Rappe, was du bist!

Der französische HipHop aus den Vorstädten handelt von der sozialen Situation und der Wut darüber, die immer stärker wird. von eva kimminich

Die Krawalle in Frankreich auf ein Scheitern der französischen Integrationspolitik zurückzuführen oder auf eine gestiegene Gewaltbereitschaft Jugendlicher mit Migrationshintergrund, denen man mehr kriminelle Energie und Verachtung der französischen Kultur zuschreibt als Lust, das eigene Leben zu leben, ist eine vereinfachende Betrachtungsweise. Denn die Identitätsbildung der jungen Vorstädter ist in vielschichtige Diskurse verwickelt. Nur an der Oberfläche gekratzt wird auch, wenn zum zigsten Male auf zur Gewalt aufrufende Rapsongs verwiesen wird. In den letzten zwei Jahrzehnten hat die Vorstadtkultur Frankreichs keineswegs nur motherfuckende Großmäuler und brandschatzende Polizistenhasser hervorgebracht, sondern auch messerscharfe Analytiker und Gewaltgegner, deren Sprechsalven auf die gesellschaftlichen Problemzonen deuten. Als RaPublikaner sind einige von ihnen mit ihren Fragen nach der tatsächlichen postkolonialen Verwirklichung von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit, national gehätschelte Werte, die sie aus ihren – wenn in manchen Fällen auch nur kurzen – Schulaufenthalten mit in den Vorstadtalltag genommen haben, französischer als manche Franko-Franzosen geworden. Sie berufen sich auf Marseillaise und Trikolore, für die sie eine zusätzliche Farbe für die zwar integrierten, aber immer noch nicht akzeptierten Franzosen mit Immigrationshintergrund beanspruchen: »Allons enfants de la patrie / Le jour de gloire est arrivé pour ceux qui se mettent à crier / Une couleur de plus sur le drapeau« (KDD, Kartel Doubel Détente).

In einem anderen Stück heißt es: »Marianne! Wo soll ich denn meine Koffer hinstellen? / Marianne! Du hast mir gesagt, hier sei das gelobte Land / Verdammte Scheiße, ist das Paris? / Man hat mich verarscht, sogar der Eiffelturm ist kleiner, als man mir gesagt hat« (Stomy Bugsy und Hamed Daye in »J’avance pour ma famille« (1998)). Den Abzählreim »Sie liebt mich, sie liebt mich nicht« aufgreifend, wird die Marianne schließlich als Mutter der Republik in einem Lyric von Sinistre und Bams befragt, wie sie eigentlich zu den Migrantenkindern stehe; die Antwort bleibt offen. Kein Wunder, wenn Frankreich inzwischen als Schlampe tituliert wird, wie im jüngsten Skandalsong des Albums von M. R., »Politiquement incorrect«.

Mit seinen vielschichtigen Metaphern hat der Rap einerseits eine Bestandsaufnahme gesellschaftspolitischer Schieflagen geleistet, andererseits hat die HipHop-Szene zu Zeiten Jack Langs, des Kulturministers der Ära François Mitterand, auch eine staatlich oder städtisch geförderte Sozialarbeit geleistet. Das sollte man bei der jetzigen Suche nach Ursachen und Lösungen nicht vergessen. Den Rechtskonservativen war das immer ein Dorn im Auge. Kulturverfallsängste schürend, sprach sich vor allem Le Pen immer wieder offen gegen HipHop und Rap aus, den er als ein »krankhaftes Geschwür« verunglimpfte. Dennoch war man froh, dass man dorthin, wo sich schon in den neunziger Jahren weder Polizisten noch Pizzabringdienste oder Feuerwehrleute hintrauten, Rapper wie Joey Starr (NTM) oder die Neg’Marrons schicken konnte. Auch Gruppen wie 113 kämpften mit Wortgewalt, ohne auf Ordnungshüter zurückgreifen zu wollen (oder zu können), gegen Jugendliche, die schon damals mit gezückten Messern auf die Bühne sprangen.

Die schrittweise Zersplitterung der französischen Gesellschaft, die sich zunehmend zu einer Gesellschaft der Exklusion und Segregation entwickelte, lässt sich an ihren Songs ebenso ablesen wie der wachsende Unmut über Marginalisierung und Chancenungleichheit, denn die Migrantensöhne bekommen keine Arbeit, auch wenn sie französische Staatsbürger sind. Frust und Wut darüber haben auch den Ton der Rapper härter werden lassen. Die Aufrufe zur Gewalt nehmen zu und werden lauter, denn ihre Versuche des Dialogs wurden nicht gehört. Der Wortlaut ihrer Songs lässt die Auseinandersetzung mit Selbst- und Fremdbestimmung, mit ethnischen und sozialen Stigmatisierungen durch die franko-französische Gesellschaft schrittweise erkennen. Sie bezog sich sowohl auf die vereinfachenden karikaturesken Verzerrungen der medialen Berichterstattung als auch auf eine kritische Beschäftigung mit vermeintlich amerikanischen (Ghetto)Verhältnissen und Gangstahelden: »Rappe, was du bist«, statt »Geschichten zu erzählen, bei denen man den Eindruck hat, in Brooklyn zu sein«, ermahnte 1997 Expression Direkt. Einige Songs versuchten, die eigene Lebenswirklichkeit sehr genau darzustellen, um der pauschalisierenden Medienberichterstattung etwas entgegensetzen zu können; andere Songs beschäftigen sich mit den Wirkungen der Berichterstattung. Yazid beschrieb 1996 in »Ich bin der Araber« das Lebensgefühl, das durch ethnische Stigmatisierungen entsteht und zu Hass und Gewaltbereitschaft führen kann. »Wenn ich durch die Straßen gehe, rieche ich um mich herum die aufsteigende Wut, trotz all eurer Versuche, sie zu kaschieren, finde ich mich von Augen erschossen wieder, mit der Schande lebt man, im Rücken ein Etikett, manche akzeptieren das, andere lehnen es ab, und das drückt sich in Gewalt aus.« Häufig werden Bezeichnungen wie bronzé (gebräunt) oder grillé (gegrillt) – wie im amerikanischen (Nigger) oder deutsch-türkischen Rap (Kanake) – umgewertet und mit Stolz gebraucht.

