Die Traumfrau der Nation

Ursula von der Leyen führt die rot-grüne Familienpolitik konsequent fort. Gefördert werden vor allem Frauen wie sie selbst. von regina stötzel

Wäre man nicht schon groß und hätte sich einigermaßen im Griff, würde man das Verlangen verspüren, Ursula von der Leyen an den Haaren zu ziehen, um ein einziges Mal ihre Frisur aus der Fasson zu bringen. Zu viel ist einfach zu viel. Warum muss eine Bundesministerin gleichzeitig Ärztin und Volkswirtin sein? Warum hat die Ministerin, Ärztin und Volkswirtin nicht zwei, nicht drei, sondern gleich sieben Kinder? Und warum kursiert kein einziges Foto von ihr, auf dem sie nur ein klein wenig derangiert oder übel gelaunt aussieht?

Dass diese Hyperfrau, die personifizierte Leistungsbereitschaft in Kreißsaal und Kabinett, so kurz nach ihrem Amtsantritt bereits »mitten im Sturm« steht, wie sie sagt, könnte auch mit ihrem forschen Auftreten zu tun haben. Finanzminister Peer Steinbrück (SPD) beschwerte sich, von der Leyen habe ihre Vorstellung im Kabinett »durchgedrückt«. Der Streit zeigt aber mehr. Familienpolitik ist zu einem heißen Thema geworden, mit dem man sich profilieren kann.

In der Sache geht es darum: Berufstätige Eltern sollen künftig mehr von dem Geld, das sie für die Betreuung ihrer Kinder bezahlen, von der Steuer absetzen dürfen. Vor allem will man auf diese Weise Anreize schaffen, die meist schwarz geleisteten Betreuungstätigkeiten in offizielle Arbeitsverhältnisse umzuwandeln. Ob das gelingt, sei dahingestellt (Jungle World, 3/06). Gleichzeitig möchte der Staat aber nicht auf zu viele Steuergelder verzichten, weshalb um die Einzelheiten gestritten wird. Nach dem Mitte voriger Woche vom Kabinett abgesegneten Gesetzentwurf dürfen Paare bis zu 4 000 Euro absetzen. Rund 1 000 Euro müssen jedoch ohne Steuervergünstigung gezahlt werden. Wer 1 000 Euro für die Betreuung von kleinen Kindern ausgibt (das entspricht etwa einem Halbtagsplatz im Kindergarten), bekommt nichts zurück, wer 5 000 Euro ausgibt, bekommt 4 000 zurück. Die SPD möchte nun, nach Protesten in der Partei, dass insgesamt weniger abgesetzt werden kann, dafür aber schon ab dem ersten Euro.

Man mag die SPD-Variante besser oder konsequenter finden. Mit »sozialer Gerechtigkeit«, die der Vorsitzende Matthias Platzeck für seine Partei beansprucht, haben beide Vorschläge wenig zu tun, weil sie andere Familienmodelle sowie Paare mit geringen Einkünften nicht berücksichtigen. Wer nichts oder sehr wenig verdient, hat auch nichts davon.

Die SPD ist deshalb mit »Herzblut« (Platzeck) bei der Sache, weil es um die Fortsetzung ihrer eigenen Politik geht. Gleichzeitig mit dem schwächelnden Wirtschaftswachstum, den demografischen Horrorszenarien von der »vergreisenden Republik« und verheerenden Pisa-Studien entdeckte die frühere rot-grüne Regierung das »Humankapital Frau«. Vor allem gut ausgebildete Frauen sollten für Lohn arbeiten, aber das Kinderkriegen dabei nicht vergessen. Bei den schlechter ausgebildeten Frauen wurde dagegen gespart. Die Erhöhung der Anzahl von an Betreuungsplätzen für Kleinkinder ging damit einher, dass allein erziehende Mütter oder Väter, die Arbeitslosengeld II erhalten, ab dem dritten Geburtstag des jüngsten Kindes wieder »gefordert« werden durften, während sie vor Hartz IV weiter Sozialhilfe beziehen konnten.

Unter Familienministerin Renate Schmidt (SPD) begann ein geradezu penetranter Aktionismus in Sachen Familienpolitik. Sogar das Kapital beschäftigte sich plötzlich mit dem »Erfolgsfaktor Familie« und nahm an Wettbewerben in »Familienfreundlichkeit« teil. Seit dem Jahr 2004 sprießen »lokale Bündnisse für Familie« von Kommunen, Unternehmen und freien Trägern aus dem Boden, weil junge Familien zum »Wirtschaftsfaktor« erklärt wurden.

