Reich im Heim

Jahrelang lebte Alfred Mathias Concina unbehelligt im sächsischen Freiberg. Erst vor kurzem machte eine alternative Stadtzeitung auf den verurteilten Kriegsverbrecher aufmerksam. von claudia seidel

Das Altersheim liegt in einer Plattenbausiedlung der sächsischen Kleinstadt Freiberg. Freundlich wirkt das sanierte Gebäude. In ihm verbringen 147 Menschen ihren Le­bens­abend, unter ihnen der 86jährige Alfred Mathias Concina. Bis kurz vor Weihnachten lebte er unerkannt in dem Heim. Eine Mahnwache machte kürzlich darauf aufmerksam, dass er SS-Unterscharführer der 16. Panzergrenadier-Division »Reichsführer SS« war.

Concina wurde im Sommer 2005 in Italien zu lebenslanger Haft verurteilt. Im August 1944 war er an dem grausamen Massaker im toskanischen Bergdorf St’ Anna di Stazzema (Jungle World, 26/05) beteiligt. Die SS-Division wollte dort angeblich gegen Partisanen vorgehen, die es in dem Dorf aber nicht gab. 560 Menschen wurden damals erschossen und verbrannt, unter ihnen 120 Kinder. Das jüngste Opfer war 20 Tage alt. Das Urteil des Militärgerichts von La Spezia hat für Concina und neun andere Verurteilte jedoch keinerlei Auswirkung. Eine Strafe müssen sie nicht antreten, da Deutschland sie nicht ausliefert. Die Staatsanwaltschaft Stuttgart ermittelt zwar seit über drei Jahren, aber zu einem Prozess kam es bisher nicht.

Wenige Tage vor Weihnachten demonstrierten rund drei Dutzend Menschen vor dem Altersheim in Freiberg. Sie forderten »die sofortige Eröffnung eines Strafverfahrens gegen die Mörder von St’ Anna di Stazzema in der Bundesrepublik«. Zu der Mahnwache hatte die Jugendinitiative »Buntes Leben« der alternativen Stadtzeitung FreibÄrger aufgerufen. Aufgrund von Recherchen der Zeitung war überhaupt erst bekannt geworden, dass ein mutmaßlicher SS-Mörder in Freiberg lebt. »Die Mahnwache war erfolgreich, weil die lokale Presse daraufhin reagiert hat. So wachsen das öffentliche Interesse und der Druck auf die Staatsanwaltschaft«, erklärte Clara-Anne Bünger, Versammlungsleiterin und Sprecherin der Jugendinitiative.

Zur Kundgebung waren aber nicht allein Jugendliche und einzelne Mitglieder der Linkspartei gekommen. 20 Neonazis aus dem Wohngebiet stellten sich nur wenige Meter neben den Demonstranten auf, woran sie die Polizei zunächst nicht hinderte.

Wenig begeistert von der Mahnwache war auch die Geschäftsführerin der Seniorenheime Freiberg, Gudrun Hein. Sie sei nicht über die Aktion informiert worden und habe das Gefühl, die Kundgebung richte sich gegen das Heim, erklärte sie. Einem Sprecher riss sie sogar das Mikrofon aus der Hand, als er darauf hinwies, dass die Heimleitung bisher zu dem Fall geschwiegen habe. Der Kreisvorsitzende der Linkspartei, Achim Grunke, sagte ebenfalls, die Organisatoren der Mahnwache sollten sich kooperativer gegenüber der Heimleitung verhalten. »Man muss die Ängstlichkeit verstehen, schließlich ist der Ruf des Heims gefährdet.«

Gudrun Hein äußerte sich gegenüber der Presse erst nach der Mahnwache zu Concina. Der Jungle World sagte sie, sie sei erstaunt gewesen, als sie von dem verurteilten Heimbewohner erfahren habe. »Ich wusste, dass er als Zeuge in einem Prozess vernommen wurde. Die Staatsanwaltschaft ist auch im Heim gewesen, aber wegen der laufenden Ermittlungen habe ich keine genaueren Auskünfte bekommen.« Concina werde auch weiter im Heim bleiben, da es einen Versorgungsvertrag gebe. Außerdem könne das Heim nicht Richter spielen.

