Wieder mauselebendig

Wie der neue Asterix-Band den Mythos durch Rückbesinnung erneuert und nur ich unter Einsatz legaler Drogen und knabenhaften Ansatzes den Durchblick wahre. von naatz (der)

Ich war ein Knabe, und im Gemischtwarenladen meiner Frau Großmutter (Gott hab’ sie selig) fand sich ein neuartiges Genussmittel, die damals in Deutschland vollkommen unbekannte Schokopudding-mit-Sahnehäubchen-Mahlzeit X (Name des Produktes aus Schleichwerbungsgründen unkenntlich gemacht).

Dazu begab es sich, dass ich gerade zuvor beim Schreibwarenhändler meines Vertrauens den mir ebenso unbekannten Großen Asterix-Band II, den ich für Ausgabe XI hielt, welcher jedoch eigentlich Band VI war, vorgefunden hatte und hernach käuflich erstand. Den Comic eingehend zu studieren und dazu Mahlzeit X zu verspeisen, schien mir unerlässlich. Schließlich fraß der Dicke im Comic stets Tiere aus Fleisch, und da mir der Verzehr von Sonntagsbraten beim Lesen untersagt war, beschloss ich, dieses eine Mal den Pudding während der Lektüre zu mir zu nehmen. Das Essen des Schokodings und die Asterix-Lektüre schienen miteinander verzahnt und verbanden sich zu einem intensiven Erlebnis. Neulich nahm ich den neuen Asterix-Band XXXIII zur Hand, und wie der Zufall es wollte, schmierte ich die beim Nachttürken erstandene rechteckige Schokolade auf die Seiten, da ich mit klammen Fingern und heißen Wangen Seite um Seite umblätterte und las. Die Geschichte wiederholt sich, dachte ich und war froh, dass Herr Uderzo dieser Tradition diesmal Paroli geboten und eine ungewöhnliche Asterix-Episode zustande gebracht hatte, die vielen schrecklichen Menschen aufstieß, da sie dem Neuen skeptisch gegenüberstehen und wie die Achtundsechziger Neuerungen ganz schlimm finden, weil das Neue, das sie gemacht haben, ihnen stets neu genug erscheint, um nicht erneuert zu werden. Es waren diese verwirrten Gestalten und ihre Sachwalter, die zwischen 1968 und 2005 nicht unterscheiden können, weil ja irgendwie alle Nazis waren und sind, die den Text der Nationalhyme auswendig können und Tiere aus Fleisch essen. Außer irdischen Genüssen verachten sie Traditionen per se, und diejenigen unter ihnen, die anno ’68 für die französische Jungenspostille Pilote arbeiteten und deren Chefredakteur René Goscinny hieß, fanden, den Alten müsse man aus dem Weg räumen, obschon er ihnen erst ermöglichte, ihre das Hirn aufschreien lassenden (Mental Hurlant) Comics zu veröffentlichen. Dieser Goscinny allerdings hatte mit Herrn Uderzo Asterix erschaffen, und neidvoll schaute das Hippiepack, dessen Faulheit so groß war, dass es nur zwei Seiten pro Woche anfertigte, auf den Chefredakteur, und es wollte Chefredakteur werden anstelle des Chefredakteurs und latürnich unter Benutzung von Drogen den Comic neu erfinden, weshalb heutzutage die Comicdiplomarbeit als Königsdisziplin des Genres gilt, da die Altachtundsechziger heute Professoren für angewandtes Comicverständnis sind und sich wundern, weshalb kein neuer moderner Asterix entsteht. Das widerspricht sich latürnich konkret, weil es die faulen Studenten von damals waren, die aus Asterix erst das Phänomen machten, das es heute ist, da sie unentwegt Sprüchlein aus diesem zitierten und glaubten, im Lateinischen firm zu sein. Jedenfalls war es teaudechique, Asterix zu lesen, und Herr Uderzo und Herr Goscinny verdienten Milliarden, und es freut mich ganz besonders, dass das Studentenpack offenbar nie bemerkt hat, dass es die Vertreter der verachteten Tradition zu Bestsellerautoren machte.

Um Traditionen geht es im neuen Asterix-Band »Gallien in Gefahr«, und gerade der Bruch mit der bekannten Asterix-Formel, der keiner ist, verwirrt diese Hippietypen, die all die gutbezahlten Jobs haben und nicht arbeiten wollen. Deshalb sind viele von ihnen in der Politik untergekommen, und junge Leute, die auch faul sind, finden sie extrem gut und wollen auch gut bezahlt werden und nicht arbeiten.

»Gallien in Gefahr« ist endlich der frische Ansatz, den alle Welt von Herrn Uderzo fordert. Erstmals versucht er nicht, die Linie des verstorbenen Herrn Goscinny verkrampft zu verfolgen, sondern probiert etwas auf den ersten Blick völlig anderes. Das funktioniert nicht unbedingt perfekt, doch Uderzo dokumentiert mit seiner neuen Herangehensweise teuflisch raffiniert seine ureigene Entwicklung als Zeichner, indem er die traditionellsten Figuren (Hallo, Hippies!) des Comic (US-amerikanische Superhelden, das Mäuseimperium Walt Disneys), deren Schöpfer allesamt Vorbilder für ihn waren, in die Story einbaut. Das scheint seltsam, aber die Wahrheit, so weiß Uderzo, ist da draußen, und sie heißt Manga, und gewitzt verschmitzt er sich daran, dieses obskure Massenphänomen (sic!) auf den Arm zu nehmen.

