Das Öl lief wie geschmiert

Über 60 deutsche Firmen sollen im Rahmen des Programms »Oil for food« in Korruptionsgeschäfte mit dem Irak verwickelt sein. Das behauptet ein Bericht der UN. von klaus thörner

Der Bericht sei »voreilig und ungerechtfertigt«, meinte der Sprecher des Siemens-Konzerns. Außerdem handele es sich bei den genannten Firmen nur um Tochterfirmen des Unternehmens. Bei Daimler-Chrysler hingegen bemühte man sich gar nicht um Rechtfertigungen oder Ausreden. Jeglicher Kommentar wurde einfach abgelehnt.

Dass sich diese simple Strategie der beiden Konzerne auf Dauer durchhalten lassen wird, ist fraglich. In der vorigen Woche forderte Mark Pieth, ein Schweizer Mitarbeiter der so genannten Volcker-Kommission, juristische Verfahren gegen Daimler-Chrysler und Siemens einzuleiten. »Das, was wir hier auf den Tisch legen, begründet einen Anfangsverdacht. Das heißt, das ist die Schwelle zur Einleitung eines Verfahrens«, sagte er dem stern. »Es ist auf jeden Fall eine Sanktionsverletzung.«

Inzwischen beschäftigt der UN-Bericht, der unter der Leitung des ehemaligen Vorsitzenden der US-Notenbank, Paul Volcker, erarbeitet und Ende Oktober vorgestellt wurde, auch deutsche Ermittler, und zwar die Stuttgarter Staatsanwaltschaft. »Erst wenn wir den Bericht durchgearbeitet haben, werden wir entscheiden, ob und was zu veranlassen ist«, sagte eine Sprecherin Spiegel online.

Dem Bericht zufolge zahlten in den neunziger Jahren zahlreiche internationale Firmen im Rahmen des Programs »Oil for food« Schmiergelder an die irakische Regierung und erhielten dafür preisgünstige Öllieferungen. Außerdem lieferten sie humanitäre und andere Güter in den Irak und schickten im Gegenzug illegale Kommissionen nach Bagdad. Insgesamt nennt der Bericht 2 200 Unternehmen aus 66 Ländern, die an Korruptionsgeschäften mit dem Regime Saddam Husseins beteiligt gewesen sein sollen, darunter 60 deutsche Firmen.

Das Programm »Oil for food« mit einem Volumen von 64 Milliarden Dollar erlaubte der Ba’ath-Regierung in den Jahren von 1996 bis 2003, in kontrolliertem Maße Öl zu verkaufen und aus dem Erlös Lebensmittel und Medikamente zu importieren. Es sollte die Folgen der Wirtschaftssanktionen für die irakische Bevölkerung mildern. Nach Angaben der Kommission konnte Saddam Hussein im Rahmen des Programms jedoch rund 1,8 Milliarden Dollar an Schmiergeld einstreichen. Der Vorsitzende des deutschen Zweigs der Antikorruptions-Organisation Transparency International, Hansjörg Elshorst, bezeichnete die Schmiergeldzahlungen als den vielleicht »größten Skandal der vergangenen Jahrzehnte«.

Der größte Teil der illegalen Gelder, nämlich 1,5 Milliarden Dollar, stammt aus dem Handel mit humanitären Gütern. Hunderte von Unternehmen, die Saddam Husseins Entourage mit Maschinen, Nahrungsmitteln und weiteren Waren belieferten, waren dazu bereit, zehn Prozent des Kaufpreises an irakische Mittelsmänner zurückzuzahlen, darunter offenbar namhafte deutsche Firmen wie Daimler-Chrysler und Siemens.

So wird Siemens beschuldigt, dass drei Firmen aus dem Konzernverbund (Siemens France, Siemens Türkei sowie die in den Vereinigten Arabischen Emiraten ansässige Osram Middle East) für die Vermittlung von Aufträgen aus dem Irak im Umfang von 124,3 Millionen Dollar mehr als 1,6 Millionen Dollar Schmiergelder an Mittelsmänner aus irakischen Ministerien zurücküberwiesen haben sollen. Die Schmiergelder sollen prozentual auf die Rechnungen aufgeschlagen worden sein.

