Schützenhilfe für die Polizei

In den Verfahren wegen der Ereignisse beim G 8-Gipfel in Genua hat die heiße Phase begonnen. Die Regierung will zugunsten angeklagter Polizisten Verjährungsfristen verkürzen. von jens herrmann, genua

Das kleine Büro in der Via San Luca, unweit des alten Hafens von Genua, platzt langsam aus allen Nähten. In der Segreteria Legale treffen sich diejenigen, die mit der juristischen Aufarbeitung der Ereignisse während des G 8-Gipfels im Jahr 2001 beschäftigt sind. Mitte Oktober hat die heiße Phase der Prozesse begonnen.

Seit dem 14. Oktober müssen sich 29 Polizisten wegen des brutalen Überfalls auf die Diaz-Schule vor Gericht verantworten. 93 Demonstrantinnen und Demonstranten wurden dort von der Polizei zusammengeprügelt und erlitten teils lebensgefährliche Verletzungen. Unter den Angeklagten befinden sich drei Spitzenfunktionäre der Polizei. Die Verhandlung wurde gleich am ersten Tag vertagt.

In einem weiteren großen Verfahren geht es um die Misshandlung von rund 250 Demonstranten in der Polizeikaserne von Bolzaneto. Für die 45 angeklagten Polizisten, Ärzte und Pfleger begann der Prozess am 12. Oktober.

Seitdem im März vergangenen Jahres zudem das Verfahren gegen 25 italienische Demonstrantinnen und Demonstranten begonnen hat, türmen sich in der Segreteria Legale die Ordner mit Prozessakten an. Zwölf freiwillige Helferinnen und Helfer sind ständig damit beschäftigt, die Anwälte der Angeklagten bei ihrer Arbeit zu unterstützen, denen Plünderung und Verwüstung vorgeworfen wird. Ihnen drohen bis zu 15 Jahre Haft. Vor der Sommerpause begannen zudem weitere zwölf Einzelprozesse. Gegen etwa 200 weitere Demonstranten wird noch ermittelt. Im Büro laufen die Computer und Videorekorder bis spät in die Nacht – auch am Wochenende. Ab Anfang November stehen mindestens vier Gerichtstermine pro Woche an.

Inzwischen arbeiten rund 130 Anwälte für die Verteidigung der Demonstranten. Viele von ihnen haben sich im Genova Legal Forum zusammengeschlossen. Bei der Auswertung von 750 Videokassetten, Mitschnitten des Polizeifunks sowie von fast 30 Gigabyte Bildmaterial sind sie auf die Hilfe der Segreteria Legale angewiesen. Bilder aus den Prozessen hängen an der Bürowand. Auf einem großen Stadtplan sind die Absperrungen, die während des G8-Gipfels errichtet wurden, eingezeichnet. Das Stadtgebiet um den antiken Hafen, quer durch die Altstadt wurde damals zur »No-go-area« für Bürger erklärt und mit einem vier Meter hohen Stahlzaun abgeriegelt.

Heutzutage erinnert nicht mehr viel an die Ereignisse während des Gipfels. Demnächst soll auf der Piazza Alimonda, wo der 23jährige Carlo Giuliani von einem Polizisten erschossen wurde, ein Gedenkstein errichtet werden. Was damals genau passierte, ist bis heute nicht geklärt. Im Verlauf des Prozesses gegen die 25 Demonstranten wurden jedoch einige wichtige Details des Todesfalls rekonstruiert. Das könnte dazu führen, dass der Prozess gegen den vermeintlichen Carabiniere-Schützen Mario Placanica wieder aufgenommen wird. Im Verfahren gegen die Demonstranten verweigerte er Ende September die Aussage. Da es aber Aussagen von anderen Polizeizeugen gibt sowie neues Videomaterial aus Minikameras, die in Helmen von Polizisten angebracht waren, hoffen die Anwälte dennoch, dass es bald weitere Erkenntnisse über den Tathergang geben könnte.

Doch in den Verfahren gegen die Polizisten läuft den Anwälten die Zeit davon. Die Angeklagten und ihre Verteidiger versuchen, die Prozesse immer wieder zu verzögern. Die gesetzlichen Verjährungsfristen gelten in Italien auch dann, wenn die Justiz bereits ermittelt. Mit 7,5 bis 15 Jahren sind die Fristen relativ kurz, und die Regierung will sie durch eine Gesetzesänderung nochmals verkürzen. Viele der angeklagten Polizisten könnten sich dann beruhigt zurücklehnen, denn die Prozesse werden selbst in der ersten Instanz noch etwa zweieinhalb Jahre dauern. Dann wäre die Verjährungsfrist für viele bereits abgelaufen.

Aktuelle Informationen: www.supportolegale.org