Gallien wird von verfeindeten Weltraummännlein heimgesucht, die Dorfbewohner verbünden sich mit dem E.T. Tuun (in diesem Asterix-Band hat unser Zeichner eine Maus versteckt! Viel Spaß beim Suchen!). Und japanische Kampfroboter (»Gundams«) und rasselnde Raketenschiffe im Sixties-U4000-Design können der geballten Macht des Zaubertranks und des Verbündeten aus einer anderen Disneyworld nichts anhaben.

Man wirft Uderzo vor, er habe diesmal nicht die richtige Nase gehabt. Tuun fehlt diese ebenso, doch gerade dieser Vorwurf hakt, da der Zeichner Asterix 1959 als muskulösen Superhelden entwarf, der seiner Heldenfigur Belloy ähnelte. Miraculix, der Druide, schaut ohnehin aus wie der Zauberer Shazam aus den amerikanischen Whiz-Comics, der für Captain Marvels (ein im Zuge der Supermania der vierziger Jahre entstandener Gegenentwurf des Zeichners C. C. Beck) Superkräfte verantwortlich ist.

Vor allem Uderzos weicher, eleganter Zeichenstil war nie an die klassischen frankobelgischen Schulen angelehnt. Weder die Ligne Claire (Hergé) noch die Ecole Marcinelle (u.a. Franquin) haben ihn beeinflusst, und er machte nie einen Hehl aus seiner Bewunderung für Walt Disney, der in seinem Kühlschrank für tiefgefrorene amerikanische Helden die Cryogenik alltagstauglich machte. Zum Glück hat Uderzo sich – und da übertrifft er Disney – aus der Kältestarre der letzten Asterix-Abenteuer befreit und poliert den Hippiehirnen, die sich aus ihrem starren Denken auch nicht mittels übermäßigen Einsatzes bewusstseinserweichender Drogen zu befreien vermögen, die Fusselfresse. Nicht zuletzt durch seinen ersten zu Papier gebrachten Luftkampf, seit er die Fliegerserie »Tanguy und Laverdure« beendete. Zudem nimmt er Bezug auf Lofficiers/Giffens unlizenzierte Asterix-Persiflage aus Action-Comics No. 579 (DC, 1986), in welcher beide Superman gegen die Gallier antreten ließen. Die in »Gallien in Gefahr« auftauchenden Supermen haben kleine Hirne, und wer weiß, dass das Kleinhirn nicht unwichtig ist, atmet die frische Brise der Erkenntnis und gratuliert Uderzo zu der Bosheit, Asterix ausgerechnet durch Rückbesinnung auf Traditionen zu etwas völlig Neuem zu machen. Klar, das finden viele ganz schlimm, weil das ja nicht so ist wie noch zu Goscinnys Zeiten, aber dieser ist (schluchz) mausetot, Asterix hingegen neuerdings mauselebendig.

Ich habe mit Freude die klebrigen Schokoladeflecken auf meiner Ausgabe vorgefunden, denn ich bin wie ein törichtes Kind an die Lektüre herangetreten und wollte mich überraschen lassen, und das gelang mir auch, auch wenn ich Mahlzeit X nicht zur Hand hatte und das Sahnehäubchen, das Goscinny Asterix stets beizufügen wusste, letztlich fehlte.

Immerhin war die rechteckige Schokolade, die in meinen heißen Jungensfingern (nicht im Mund) schmolz, mit Alkohol durchtränkt, und da es sich bei diesem teuflischen Derivat um eine legale Droge handelt, gerate ich nicht in die Gefahr, das Opfer einer plötzlich eintretenden Bewusstseinserweiterung zu werden, die mir vorgaukelt, man schreibe noch immer das Jahr 1968 und Dinge dürften sich seit dieser Zeit nicht verändern. Außerdem habe ich X Tabakszigaretten nach der Lektüre verschmaucht. In Maßen genossen, kommen einem dabei seltsame Ideen. Herr Uderzo und Herr Goscinny wissen, wovon ich spreche.

Doch du, Fusselhippiehirn, der du den Comic neu erfinden willst, scheiterst kleinlich und grotesk an deinen widersprüchlichen Forderungen, tappst munter in die Falle, die Herr Uderzo dir stellte, indem er deinen Hass auf Traditionen und dein gleichzeitiges Festhalten daran ad absurdum führt, und wirst niemals Chef im Ring werden anstelle des Chefs im Ring. Du jubelst dem Stillstand entgegen, verdammst die neue Freiheit, die Herr Uderzo sich gönnt, neidest ihm den Ferrari (Vroooaaar), den er sich von seinem Auskommen zulegt, und gehst dem Diktator Volkes Stimme auf den Leim. Doch auch für dich hat Uderzo im neuen Asterix-Band eine kleine Reminiszenz eingebaut – den Duce. Ein Typ für Großmütter. Tschuldige, Omi.

Albert Uderzo: Asterix, Band XXXIII, Gallien in Gefahr, Ehapa Verlag, 48 S., 5 Euro