Minioritäre Mehrheit

Al-Quds-Tag in Berlin von ivo bozic
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Israel von der Landkarte radieren! Mit solchen Äußerungen löste der iranische Präsident Ahmadinedschad internationale Proteste und wütende Reaktionen aus. Auch in Deutschland: Die ARD-Tagesschau berichtete immerhin von »indirekten« Drohungen gegen Israel, und die Bundesregierung erklärte, die Äußerungen seien »völlig inakzeptabel«.

Aber auch die aufgebrachte Zivilgesellschaft intervenierte. In Berlin versammelte sich fast die gesamte Bandbreite der bundesrepublikanischen Gesellschaft zum Protest. Von linksradikalen Antifas bis zur FDP, von der Linkspartei über die Grünen bis zum DGB erschienen alle zur Gegenkundgebung, als am Samstag iranische Islamisten in Berlin zum so genannten al-Quds-Tag aufmarschierten, um den Äußerungen Ahmadinedschads Nachdruck zu verleihen. Also keine Sorge, in Deutschland ist man sensibilisiert, wenn Antisemiten Israel auslöschen wollen!

Wie schön, könnte man meinen. Doch der Schein trügt. Es waren nur ein paar hundert Menschen, die sich entlang des Islamistenaufmarsches und später vor der iranischen Botschaft zum Protest versammelten, darunter viele Mitglieder der jüdischen Gemeinde. Zwar waren teils prominente Vertreter der erwähnten gesellschaftlichen Gruppen zugegen, doch weder Cem Özdemir noch Petra Pau, Dirk Niebel oder Michael Sommer sprechen im Namen ihrer Basis, wenn sie für Israel das Wort ergreifen. Allein die Vorstellung, an einer Kundgebung teilzunehmen, bei der einem eine israelische Fahne ums Haupt flattern könnte, ist dem größten Teil dieser gesellschaftlichen Gruppen Grund genug, einer solchen Veranstaltung fernzubleiben.

Mit einem mangelnden Interesse an der zugegebenermaßen eher bedeutungslosen, sektiererischen Khomeini-Bande, die in Deutschland den al-Quds-Tag begeht, kann das nicht erklärt werden. Denn diesmal gab es mit der radikalen antiisraelischen Hetzrede des iranischen Präsidenten einen handfesten Grund, sich deutlich gegen die Angriffe auf das Existenzrecht Israels zu stellen – einen Grund und gerade in Deutschland auch eine besondere Verantwortung. Und schließlich hatten sämtliche Berliner Tageszeitungen auf die Gegenkundgebung hingewiesen.

Doch letztlich kamen nicht viel mehr als jene 200 Menschen, die zuvor den Aufruf gegen die al-Quds-Demo unterschrieben hatten. Es ist überdeutlich: Der Kreis derjenigen, die sich in diesem Land öffentlich für Israel und gegen den als Antizionismus daherkommenden Antisemitismus aussprechen, ist erschreckend klein. Dass sich auch die Linke nicht überwinden konnte, beziehungsweise dass sie die vom Iran ausgehende Gefahr nicht erkennt, ist ebenso bedauerlich. Hatten im vorigen Jahr noch Antifa-Gruppen die Gegenkundgebung unterstützt, waren die linken Initiatoren diesmal allein auf das bürgerliche Bündnis angewiesen. Wenn man dann noch von der Handvoll Antifas, die erschienen waren, hört, man fühle sich unwohl angesichts der Anwesenheit von Leuten aus der FDP oder der Linkspartei, ist das schon beinahe zynisch.

Das Argument, dass linkes Engagement überflüssig wird, wenn die gesellschaftliche Mehrheit ein Thema aufgreift, zieht ebenfalls nicht, denn, wie gesehen, kann von einer Mehrheit nicht die Rede sein. Dabei gibt es unabhängig vom al-Quds-Tag und sogar unabhängig vom israelisch-palästinensischen Konflikt genügend Ansatzpunkte auch für Linke, gegen den Islamismus aktiv zu werden, ob es sich um Antisemitismus handelt, um Frauenrechte, um Bündnisse mit Nazis, Demokratie und Meinungsfreiheit oder die deutsche Außenpolitik im Mittleren Osten. Man muss nur wollen.