In einem Hamburger Altersheim gibt es einen ganz ähnlichen Fall. Dort liegt Gerhard Sommer, der ebenfalls in Italien zu lebenslanger Haft verurteilt wurde. Die Angestellten des Heims können – wenn es der Dienstplan zulässt – entscheiden, ob sie den NS-Kriegsverbrecher pflegen möchten oder nicht. Ob sich das Freiberger Altersheim auch für eine solche Regelung entscheidet, wollte Geschäftsführerin Gudrun Hein noch nicht sagen. Jedoch habe man bereits über »interne Maßnahmen« gesprochen, erklärte sie.

Seit der Mahnwache vor dem Altersheim stürzen sich die lokalen Medien auf Alfred Concina. Reue zeigte er bisher nicht. Im Sommer noch ließ er das italienische Gericht wissen: »Es war eine relativ kurze Mission. Sie dauerte drei oder vier Stunden. Die Menschen wurden vor der Kirche zusammengetrieben und dann erschossen, anschließend wurden ihre Leichen verbrannt.« Nach der Mahnwache sagte er der Freien Presse, er halte das Urteil der italienischen Richter für falsch. Er habe niemanden umgebracht. Außerdem wäre eine Befehlsverweigerung sein Todesurteil gewesen. Im Mitteldeutschen Rundfunk erklärte Concina, er habe »zwar auch mal schießen« müssen, »damit das so aussieht«, jedoch habe er links an der Kirche des Dorfes vorbeigeschossen. Die Kundgebung bezeichnete er in der Freien Presse als »Schweinerei«.

Mit allzu großem Protest muss der verurteilte Kriegsverbrecher wahrscheinlich sowieso nicht mehr rechnen. Nur die Jugendinitiative will das Thema vor den Stadtrat bringen und plant eine Städtepartnerschaft mit St’ Anna. Die Bürger Freibergs hielten sich bisher von dem Protest gänzlich fern. Gottfried Breutel ist Pfarrer und sitzt als Stadtrat der Allianz Unabhängiger Wähler (AUW) im Aufsichtsrat der Seniorenheime. Er glaubt weder, dass sich der Stadtrat dazu äußern, noch dass es weiteren Protest von Freiberger Bürgern geben werde. »Die Bürger haben lange schon wieder Frieden mit der Vergangenheit geschlossen, deshalb gibt es auch keinen Protest gegen einen solchen Mann.« Und für den Stadtrat werde es ein Thema sein, an das sich niemand herantraue.

Die Stadt ist Gesellschafter der Seniorenheime, 75 Prozent gehören ihr. Dennoch sagt auch Freibergs Oberbürgermeisterin Uta Rensch (SPD) im Gespräch mit der Jungle World, dass der Fall kein Thema für den Stadtrat sei. »Das Moralische ist die eine Seite, das Rechtliche die andere.« Dass ein NS-Kriegsverbrecher in einem Freiberger Altenheim liegt, findet sie »nicht sehr angenehm«. Achim Grunke von der Linkspartei will das Thema in Zukunft lieber an die Staatsanwaltschaft abgeben: »Es ist so viel getan worden. Nun ist die Justiz am Zuge.« Und das, obwohl sie seiner Meinung nach das Verfahren bisher verschleppt hat.

Während die Überlebenden des Massakers von St’ Anna di Stazzema auf eine Verurteilung der Täter in Deutschland warten, wird hier an der Schuld der Verbrecher gezweifelt. Einsicht in die Akten durften die Überlebeneden und Angehörigen der Opfer bis heute nicht nehmen. Die Staats­an­walt­schaft sagte der Sächsischen Zeitung, es sei schwierig, den Beschuldigten nach 61 Jahren »subjektive Grausamkeit« und individuelle Schuld nachzuweisen.

Gottfried Breutel will Concina nicht »vorverurteilen«, da es ein schwieriger Fall sei. Sein Vorschlag ist deshalb: »Lasst ihn in Frieden sterben.« Außerdem fände er es gemein, wenn sich im Heim eine Stimmung gegen den alten Mann entwickeln würde. Der Protest der linken Jugendlichen entspringe einer fanatischen Ideologie, damit könne man nichts erreichen. Achim Grunke und er wollten lieber mit Concina sprechen und ihm erklären, dass seine Haltung heute nicht mehr anerkannt werde.

Clara-Anne Bünger von der Jugendinitiative hofft dagegen, dass sich der Freiberger Protest neben Hamburg auch auf Städte in Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen überträgt. Dort nämlich leben noch andere NS-Kriegsverbrecher, die nie von einem deutschen Gericht verurteilt wurden.