali.

Bis zur Erklärung der Stadt waren die Vorbereitungen der Gegner der Neonazis routiniert wie in den vergangenen Jahren abgelaufen. Der DGB unter seinem neuen Regionsvorsitzenden Martin Gertenbach hatte zu einem Treffen eingeladen, zirka 80 Gruppen, Organisationen und Einzelpersonen folgten bislang dem Aufruf. In den Verhandlungen kam es auch diesmal zu den gewohnten Streitigkeiten um den Text des Aufrufes, der zum Rückzug der örtlichen CDU und des rechtsliberalen Asta führte. Weil die Mehrheit des Bündnisses auf einer Verurteilung der deutschen Abschiebepolitik bestand und sie als »Wasser auf die Mühlen der NPD« bezeichnet haben wollte, unterstellten beide Organisationen dem Bündnis politische Einseitigkeit und nahmen nicht mehr daran teil.

Alle anderen Gruppen haben sich darauf eingestellt, am 29. Oktober zu demonstrieren, abgeschottet von der NPD, die in den vergangenen Jahren immer in einem abgeschirmten Teil der Stadt hinter breiten Bahnanlagen aufmarschieren konnte. Linksradikale Antifas haben sich deshalb in den vergangenen Jahren auch nicht mehr an den Bündnisdemonstrationen beteiligt, sondern versucht, die städtebauliche Barriere der Bahnanlagen in Kleingruppen zu überwinden und zur NPD zu gelangen.

Vielleicht haben sich die Chancen auf einen wirksamen Widerstand gegen die Demonstration der NPD sogar verbessert. Die Route des Aufmarsches verläuft diesmal mitten durch die Stadt, passiert viele unübersichtliche Seitenstraßen und nähert sich dem Auftaktort der Gegendemonstration bis auf wenige hundert Meter. Der Polizei wird es also um einiges schwerer fallen als in den vergangenen Jahren, beide Demonstrationen voneinander zu trennen.

Unklar ist allerdings, ob sie das überhaupt will. Derzeit gibt es zwei Szenarien, die am 29. Oktober möglich erscheinen: ein politisch und ein juristisch motiviertes. Das politisch motivierte, idealtypisch vorgeführt von der Berliner Polizei am 8. Mai dieses Jahres, liefe auf ein Verbot des Aufmarsches hinaus. Die Göttinger Polizei könnte die Gegendemonstration bis zu einem Kreuzungspunkt mit der NPD-Route vorrücken lassen, um den Neonazis dann mitzuteilen, dass ihre Sicherheit nicht garantiert und die Demonstration deshalb abzubrechen sei. Die Stadt könnte sich anschließend als Hort der Weltoffenheit und Zivilcourage präsentieren, weil ihre Bürger ganz gewaltfrei einen Neonaziaufmarsch verhindert hätten.

Vorbild für das juristisch motivierte Vorgehen wäre hingegen die Demonstration der NPD am 18. Juni in Braunschweig, wo die Polizei mehrere tausend Gegendemonstranten mit Wasserwerfern und unter dem Einsatz von Schlagstöcken gewaltsam von der Straße vertrieb, um rund 200 Anhängern der NPD ihre genehmigte Demonstration zu ermöglichen.

In Göttingen wird derzeit heftig diskutiert, auf welches Szenario man sich vorzubereiten habe. Die zivilgesellschaftliche Variante wäre dem politischen Klima in Göttingen angemessener, da sich die Stadt gerne als liberal, weltoffen und »bunt statt braun« stilisiert. Aber auch ein harter Polizeieinsatz zugunsten der NPD ist nicht auszuschließen. In Fragen der Polizeistrategie hat das niedersächsische Innenministerium mitzureden. Innenminister Uwe Schünemann (CDU) hat bei vergangenen Aufmärschen meist darauf bestanden, diese auch durchzusetzen, wenn sie gerichtlich genehmigt waren.

In der Stadt ist es derweil unmöglich geworden, an der Flut von Plakaten und Flugblättern vorbeizukommen, die das bürgerliche Bündnis und die unterschiedlichen Antifagruppen aufhängen bzw. verteilen. Die Ali veranstaltet Vorbereitungstreffen in mehreren deutschen Großstädten, und die Antifa Aktion und Kritik, ebenfalls ein Spaltprodukt der Antifa (M), hat eine Demonstration für den Vorabend des Aufmarsches angekündigt. Unter dem Motto »No Love for the Nation« soll hier weniger gegen die NPD demonstriert werden als gegen eine Zivilgesellschaft, die das Bekenntnis gegen die Neonazis zu einem festen Bestandteil der nationalen Identität gemacht habe.