Nichts gewesen außer Spesen

Eine neue Studie kritisiert die Hartz-Gesetze I bis III als zu teuer und ineffektiv. Die rot-schwarze Bundesregierung plant bereits die nächsten unternehmer­freundlichen Schritte. von martin kröger

Eigentlich war sie noch nicht für die Öffentlichkeit bestimmt, die Studie zu den Auswirkungen der Hartz-Gesetze I bis III. Mehrere tausend Seiten umfasst das Papier von Wirtschaftswissenschaftlern, das in der vergangenen Woche dem Handelsblatt zugespielt wurde. Die rot-grüne Bundesregierung hatte die Studie noch in Auftrag gegeben, die schwarz-rote bekam das Resultat bereits vor Wochen übermittelt. Beschäftigen wollte sie sich damit aber lieber erst im neuen Jahr.

Vielleicht ahnte man es bereits. Das Urteil der Wissenschaftler über die ersten drei der so genannten Hartz-Reformen, die von den Unionsparteien freudig mitbeschlossen worden waren und in den Jahren 2003 und 2004 in Kraft traten, fällt nach Angaben der Wirtschaftszeitung katastrophal aus: hohe Kosten für den Staat, aber keine Zahlen, mit denen ein guter Eindruck zu machen wäre.

Insbesondere die im ersten Schritt von der Hartz-Kommission beschlossene Einführung von Personal-Service-Agenturen (PSA), die Arbeitslose an Firmen verleihen sollen, wird kritisiert. In dem Bericht heißt es zu den als Kern der Arbeitsmarktreformen bezeichneten PSA: »Der Einsatz in einer PSA verlängert im Vergleich zur Kontrollgruppe die durchschnittliche Arbeitslosigkeit um fast einen Monat, gleichzeitig liegen die monatlichen Kosten weit über den ansonsten entstandenen Transferleistungen.« Insgesamt seien mit den Agenturen für jeden Arbeitslosen Mehrkosten von rund 5 700 Euro pro Monat entstanden. Als »teures Instrument« seien die PSA zu sehen, heißt es in der Schrift, die vom Wissenschaftszentrum Berlin, dem Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung, dem Rheinisch-Westfälischen Institut für Wirtschaftsforschung sowie dem Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung erstellt wurde.

Ähnlich bewerten die Forscher die Auswirkungen der Vermittlungsgutscheine, deren Einführung mit dem Umbau der Arbeitsämter zu »serviceorientierten Agenturen« einherging. Die Gutscheine seien kein Instrument, das die Rückführung der Arbeitslosen auf den ersten Arbeitsmarkt befördere. Für schlecht befunden wurden weiterhin die befristete Einstellung von älteren Arbeitslosen sowie die Einführung so genannter Minijobs. Zwar seien viele solcher Beschäftigungsverhältnisse entstanden, jedoch keine Jobs auf dem ersten Arbeitsmarkt daraus entstanden. Nicht einmal den Unternehmen hätten die Minijobs Vorteile gebracht. Und das ist nun wirklich allerhand.

Erfolgreich nennt die Untersuchung allein die Hilfen zur Existenzgründung. Ich-AGs und das bereits in früheren Jahren ausgezahlte Überbrückungsgeld hätten sich als erfolgreich erwiesen. Genau diese Programme will die Bundesregierung allerdings Mitte des Jahres zugunsten einer einheitlichen Unterstützung für Existenzgründer beenden, die deutlich weniger großzügig ausfallen dürfte als bisher. Schließlich muss ja gespart werden.

Kein Wunder, dass über die Studie sogleich heftig gestritten wurde. Der stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende, Ludwig Stiegler, sprach im Südwestrundfunk von einer »aufgebauschten Debatte« und verteidigte die ersten drei Teile des Hartz-Programmes mit dem Hinweis auf ihre erst kurze Lebensdauer. Dagegen sahen sich Mitglieder der Unionsparteien in ihrem Vorhaben bestätigt, alle »arbeitsmarktpolitischen Instrumente« auf den Prüfstand zu stellen. Denn so steht es schließlich im neuen Koalitionsvertrag geschrieben.

