Zahlen und vergessen

Der neue Fraktionsvorsitzende der CDU im Kölner Stadtrat steht unter dem Verdacht, als Polizeidirektor einen tödlichen Einsatz vertuscht zu haben. von jörg kronauer

Die Kölner CDU hat Prinzipien. Und sie setzt Prioritäten. »Herzlich willkommen«, heißt es ganz oben auf ihrer Website: »Bestellen Sie jetzt die letzten Restkarten« – für die karnevalistische »Prunksitzung« der Partei. Was weniger wichtig ist, steht in der Rubrik »Weitere Meldungen«. »Weg für erste deutsche Bundeskanzlerin ist frei«, heißt es da.

Die Kölner CDU, karnevalsbegeistert und politisch ambitioniert, hat seit dem 26. Oktober einen neuen Funktionsträger. Winrich Granitzka heißt er, ist frisch gebackener Vorsitzender der CDU-Fraktion im Rat der Stadt Köln und präsidiert damit der größten Parteigruppierung im Parlament der viertgrößten deutschen Stadt. Kein leichter Job, doch Granitzkas berufliche Erfahrung prädestiniert ihn geradezu für seine neue Tätigkeit.

Mehr als 40 Jahre lang hat er als Kölner Polizist Raufbolden und Störenfrieden keine Chancen gelassen, hat sich dabei nie vor harten Jobs gedrückt. Mitte der siebziger Jahre, so berichtet die Lokalpresse, war er Chef des gerade aufgestellten Kölner Spezialeinsatzkommandos (SEK), später betätigte er sich als dessen Ausbilder. Bis zum Leitenden Polizeidirektor hat es der Katholik gebracht. Im Jahr 2003 ließ er sich pensionieren und ging zur CDU.

Granitzkas steiler Aufstieg zum Fraktionsvorsitzenden war freilich nur möglich wegen der Prinzipientreue der Partei. Nicht jeder Karnevalsverein hätte einen Mann so schnell nach oben gehievt, gegen den die Staatsanwaltschaft wegen Strafvereitelung im Amt ermittelt. Dabei ging es um einen Einsatz des Kölner SEK im Juli 2001, in dessen Verlauf ein 31jähriger Lagerist ums Leben kam. Zwar hatte der Mann angekündigt, sich umbringen zu wollen. Doch besteht nach Ansicht der Staatsanwaltschaft ein »hinreichender Tatverdacht«, dass der Schuss sich löste, weil ein Beamter ihm das Gewehr aus der Hand treten wollte. Granitzka, der wenig später mit der Untersuchung des Geschehens beauftragt wurde, könnte mitgeholfen haben, den Tritt zu vertuschen.

Im Jahr 2004 nahm die Staatsanwaltschaft Ermittlungen gegen das Kölner SEK auf – unter anderem wegen des Verdachts auf Körperverletzung im Amt, Diebstahl, Untreue und Drogenmissbrauch. Dabei traten auch Widersprüche in den Angaben über den Tod des Lageristen zu Tage. Im August vorigen Jahres begannen die Ermittlungen gegen Granitzka, dem vorgeworfen wird, die Vertuschung der tatsächlichen Ereignisse gedeckt zu haben. Dass der Vorwurf begründet ist, davon sind einem Bericht des Kölner Stadt-Anzeigers zufolge die Ermittler des Landeskriminalamtes bis heute überzeugt.

Die Kölner CDU, wie erwähnt prinzipienfest, kann derlei Gerede nicht erschüttern. Es gebe keinerlei Zusammenhang zwischen den Vorwürfen und der Partei, stellte ihr Vorsitzender Walter Reinarz im Sommer 2004 fest, als Granitzka trotz des Verfahrens für einen Sitz im Stadtrat kandidierte. Der Leitende Polizeidirektor a.D. feierte, während die Ermittlungen noch andauerten, auch beruflich seinen größten Erfolg. Er war verantwortlich für die Sicherheitsmaßnahmen während des Kölner Weltjugendtags, eines der gigantischsten Security-Events der vergangenen Jahre.

Zur »Prunksitzung« im Januar will Granitzka jedoch die lästigen Ermittlungen vom Hals haben. Er hat angeboten, für die Einstellung des Verfahrens ein kleines Sümmchen an eine gemeinnützige Einrichtung zu zahlen – einen vierstelligen Betrag in Euro, wie es heißt. Die Lokalpresse ist überzeugt, dass die Staatsanwaltschaft dies akzeptieren wird, und erteilte kurz vor der Entscheidung über den CDU-Fraktionsvorsitz die Absolution: »Granitzka geht unbelastet in Wahl.« Denn schließlich ist auch Granitzkas Anwalt überzeugt: »Mit Sicherheit hätte (…) die Sache mit einem Freispruch geendet.«