Ein Groschenheft geht um die Welt

Der letzte Comic des verstorbenen Zeichners Will Eisner erzählt die Geschichte der berüchtigten Hetzschrift »Protokolle der Weisen von Zion«. von gerhard hanloser

Die antisemitische Hetzschrift »Die Protokolle der Weisen von Zion« verarbeitete bereits der serbisch-jüdische Schriftsteller Danilo Kis in seiner fulminanten Erzählung »Das Buch der Könige und Narren« in den frühen achtziger Jahren des 20. Jahrhunderts. In Umberto Ecos Roman »Das Foucaultsche Pendel« tritt der Herausgeber der »Protokolle« auf. Auch der als Begründer der Graphic Novel geltende Comiczeichner Will Eisner, der im Januar 2005 starb, hat sich mit diesem Sujet beschäftigt. »Das Komplott – Die wahre Geschichte der Protokolle der Weisen von Zion« ist sein letztes, postum erschienenes Werk.

Dem Comic merkt man an, dass es dem Zeichner mit dem Thema ernst gewesen ist. Die Bildgeschichte vermittelt ein Gefühl von Beklemmung. In eindrucksvollen Szenen wird gezeigt, wie die »Protokolle der Weisen von Zion« sich über den gesamten Globus verbreiten; weder juristische noch journalistische Interventionen können verhindern, dass die längst als Plagiat entlarvten Texte als Belege für die angebliche jüdische Weltverschwörung herangezogen werden.

Die gefälschten Dokumente wurden im Auftrag des russischen Geheimdienstes verfasst. Die liberalen Kräfte am Hof Nikolaus II. sollten diskreditiert, die zaristische Modernisierungspolitik damit aufgehalten werden. Als Vorlage diente ein Pamphlet, das der französische Autor Maurice Joly in subversiver Absicht 20 Jahre zuvor gegen Napoleon III. verfasst hatte. In seinen »Gesprächen in der Unterwelt zwischen Machiavelli und Montesquieu« ließ Joly seinen Machiavelli ein Lob der antidemokratischen Subversion singen – so wollte er zeigen, dass Napoleon sich an Machiavelli orientierte.

Die »Protokolle der Weisen von Zion« enthalten alle gängigen Stereotypen des Antisemitismus: Eine im Verborgenen wirkende Gruppe von Juden hat sich verschworen, die Macht zu übernehmen. Alle Schalthebel der modernen Gesellschaft werden von ihr kontrolliert – die Presse, die Politik, die Wirtschaft und hier insbesondere die Börse.

Dem Antisemiten und Automobilhersteller Henry Ford dienten die »Protokolle« dazu, das Amerika der zwanziger Jahre als jüdisch unterwandert darzustellen; 1992 wurde eine mexikanische Ausgabe an einigen katholischen Schulen zur Pflichtlektüre, in Russland und Polen gehört die Hetzschrift zum stetigen Bezugspunkt antisemitischer Gruppierungen.

Das New Yorker Simon Wiesenthal Center veröffentlichte unlängst ein Handbuch zur systematischen Widerlegung der »Protokolle« mit dem Titel »Dismantling the Big Lie«. Und das nicht ohne Grund. In Ägypten ließ der Staat seine Bevölkerung noch 2002 mit der 41teiligen Fernsehserie »Reiter ohne Pferd«, die auf der antisemitischen Lügengeschichte basierte, berieseln. Eine 26teilige Serie des syrischen Staatsfernsehens versuchte sich ebenso in der Aufbereitung des Schundstücks. In der Charta der palästinensischen islamistischen Bewegung Hamas finden sich in ihrer paranoiden Denunziation des »Weltzionismus« auch explizite Bezüge auf die »Protokolle«. Die »Protokolle der Weisen von Zion« zirkulieren in stets neuer und modernisierter Form, gleichzeitig lassen sie kein Klischee des 150 Jahre alten modernen Antisemitismus aus, aber auch die Stereotypen des älteren, klassisch christlich geprägten Antijudaismus sind enthalten.

Im Comic von Will Eisner übernimmt die Rolle des Aufklärers ein Korrespondent der Londoner Times, der die Publikationsgeschichte der »Protokolle« recherchiert. Ein bisschen scheint es so, als traue Will Eisner seinem Medium, dem Comic, nicht so recht viel zu. Der Nachweis, dass es sich um eine Fälschung handelt, scheint dem Zeichner so wichtig zu sein, dass er zum Didaktiker wird. In mächtigen Textblöcken werden Zitate aus den »Protokollen« und aus dem subversiven, antinapoleonischen Pamphlet gegenübergestellt.

Will Eisner wirkt in dem Moment tragisch, in dem er der Macht der Bilder nicht mehr zu vertrauen scheint. Warum die langen essayistischen Anmerkungen, die er dem Comic angefügt hat? Warum die vielen, wie Fußnoten erscheinenden Anmerkungen? Was in dem ganzen Comic fehlt, sind Ironie und Verfremdung. Damit scheint sich Will Eisner aber auch einer hilflosen Form von Aufklärung verschrieben zu haben. Verglichen mit dem Comic »Maus« von Art Spiegelman fällt Eisners Versuch, mit dem Medium Comic sich dem Schrecklichen zu nähern, deutlich ab. Spiegelman nahm die sprachliche Struktur des Antisemitismus, die Herabsetzung von Menschen zu Tieren, in seinem Comic auf und sorgt so für eine ironische Dekonstruktion. Was bei Spiegelman aufklärerisch ist, weil verstörend, wirkt bei Will Eisner leider nur bieder und brav. Sein Comic ist naiver Realismus.

Will Eisner merkt selbst, dass der Antisemitismus der Aufklärung trotzt und ihr Gegenteil ist – Antisemitismus ist zuweilen einfach nur eine perfide und funktionale Lüge. In einer eindrucksvollen Szene zeigt Eisner, wie im Jahre 2000 in Louisiana eine so genannte ethnische Studentenvereinigung, die unschwer als islamistische Gang zu erkennen ist, sich jeglichen Argumenten versperrt. Eine Frau mit Kopftuch erklärt: »Selbst wenn es gefälscht ist, sollte man es lesen, weil es die Juden entlarvt.« Will Eisner setzt auf die bürgerlichen Formen von Aufklärung – investigativer Journalismus, Gerichtsurteile –, doch er zeigt auch, dass keine Vernunft die Wirkungsmacht der »Protokolle« hat brechen können. Die Kunstform Comic hätte diesen Rahmen überschreiten können, doch Will Eisners »Komplott« versucht ledliglich aufzuklären, wenn auch mit anderen Mitteln. Der Leser wie der Comic-Zeichner erscheinen als gut, wahrhaftig – aber hilflos.

Will Eisner: Das Komplott. Die wahre Geschichte der Protokolle der Weisen von Zion. Aus dem Amerikanischen von Jörg Krismann, Deutsche Verlagsanstalt, München 2005, 152 Seiten, 19,90 Euro