Wie werde ich Antideutscher?

Fragen zur antideutschen Gegenwart
Von

Wie wird man eigentlich Antideutscher? Reicht die Anschaffung und gelegentliche Vorführung einer israelischen Fahne? Oder muss es schon die amerikanische sein? Welches Abo wird benötigt? Kann man Vegetarier bleiben, darf man noch Deutschrock hören? Auf welcher Party, bei welcher Demo sollte man sich sehen lassen, und mit welchen Klamotten?

In den letzten Jahren erschienen mehrere Bücher über die »Antideutschen«, in der bürgerlichen Presse schenkt man ihnen Aufmerksamkeit, im Ausland wird man von Linken gefragt, ob man etwas von diesen seltsamen »Antideutschen« gehört habe. Aber was ist das heute überhaupt noch, antideutsch?

Anfangs lag der Schwerpunkt antideutscher Kritik beim Nationalismus und Antisemitismus innerhalb der deutschen Linken und verschob sich nach dem 11. September hin zu einer Kritik am linken Antiamerikanismus und am islamistischen Terror, schließlich, vor allem nach dem Mord an dem Islamkritiker Theo van Gogh, am Islam an sich und an antirassistischem Kulturrelativismus. Die unbedingte Solidarität mit Israel und die Abgrenzung gegenüber einem querfront-tauglichen Antiimperialismus war durchgängig ein Erkennungsmerkmal antideutscher Politik. Heftig gestritten wurde beim Irak-Krieg über Bellizismus bzw. Universalismus. In letzter Zeit wird in der antideutschen Linken vermehrt über Liberalismus diskutiert.

Einige antideutsche Themen sind inzwischen in den Mainstream übergegangen, wie zum Beispiel die Mobilisierung gegen den jährlichen al-Quds-Aufmarsch, und auch die Kritik am antisemitischen Gehalt der »Heuschreckendebatte« konnte auf die antideutsche Debatte aufbauen. Es gibt nicht eine antideutsche Geschäftsstelle, sondern längst eine breite Landschaft an Zeitschriften, aktiven Antifa-Gruppen und Webloggern, die sich als Antideutsche bezeichnen, während sich wiederum nicht wenige von ihnen von den Wortführern des Antideutschtums distanzieren. Es gibt mehr als Steinzeit-Antiimps auf der einen und antideutsche Neocons auf der anderen Seite. Die Trennlinien zwischen Traditionslinken, Antifas, Softcore- und Hardcore-Antideutschen sind manchmal sehr unscharf und dann wieder ganz extrem.

Vielleicht, weil es viel um Labels geht und wenig um die politischen Inhalte. So bleiben Fragen offen: Warum ist ein Linker, der nicht antiamerikanisch und zudem israelsolidarisch und islamkritisch ist und der gewisse emanzipative Hoffnungen an die Folgen einer militärischen Intervention im Irak geknüpft hat, ein Antideutscher, aber z.B. der Mann vom Spätkauf unten im Haus, über den man dasselbe sagen könnte, nicht? Hat die notwendige Verteidigung westlicher und bürgerlicher Werte gegen den internationalen Jihadismus und die Kritik am »verkürzten« Antikapitalismus dazu geführt, dass Antideutsche den Kapitalismus gar nicht mehr kritisieren, die Systemfrage nicht mehr stellen? Grenzen sie sich jetzt deshalb so vehement von den Liberalen ab, weil sie sich zuvor selbst in deren Nähe gebracht haben? Kann man als Antideutscher für Israel, aber gegen den Irak-Krieg gewesen sein? Kann man die autoritäre islamistische Formierung kritisieren und kein Antideutscher sein? Und last but not least: Muss die Spaltung in der Linken forciert werden, um Klarheiten zu schaffen, oder geht es darum, einen Diskurs über bestimmte Inhalte zu verbreitern?

ivo bozic