Das sollte jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass Rap in Frankreich keinesfalls als ein ethnisches Phänomen zu sehen ist, wie u.a. die Gruppe Timide et Sans Complexe 1993 oder Ärsenik 1998 darlegten: »Wir schreiben für Araber und Schwarze / für Weiße, Gelbe und Graue, wir sind zu viele, um alle Gegrillte zu sein.« Das sozio-ökonomische Schattendasein in Wohnsilos machte alle gleich und verbindet. »Alle Jugendlichen, die Schwarzen, die Weißen, die Beurs / sie sind vereint durch HLMs (Sozialwohnungen) und durch die Wut in ihren Herzen«, so bereits Saliah in »Ghettokinder« auf dem Erfolgssampler »Rapattitude« von 1991. Diese »Gleichheit« ließ im misstrauischen Blick der Anderen die postmoderne Variante der Sozio-Spezies des »Banlieusard« überhaupt erst entstehen. Auch er wurde deshalb im Rahmen eines Abgleichs von Selbst- und Fremdbildern in all seinen Facetten thematisiert. Der zurzeit vor Gericht stehende Rapper Sniper legte 2001 in seinem Song »Als Zielscheibe benutzt« des Albums »Vom Lachen zum Weinen« die Rolle dar, die die Medien dabei spielen, und machte auf die Auswirkungen aufmerksam: »Ja, stimmt, ich hab den typischen Look eines Banlieusard / (…) Allzu oft hab ich den Blick der Leute gespürt / Ihr Misstrauen gegen mich, das verletzt / Durch ihn dringt die Paranoia in dich ein (…) / Die Medien klassifizieren uns, machen uns schmutzig und krank. Sie zeigen nur die schlechten Seiten / In ihren Filmen, das ist maßlos übertrieben, wie man uns hinstellt, das macht mich sprachlos / (…) Ich bin kein Handtaschendieb / Kapuzenjacke, Turnschuhe und Kappe, ja, aber ich bin auf dem rechten Weg.« Und er warnte, dass immer Jüngere entweder drogensüchtig oder gewalttätig werden. Immer wieder wurde herausgestellt, dass mit der politisch instrumentalisierten Projektion des »gewalttätigen Banlieusard« im Fernsehen eine Ursache für das Scheitern von Integrations- und Sozialpolitik aufgezeigt werde, obwohl diese Fiktion erst durch ihre mediale Popularisierung zur Realität geworden sei, wie u.a. das Lyric »Kleiner Bruder« (IAM 1997) erklärt: »Die Journalisten erzeugen die Moden, Gewalt hat es schon in meiner Schulzeit gegeben … / Aber jeden Abend in den Nachrichten darüber zu berichten, das macht sie banal / Das prägt sich der Retina ein als eine normale Situation / Und wenn der kleine Bruder von sich reden machen will / Dann macht er das noch vor halb 8 Uhr nach.«

In vielen Rap-Lyrics wurde und wird in ebenso eindringlicher wie origineller Weise vor den Gefahren eines Alltags aus Drogenhandel, Beschaffungskriminalität und Gewalt gewarnt, auch von jenen Gruppen, deren zweideutige Songs immer wieder im Medienrummel hochgespielt wurden. NTM und Assassin lancierten mit »Pose ton gun« (1996) und »Wake up!« (1998) immer wieder Appelle, statt Gewalt auszuüben, den eigenen Intellekt zu schärfen. Faf Larage ließ in seinem dialogisch strukturierten Lyric »Le dilemne« (C’est ma cause 1999) das in seinem Selbstempfinden verletzte Ego mit seinem Alter Ego diskutieren, um sowohl die Ursachen von Hass und Gewaltbereitschaft als auch vor allem die konkreten Konsequenzen herauszustellen.

Ähnliches lässt sich an den Filmen beobachten, angefangen mit Mathieu Kassovitz’ »La Haine« (1994), François Richets »Ma 6T va craquer« (1997), Akhénatons (Rapper der Gruppe IAM) »Comme Un Aimant« (2000), François Genestals »La Squale« (2000) oder »Le cercle de la haine« (2002) von der Pariser Rap-Formation La Brigade.

Sie thematisierten den Alltag in der Banlieue, und das heißt vor allem Frustrationen, Aggressivität, Kriminalität und Gewalttätigkeit der fast ausschließlich männlichen Jugend, aber auch deren Versuche, diesem Klima zu entkommen und Positivität zu entfalten. Hätte man hingeschaut, hätte man zugehört, hätte man Rapper und ihre Songs nicht nur als Äußerungen unzivilisierter Jugendlicher abgetan, sondern als Ausdruck einer sozialen Krise ausgewertet, ihre interkulturellen und spannungserprobten sozialen Kompetenzen genutzt, was ihrer Anerkennung gleichgekommen wäre, und sie gleichzeitig zu Vorbildern des Aufstiegs gemacht hätte, dann wäre nicht nur der steigende Frust und die wachsende Aggressivität ablesbar gewesen, sondern man hätte sie auch rechtzeitig entschärfen können.