Größer, krummer, lauter

Berlin bekommt ein neues Shoppingcenter. Die Anwohner verfolgen die Arbeiten an der riesigen Baustelle mit gemischten Gefühlen. von sonja fahrenhorst

Günther M. sitzt in der Herbstsonne auf einer Bank zwischen den Plattenbauten an der Jannowitzbrücke. »Wir haben hier Plus, Kaiser’s, Rossmann, den Blumenladen und so weiter«, erzählt er und zeigt auf die Geschäfte in der Einkaufsstraße vor ihm. Herr M. ist Rentner und wohnt schon sehr lange hier, wie er sagt. Nach seiner Meinung zum neuen Einkaufszentrum befragt, guckt er verständnislos. »Wo?« fragt er und sucht mit den Augen den Platz ab. Ungläubig schaut er dann in Richtung Alexanderstraße: »Da drüben? Da ist doch der Parkplatz!« Dann erinnert er sich plötzlich: »Ach ne, der ist ja schon weg, die bauen da ja.« Was dort gebaut wird, weiß Günther M. nicht, und es ist ihm auch nicht so wichtig. »Hinbauen können sie ja, was sie wollen, nur rentieren muss es sich«, sagt er. Nach kurzem Nachdenken fällt ihm jedoch ein: »Meine Frau und ich haben kein Interesse daran. Wir haben alles vor der Tür, besser kann es gar nicht sein.«

Diese Meinung teilen das portugiesische Unternehmen Sonae Imobiliária und sein französischer Partner Foncière Euris offenbar nicht. Im Herbst vorigen Jahres haben die Investoren an der Alexanderstraße mit den Bauarbeiten für Berlins größtes Shoppingcenter begonnen. Dort, wo sich einst nicht mehr als ein Parkplatz, in den Sommermonaten Volleyballplätze und zur Adventszeit ein wenig beschaulicher Weihnachtsmarkt befanden, wird mittlerweile an einem weiteren Einkaufscenter für Berlin gewerkelt. Auf fünf Stockwerken sollen zwischen Alexanderplatz und Jannowitzbrücke rund 36 000 Quadratmeter Verkaufsfläche entstehen. Die größte Fläche ist für den Einzelhandel reserviert. 2 000 Quadratmeter sind für die Gastronomie eingeplant. Auf weiteren 9 000 Quadratmetern sollen Unterhaltungs- und Freizeitstätten entstehen. »Die Eröffnung wird im Frühjahr 2007 stattfinden. Rechtzeitig zur neuen Sommerkollektion«, sagt Sylvia Peschert, die Pressesprecherin von Sonae.

Davon möchte Virgina, 34 Jahre, nichts wissen. Sie sitzt mit einer Flasche Bier in der Hand auf einer Bank gegenüber einem Supermarkt in der Plattenbausiedlung an der Alexanderstraße. »Von mir aus können die da eine Bombe reinschmeißen«, sagt sie. »Jetzt ist unser Ost-Markt weg, wo wir als Kinder hingegangen sind. Die haben eh keine Gelder mehr in Berlin und schon gar nicht hier in der Ecke. Hier sind wir alle arm wie die Sau. Was sollen wir denn jetzt noch mit so ’nem Palast, so ’nem Kauftempel? Außerdem haben wir ja schon genug Terz. Der ganze Alex ist ja voll von dem Scheiß. Völlig unnötig!«

Dabei soll das neue Shoppingcenter mit dem eleganten Namen »Alexa« gar kein Luxustempel werden, in dem nur teure Klamotten verkauft werden, sich Feinschmeckerläden aneinander reihen und die Restaurants achtgängige Menüs anbieten. Der »richtige Mix« sei das Geheimnis, verrät Sylvia Pescher. Auf die großen Lebensmittelketten Deutschlands könne zwar nicht verzichtet werden, doch wer mit einem reinen Schnäppchenmarkt rechne, habe falsche Vorstellungen. Man versuche, die Mieterstruktur so zu gestalten, dass für jeden etwas dabei ist.

