Das Arbeiterparadies ist nah

Die australische Regierung will die Arbeitnehmerrechte beschneiden und verkauft dies als Fortschritt im Sinne der Werktätigen. von gilles bouché

Um der Bevölkerung ihre geplante Arbeitsrechtsreform schmackhaft zu machen, ist der liberalen Regierung in Australien nichts zu teuer. 20 Millionen Euro hat sie bereits für Werbung ausgegeben. Mitte Oktober erschien eine 68seitige Hochglanzbroschüre, grinsende, gut gelaunte Arbeiter loben zudem seit Wochen in Fernsehspots die Vorzüge der Reform mit dem euphemistischen Titel »WorkChoices«. Dahinter verbirgt sich allerdings nichts anderes als ein Angriff auf grundlegende Arbeitnehmerrechte.

Bisher vermittelt eine formal neutrale Instanz, die Australian Industrial Relations Commission (AIRC), zwischen Arbeitern und Unternehmern. Über die Kommission werden verbindliche Standards festgelegt, die faire Löhne und Arbeitsbedingungen gewährleisten sollen. Zudem müssen sich die zwei Parteien mit Vertretern der AIRC treffen, um die kollektiven Arbeitsverträge auszuhandeln. Wenn die Reform durchgesetzt wird, soll die AIRC ihre Schlichterfunktion gänzlich verlieren.

Bereits 1996 wurden die Befugnisse der AIRC durch den Workplace Agreements Act beschnitten. Seitdem ist es den Unternehmern möglich, individuelle Verträge – so genannte Australian Workplace Agreements (AWA) – mit den Arbeitnehmern abzuschließen, ohne die AIRC zu konsultieren. Allerdings hat die AIRC das Recht, individuelle Verträge zu annullieren, wenn sich herausstellt, dass Arbeitnehmer benachteiligt werden. Diese no disadvantage tests haben jedoch nicht verhindern können, dass Beschäftigte, die AWA-Verträge unterschreiben, im Durchschnitt zwei Prozent – Frauen sogar elf Prozent – weniger verdienen als ihre Kollegen. Im Zuge der Reform soll die Kontrolle ganz abgeschafft werden.

Zwar betont Arbeitsminister Kevin Andrews, dass auch zukünftig Arbeitnehmer die freie Wahl zwischen individuellen und kollektiven Verträgen haben werden. Angesichts der realen Verhältnisse auf dem Arbeitsmarkt wirken solche Beschwichtigungsversuche jedoch wie blanker Hohn. Welcher Beschäftigte, mit Ausnahme einiger Spitzenmanager vielleicht, kann es sich schon leisten, mit Personalchefs um Urlaubstage zu feilschen?

Gewerkschaftsvertreter versetzt besonders in Rage, dass ihnen der Zugang zu Betrieben, in denen ausschließlich an AWA gebundene Arbeitnehmer beschäftigt sind, untersagt werden soll. Auch in den anderen Unternehmen soll es Gewerkschaftsvertretern erschwert werden, die Einhaltung der Arbeitnehmerrechte zu überwachen.

Auch der Kündigungsschutz steht teilweise zur Disposition. Im australischen Arbeitsrecht wird unterschieden zwischen gesetzeswidrigen und unfairen Entlassungen. Die Vorschriften gegen unfaire Kündigungen sollen nicht mehr in Betrieben greifen, in denen weniger als 100 Personen beschäftigt sind. Personen, deren Vertrag nur über zwölf Monate läuft, sollen zudem nicht mehr als Beschäftigte gezählt werden. Zudem sollen Entlassungen, die aufgrund von Rationalisierungsmaßnahmen vorgenommen werden, nicht mehr als unfair gelten.

Die Regierung verspricht sich von der Flexibilisierung der Arbeitsverhältnisse eine Steigerung der Produktivität. Davon erhofft man sich eine stärkere Nachfrage nach Arbeitskräften. Und wenn sich die Unternehmer dann um die Arbeitskräfte reißen, dann werden auch deren Löhne steigen, so die Milchmädchenrechnung der Regierung. Premierminister John Howard will die Reform noch vor Weihnachten zur Abstimmung bringen.

Die Gewerkschaften und die von der Labor Party angeführte Opposition haben deswegen zu Protesten aufgerufen. Am 15. November sollen Demonstrationen im ganzen Land stattfinden. Die Organisatoren sprechen bereits von den »größten Demonstrationen in der Geschichte Australiens«. Vertreter der anglikanischen Kirche unterstützen die Proteste ebenfalls; sie sehen durch die deregulierten Arbeitszeiten die Familie in Gefahr.