Als Renate Schmidt im Jahr 2003 zusammen mit Liz Mohn aus dem Hause Bertelsmann die »Allianz für Familie« aus Staat, Wirtschaft und Verbänden ins Leben rief, wurden deren Ziele deutlich benannt: »(Die ›Allianz für Familie‹) basiert auf dem Konsens, dass unsere Gesellschaft eine höhere Geburtenrate braucht, unsere Wirtschaft auf qualifizierte Arbeitskräfte und eine höhere Erwerbstätigkeit von Frauen angewiesen ist (und) unsere Kinder eine frühe Förderung, Bildung und Erziehung benötigen.«

Hätte Renate Schmidt die Traumfrau der Nation entwerfen dürfen, so wäre ohne Zweifel ihre Nachfolgerin Ursula von der Leyen herausgekommen. Sie stellt somit auch die optimale Besetzung für das Amt der Familienministerin dar. »Es ist keine Frage mehr, ob Frauen arbeiten. Entscheidend ist, ob sie Kinder bekommen oder nicht«, sagte von der Leyen noch zur Wahlkampfzeit im stern und machte deutlich, dass sie das Werk ihrer Vorgängerin fortzuführen gewillt ist, auch gegen den Widerstand der Traditionalisten in der eigenen Partei. Wirtschaftlich betrachtet, sei es »Unsinn«, junge Frauen, die besser ausgebildet seien als jede Generation vor ihnen, vom Arbeitsmarkt fernzuhalten. In der Thüringer Allgemeinen klagte sie darüber, dass die demografische Entwicklung in Deutschland in der Vergangenheit »nicht mit dem gebührenden Ernst betrachtet« worden sei.

»Familienpolitik ist Wirtschaftspolitik«, erklärte Renate Schmidt regelmäßig bei der Gründung neuer »lokaler Bündnisse«. »Politik für die Familien ist nicht nur alles andere als ein ›weiches‹ Thema oder eine Unterabteilung der Sozial- oder Transferpolitik, sondern ganz im Gegenteil ein Handlungsfeld, das Weichen stellt und so darüber mitentscheidet, wie in dieser Gesellschaft Bildung, Wachstum, Wohlstand und Wohlfahrt sein werden«, sagte Ursula von der Leyen Anfang Dezember vor dem Bundestag.

Im aktuellen Streit hat die Tochter aus gutem Hause mehrfach bewiesen, für wen sie Politik macht – und dass sie die unterhaltsamste Kandidatin in einer Big-Brother-St­affel sein dürfte, bei der die Insassen des Containers mit 345 Euro im Monat auszukommen hätten. »Alle Familien stehen künftig besser da als heute, weil der Anrechnungsbetrag bei der steuerlichen Entlastung deutlich reduziert wird oder sogar ganz wegfällt«, sagte die Ministerin vor zwei Wochen. Man glaubt beinahe, es liege jenseits ihrer Vorstellungskraft, dass es nicht das vorrangige Problem »aller« Familien ist, tausende Euro von der Steuer absetzen zu müssen. »Eltern, die beide arbeiten und Steuern zahlen, haben hohe Kinderbetreuungskosten, deshalb wollen wir sie entlasten«, sagte die Ministerin. Dass ein Teil dieser Eltern auch einen Haufen Geld zur Verfügung hat, zählt für sie nicht.

Hinsichtlich des in der großen Koalition nur in Details umstrittenen Elterngeldes musste sie einräumen, manche könnten künftig weniger bekommen. Diese Tatsache dient in ihren Augen als ein adäquates Mittel, um Faulenzer zum Arbeiten zu bewegen – zum Wohle ihrer Kinder. »Heute zementieren wir Kinder in der Sozialhilfe, weil es höhere finanzielle Leistungen für Kinder in der Sozialhilfe gibt. Sobald die Eltern Arbeit aufnehmen, gibt es nur noch das Kindergeld«, erklärte sie. Wer vor der Geburt eines Kindes berufstätig gewesen sei, fahre mit dem Elterngeld von bis zu 1 800 Euro besser.

Ob und wie auch immer der Beschluss zu den Betreuungskosten im Parlament modifiziert wird – der »Sturm«, den von der Leyen »geradlinig durchhalten« will, was immer das heißen mag, wird ihre Frisur nicht durcheinander bringen.