Claudio und Georg sind beide zwölf Jahre alt. Sie sind auf dem Heimweg von ihrer Schule, die sich in der Plattenbautensiedlung befindet. Von dem Einkaufscenter haben sie noch gar nichts mitbekommen. »Wie, hier soll ein Einkaufscenter hinkommen?« fragt Claudio und sieht hinüber zur parallel verlaufenden Alexanderstraße. »Wär’ doch cool«, freut sich Georg, »aber kommt drauf an, was drinnen ist. Wenn ’ne Bowlingbahn reinkommt, geh’ ich hin«, kündigt er an. Claudio wünscht sich einen Makromarkt. Nach einer Weile können sich die beiden einigen: »Gut wäre, wenn Makromarkt reinkommen würde und Sport und Spiele.«

Bumm. Peng. Bomm. Direkt an der Alexanderstraße ist »Alexa« bereits jetzt ziemlich gegenwärtig. Pflastersteine werden von einem LKW geladen und auf den Sand geschüttet. »He, fahr’ die Karre doch mal weiter ran, Mensch«, grölt der Arbeiter im Blaumann dem Lastwagenfahrer zu. Diesmal stellt der Fahrer die Ladefläche ganz steil. Die Steine prasseln auf den Boden. Ein paar Schritte weiter wirft ein anderer Bauarbeiter den Presslufthammer an: Bum. Bum. Bum. Bum, hallt es stakkatoartig und metallen herüber.

Rainer wohnt in einem Plattenbau, der direkt an der Alexanderstraße steht. Er ist schon genervt, bevor das Center überhaupt fertig ist: »Ich kann mich in der vierten Etage nachts hinsetzen und bei meinen Kindern im Zimmer Zeitung lesen, wenn ich das möchte. Ich habe hier die ganze Nacht lang Beleuchtung, wegen den Kränen.«

Dank einer Ausnahmeregelung darf auf der »Alexa«-Baustelle seit kurzem rund um die Uhr gearbeitet werden, nur an Sonn- und Feiertagen ist Ruhe. »Ich bin jetzt auf dem Level, dass ich hier wegziehen werde«, sagt Rainer und zieht seine Jogginghose hoch. »Die zehn Prozent Mietminderung, die die WBM uns wegen der Lärmbelästigung versprochen hat, brauche ich doch schon für das Wasser, das ich für das wöchentliche Fensterputzen benötige. Ich bezahl’ Wasser, ich bezahl’ Abwasser, also hat sich das. Ich sag nur: Ohne Worte.«

Nach Meinung der Investoren wird das neue Einkaufscenter, das wegen seines bananenförmigen Grundrisses im Volksmund auch gerne als »Banane« bezeichnet wird, keine Konkurrenz zu den Geschäften am Alexanderplatz darstellen. Ganz im Gegenteil, eher werde die Zentralität des Platzes noch erhöht. »Die ›Alexa‹ ist wie das Schneewittchen, das den Rest des Alexanderplatzes wachküssen wird«, sagte Ted Kupchevsky von Sonae Deutschland der taz.

So ungefähr sieht es auch Sieglinde H. Die Rentnerin wohnt schon seit DDR-Zeiten an der Alexanderstraße. »Es ist schön, dass der C&A auch herkommt, dann geht der Kaufhof mal ein bisschen mit den Preisen runter«, sagt sie. »Konkurrenzkampf, ja genau, das belebt doch das Geschäft! Deshalb warte ich ja auch noch, was da bei ›Alexa‹ alles reinkommt.« Frau H. begrüßt den Bau des neuen Centers noch aus einem weiteren Grund: »Als hier jedes Jahr der Weihnachtsmarkt war, haben wir nie unseren bezahlten Parkplatz bekommen. Weil Hinz und Kunz von der ganzen Republik hier ihre Autos geparkt haben!« Nun freut sie sich schon auf die neuen unterirdischen Parkplätze.

Ihre Nachbarin, Frau M., hingegen kann das alles gar nicht verstehen. »Wer soll denn hierher kommen«, fragt sie und fängt an zu lachen, »Touristen? Aber hier ist doch nichts los, Osten bleibt eben Osten! Hier ist doch jeden Tag Totensonntag. Auf’m Dorf, da bellt wenigstens noch der Hund, und da krähen die Hühner. Aber hier doch nicht!« Frau M. blickt starr geradeaus und dreht sich dann zu Sieglinde H. um: »Und jetzt sagen Sie mir bitte mal, was diese ›Alexa‹ hier eigentlich soll!«