Allein machen sie dich ein

Der neoliberalen Hegemonie kann nur mit einer Bewegung geantwortet werden, die vielschichtig ist und über das Individuelle hinausreicht. von thomas barfuss

Hegemonie ist immer umstritten. Es wäre ein Irrtum, sich darunter bloß eine stabile und vollständige Dominanz einer Gruppe über die ganze Gesellschaft vorzustellen, ebenso wie es falsch wäre, darin nur einen Trick oder eine Verschwörung der Reichen gegen die Armen zu sehen. Die neoliberale Hegemonie beruht heute hauptsächlich auf der Schwäche ihrer Gegenkräfte, die in eine lähmende Defensivhaltung gedrängt werden.

Für Unternehmer und Großaktionäre fällt die Durchsetzung des technischen und organisatorischen Fortschritts mit den eigenen Interessen zusammen. Dabei tritt der »Markt« gemäß neoliberalen Vordenkern wie F.A. Hayek nicht bloß als Koordinationsmedium auf, sondern als Garant für anonyme Unterwerfung und Fragmentierung des Bewusstseins. Er erlaubt es, die Interessen gleichzeitig für eine kleine Gruppe zu wahren und sie als allgemeine auftreten zu lassen. Für die Gegenkräfte hingegen bedeutet diese anonymisierte Einheit von Profit und produktiver Rationalität lähmende Passivität.

Nehmen wir ein Beispiel: Ein Betrieb wird restrukturiert, neue technische Mittel kommen zum Einsatz, Routinearbeit wird in ein Billiglohnland verschoben. Sofort entfaltet sich das lähmende Potenzial der Widersprüche: Die national organisierte Arbeiterschaft versucht, mit dem Management eine Lösung auszuhandeln gegen die Arbeiterschaft des Billiglohnlandes; Angestellte, von den Gewerkschaften unterstützt, kämpfen um die Erhaltung ihrer Jobs gegen die geplanten Rationalisierungsmaßnahmen (denn außer Brot gesetzt sind sie auch dann, wenn ihre Arbeit gesellschaftlich gesehen tatsächlich durch Rationalisierung eingespart werden könnte); dazu kommt die Herausforderung, Missmanagement oder kurzfristige Bereicherung durch Spekulation etc. ausfindig zu machen und zu bekämpfen usw.

Kurz: Was sich auftut, ist ein lähmendes und defensives Durcheinander von verschiedenen Taktiken und Maßnahmen. Man kann sich nun fragen: Wenn dies ein Beispiel für neoliberale Hegemonie ist, woran würde man dann die Überwindung dieser Hegemonie erkennen? Zum Beispiel daran, dass die Rendite nicht mehr der Endzweck des technischen und organisatorischen Fortschritts wäre, sondern allenfalls ein Mittel, das Aufschluss gibt über die Bedingungen seiner Verwirklichung; daran also, dass es die Menschen im Produktionsprozess und in ihren jeweiligen gesellschaftlichen Zusammenhängen sind, die diesen Fortschritt vorantreiben, um sich ihr Leben besser einrichten zu können.

Dazu müssen sie allerdings erst Schritt für Schritt all die Spaltungen, Probleme und Widersprüche in eine Form bringen, die sie nicht mehr lähmt. Diese Form wird gesellschaftlich verallgemeinerbar sein müssen, nicht bloß individuell. Es ist ja heute so, dass Frauen oder Angehörige von Minderheiten weiterhin strukturell diskriminiert werden, zugleich ist es ihnen aber als Individuen möglich, in den Kreis jener aufzusteigen, deren finanzielle Interessen mit der Rationalisierung zusammenfallen. Auch der Unersättlichkeit einzelner, die die Forderung nach Ressourcen für alle und die ökologischen Grenzen ignorieren, muss wirksam begegnet werden. Es wird also nötig sein, sich der neoliberalen Hegemonie an vielen verschiedenen Orten zu stellen. Dies kann nur durch eine vielgestaltige Bewegung geschehen.

Hier kommt nun die zweite Gefahr, die ich eingangs erwähnt habe: Bewegungen sind oft kurzlebig und von raschen Erfolgen abhängig. Trotzdem wäre es falsch, deshalb der Versuchung nachzugeben und die neoliberale Hegemonie bloß als eine Verschwörung darzustellen, die sich mit einem »Coup«, einem schnellen Erfolg umwenden ließe. Die Aufgabe, die Menschen mit ihren Bedürfnissen an die Spitze des technischen und gesellschaftlichen Gestaltungsprozesses zu stellen, ist langwierig und schwierig. Das organisatorische Problem, das in der pluralen Bewegungsform, die heute als einzige möglich und erfolgversprechend ist, bisher nicht gelöst werden konnte, ist deshalb das folgende: Wie wird es möglich, überall in der Bewegung Leute zu schaffen, die Niederlagen und Durststrecken überdauern können, Menschen, die Geduld haben und sich nicht beim Ausbleiben rascher Erfolge abwenden? Denn das Kurzfristige und Fragmentarische, das dauernde Zersplittern des Bewusstseins bildet die Grundlage der neoliberalen Macht.