Der CDU-Generalsekretär Ronald Pofalla kündigte an, es werde abgeschafft, was sich als »unwirksam und ineffizient« erwiesen habe. Die nunmehr stattfindenden Diskussionen wolle die Union nutzen, »um die SPD davon zu überzeugen, dass der deutsche Arbeitsmarkt vor allem im Niedriglohnsektor für Geringqualifizierte geöffnet werden muss«, sagte Pofalla der Nachrichtenagentur ddp. Zusätzlich erhofft sich die Union Verbesserungen durch die Einführung von betrieblichen Bündnissen. »Diese Gespräche mit den Tarifvertragsparteien sollten genutzt werden, um über gesetzliche Veränderungen unter Wahrung der Tarifautonomie Übereinkunft zu erzielen«, erklärte Pofalla. Das neue Zauberwort, mithilfe dessen der Niedriglohnsektor ausgeweitet werden soll, heißt »Kombilohn«. Danach könnten Unternehmen ihren Mitarbeitern in Zukunft wahre Hungerlöhne zahlen, die mit einem Zuschuss des Staates auf das Existenzminimum aufgestockt würden.

Während also bereits die nächsten »Einschnitte« drohen und darüber debattiert wird, wie man die Lohnabhängigen so weit bringt, dass sie ihre eigenen Löhne gemeinsam mit den Unternehmern kürzen – schließlich sitzen nach der Meinung des Bundespräsidenten ja alle im gleichen Boot –, fragt die von den Hartz-Gesetzen Betroffenen niemand, was davon zu halten sei. Ist es ein schönes Gefühl, von einer PSA verliehen zu werden? Sind Sie zufrieden mit dem Service in Ihrer Arbeitsagentur? Wie üppig lebt es sich mit einem Minilohn?

Ferner fehlt bislang eine Auswertung der Zusammenlegung von Sozialhilfe und Arbeitslosenhilfe zum Arbeitslosengeld II, besser bekannt als Hartz IV. In der erwähnten Studie sind die Konsequenzen von Hartz IV explizit ausgeklammert, weil sie nach Angaben der Bundesregierung gesondert ausgewertet werden sollen. Mit etwas Geschick könnte das Ergebnis dieser Untersuchung ähnlich klingen wie das der aktuellen: Die Kosten für den Staat sind beklagenswert hoch, und eine Verringerung der Zahl der Erwerbslosen ist bedauerlicherweise nicht zu verzeichnen.

Man darf gespannt sein, inwieweit die Auswirkungen von Hartz IV auf die Lebensverhältnisse der Betroffenen vom Staat aufgedeckt werden. Denn für Kritiker zeichnet sich bereits ab, dass alle Befürchtungen, Hartz IV werde zur Verarmung großer Teile der Bevölkerung führen, noch übertroffen werden könnten.

Fest stehen dürfte, dass sich auch der Druck auf die noch in festen Arbeitsverhältnissen stehenden Beschäftigten durch die Maßnahmen erhöht hat. Belegschaften seien erpressbar geworden, sagte der Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes, Michael Sommer: »Hartz IV hat das gesellschaftliche Klima in diesem Land vergiftet. Das ist nach wie vor unerträglich.«

Noch drastischer verurteilten die Wohlfahrtsverbände die seit einem Jahr existierenden Veränderungen in der staatlichen Unterstützung von Menschen ohne Erwerbsarbeit. Werner Hesse, der Geschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes, erklärte, Hartz IV habe nichts gebracht, »außer weniger Geld für die Arbeitslosen«. Deshalb lebten nun sechs Millionen Menschen in diesem Land an der Schwelle zur Armut.

Die Mehrheit der Bevölkerung scheint das verstanden zu haben. Immerhin erklärten in einer Umfrage des Meinungsforschungsinstitutes infratest dimap insgesamt 82 Prozent der Deutschen, dass die Arbeitsmarktreformen die Kluft zwischen Arm und Reich vergrößerten. In Ostdeutschland waren sogar 90 Prozent dieser Ansicht.