Die Schonfrist ist vorbei

Die Entführung der deutschen Archäologin Susanne Osthoff könnte mit dem verstärkten deutschen Engagement im Irak zu tun haben. von jörg kronauer

Es war nur eine Frage der Zeit, wann es uns erwischen würde«, kommentierte der Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion und ehemalige Verteidigungsminister, Peter Struck, die erste Entführung einer Deutschen im Irak. Lange hat Deutschland von der ablehnenden Haltung der früheren rot-grünen Bundesregierung zum Irak-Krieg profitiert. Keine der mehr als 200 ausländischen Personen, die in dem Land bislang entführt und als Geiseln genommen wurden, stammte aus Deutschland. Diese Zeiten sind vorbei. Am 25. November wurde Susanne Osthoff entführt.

Vieles hat sich geändert, seit die Bundesrepublik im Jahr 2002 begann, sich als angebliche Friedensmacht gegen die Vereinigten Staaten zu profilieren. Eine neue Regierung ist in Bagdad wenn auch noch nicht an der Macht, so doch im Amt; die Grundlagen für die weitere Entwicklung im Irak werden schrittweise geschaffen. Nun kommt es für Deutschland darauf an, trotz der Ablehnung des Krieges Einfluss im Land zu gewinnen, um die eigenen Interessen dort zu wahren. Das aber geht derzeit nur in Zusammenarbeit mit der neuen von den USA gestützten Verwaltung.

Ausführlich verweist das Auswärtige Amt auf die Maßnahmen, mit denen sich die Bundesregierung den neu entstehenden staatlichen Apparaten des Irak widmet. Ihre Aktivitäten gehen weit über die bekannten Projekte hinaus, in deren Rahmen deutsche Sicherheitsbeamte und Militärs in den Vereinigten Arabischen Emiraten irakische Polizisten und Soldaten ausbilden.

Rund 170 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter irakischer Ministerien werden von Deutschen fortgebildet, mehr als 40 irakische Diplomaten erhielten eine Schulung in Deutschland, 25 Offiziere wurden zu Trainingskursen an die Führungsakademie der Bundeswehr nach Hamburg geholt. Doch den deutschen Einfluss sollen auch kulturpolitische Projekte stärken: Mit Geldern des Auswärtigen Amtes wurden Altstadthäuser in Bagdad saniert, um dort einen »Dialogpunkt« des Goethe-Instituts einzurichten.

Auch Susanne Osthoff ist vom Auswärtigen Amt offenbar eingespannt worden. Presseberichten zufolge hat das Ministerium rund 40 000 Euro für die Restaurierung des Beit al Tütünj zugesagt, eines 200 Jahre alten Handelshauses in Mossul; die Archäologin soll das Projekt geleitet haben. In Arbil habe sie ein Kulturzentrum aufgebaut, »in Abstimmung mit der deutschen Botschaft in Bag­dad«, berichtete Rolf-Eckhard Giermann, ein im Irak tätiger deutscher Geschäftspartner Osthoffs, dem Fernsehsender N24. Auf dem Weg von Bag­dad nach Arbil ist sie schließlich entführt worden.

Auch die karitativen Absichten der Deutschen, die seit Jahren mit Hilfsprojekten für die Bevölkerung des Irak von sich reden machte, scheinen für anderweitige Interessen genutzt worden zu sein. Osthoff arbeitete für die Münchner Consulting-Firma Faktor M, koordinierte und beriet für das Unternehmen Projekte zum Aufbau des Gesundheitswesens im Irak.

Dabei handelt es sich um ein höchst lukratives Geschäftsfeld. Nicht umsonst stand die Medizintechnologie im Mittelpunkt eines Workshops, der im Juli in München auf der zweiten deutsch-irakischen Wirtschaftskonferenz angeboten wurde. Dort berichtete ein Vertreter des Münchner Siemens-Konzerns von den mehr als 30jährigen Geschäften seiner Firma in der irakischen Gesundheitsbranche.

Ausfuhren deutscher Unternehmen in den Irak werden von der Bundesregierung ausgiebig unterstützt. So stehen inzwischen wieder staatliche Exportgarantien, so genannte Hermes-Kredite, in Aussicht. Ein entsprechendes Rahmenabkommen mit dem Finanzministerium in Bagdad wurde kürzlich abgeschlossen.

Um derlei Kooperationen zu stoppen, könnten die Geiselnehmer Susanne Osthoff entführt haben. Dass es eine Deutsche getroffen hat, war vielleicht tatsächlich nur eine Frage der Zeit.