Bei Osram Middle East fanden die Ermittler drei schriftliche Verträge mit dem irakischen Ölministerium, aus denen hervorging, dass auf die Rechnungssumme für technische Ausrüstungen ein Betrag von zehn Prozent aufgeschlagen wurde, bevor die Uno den Vorgang zur Genehmigung vorgelegt bekam. Der aufgeschlagene Betrag landete auf Konten in Jordanien, auf die ein irakischer Mittelsmann Zugriff hatte. »Nach vorliegenden Beweisen haben drei Siemens-Töchter bewusst Kickbacks bezahlt«, heißt es im Bericht der Komission. Als »Kickbacks« werden Schmiergelder bezeichnet, die prozentual auf Rechnungen aufgeschlagen werden und nach dem Geschäft als Dank für die Vermittlung an die Mittelsmänner zurückgeführt werden.

Nach demselben Prinzip überwies offenbar auch Daimler-Chrysler »bewusst« illegale Aufpreise, um Geschäfte zu machen. Die Konzernbuchhaltung berechnete demnach bei den Aufträgen in Millionenhöhe, in deren Rahmen Daimler pikanterweise gepanzerte Geldtransporter für das irakische Ölministerium lieferte, grundsätzlich zehn Prozent des Auftragsumfangs als Schmiergeld für die Entscheidungsträger in Bagdad mit ein. Der Vorgang ist durch schriftliche Abmachungen, unterschrieben von einem Angestellten der Firma, belegt.

Das irakische Regime konnte seine Geschäftspartner im Rahmen des Programms »Oil for food« selbst bestimmen und wählte meist Unternehmen aus Staaten, die sich gegen die seit der Invasion in Kuwait vom Jahr 1990 verhängten internationalen Sanktionen ausgesprochen hatten und die Diktatur Saddam Husseins unterstützten. Dazu gab es eine Liste mit Ländern, die von den Ministerien bevorzugt werden sollten. Neben deutschen Konzernen wurden offenbar besonders viele Firmen aus Russland, Frankreich und China bedacht, denn die drei ständigen Mitglieder des Sicherheitsrats waren für ihre wohlwollende Einstellung zur Diktatur im Irak bekannt.

In diesem Zusammenhang erscheint die Erklärung des Auswärtigen Amtes vom Jahr 2002, die deutsche Wirtschaft »genieße Präferenzen bei den Entscheidungsträgern der irakischen Wirtschaft« in neuem Licht. Im Jahr 2001 kam das größte Ausstellerkontingent auf der so genannten Bagdad-Messe aus Deutschland. Bereits in den siebziger und achtziger Jahren waren deutsche Unternehmen führend am Aufbau der irakischen Infrastruktur und der Errichtung von Industrie- und Ölförderanlagen beteiligt. So wurden 70 Prozent der Giftgasanlagen im Irak von deutschen Firmen geliefert.

Nach Saddams Husseins Überfall auf Kuwait im August 1990 wurde bekannt, dass mehrere Angestellte dieser Firmen für den Bundesnachrichtendienst gearbeitet hatten. 90 Prozent der Lieferungen, mit denen das irakische Regime seine Scud-Raketen verbessern wollte und eigene Raketen produzierte, kamen nach Angaben von Unscom, den Waffeninspektoren der Uno, aus Deutschland. Ein Raketenspezialist des BND war führend in das irakische Programm involviert. Auch spielten deutsche Firmen eine entscheidende Rolle bei der Entwicklung des Gaszentrifugenprogramms zur Urananreicherung im Irak; Bundesbehörden wie das Bundesamt für Wirtschaft in Eschborn, zuständig für Ausfuhrgenehmigungen, hatten Firmen bei Ausfuhren in den Irak direkt unterstützt.

Der Bericht der Volcker-Kommission verdeutlicht jedenfalls, warum gerade die Regierungen Deutschlands, Frankreichs, Russlands und Chinas den von der USA herbeigeführten Sturz Saddam Husseins ablehnten: Er war ein guter Geschäftspartner. Die Profiteure der guten Geschäfte könnten jedoch ungeschoren davonkommen. Denn keiner der Verträge über die Schmiergeldzahlungen belege direkte Anweisungen aus der Führung der Konzerne, schreibt Spiegel online. Da die Manager offenbar befugt waren, die Geschäfte eigenmächtig einzufädeln, könnten die Führungen der Konzerne behaupten, von illegalen Geldern nichts gewusst zu haben.