Homo, sweet homo

Queere Indie-Musik ist auf dem Vormarsch. Mit dabei ist The Gossip. von sonja eismann

Die queere Musik ist in der weißen Mittelschicht angekommen. Abseits von »hedonistischen« Genres wie House und Disco, unter deren glitzernder Erscheinung man schon seit Jahrzehnten den sexuell »anders« codierten Dancefloor vermutete und Potenzial für hauptsächlich schwule, nicht-weiße Widerständigkeit ausmachte, hat sich jetzt eine eher im klassischen Indie-Milieu verankerte Gay-Szene Aufmerksamkeit erspielt. Nachdem schwule oder lesbische Punkbands wie Pansy Division oder Team Dresch inmitten des durch Mackerposen gekennzeichneten Punk-Kosmos jahrelang die gern zitierte Ausnahme gewesen sind, begeistern sich auf einmal eine Menge Leute für queere Acts wie die Hidden Cameras, Rufus Wainwright, Xiu Xiu oder Antony and the Johnsons. Auch neofolkige KünstlerInnen wie CocoRosie und Devendra Banhart werden wegen ihrer überdrehten Campiness dieser Richtung zugerechnet, ohne selbst irgend­etwas mit dem Label »queer« anfangen zu können.

Nicht wenige würden freudig zum beinah sakralen Homo-Entertainment schunkeln, das von all diesen Acts geboten wird, um sich ein paar Jahre später widerspruchslos in einer Hetero-Kirche das Ja-Wort zu geben, prophezeite unlängst ein Kritiker. Und wann immer die Kasse ordentlich klingelt, wacht auch die Industrie auf, denn der Markt kennt bekanntlich nur eine Orientierung, und die heißt weder schwul, trans oder bi, sondern Profit. So plant der Major Sony BMG in Kooperation mit dem Unternehmen Wilderness Media & Entertainment, das auch hinter MTVs erfolgreichem schwul-lesbischem Fernsehsender »Logo« steckt, bereits ein Plattenlabel namens »Music With A Twist« für, was auch immer damit genau gemeint ist, »Gay-Klassiker und -Newcomer«. Im September 2005 bekamen auch noch Antony and the Johnsons den begehrten britischen Mercury Prize.

Beth Ditto, die Sängerin der queeren Band Gossip, macht ihrem Unmut Luft: »Dass ein schwuler Künstler, der lieber eine Frau sein will und auch so singt, diesen Preis bekommt, ist wirklich unglaublich. Aber für einen weiblichen Drag King wäre das nicht möglich gewesen«, fährt sie fort. »Es sind die weißen Männer, die in diesem Bereich erfolgreich sind. Alle sagen: Oh mein Gott, Antony singt wie Nina Simone! Aber hat Nina Simone jemals einen solchen Award gewonnen? Nein. Weil sie eine schwarze Frau war.« Obwohl Ditto weiß, dass ihre Kritik die Erfolge von zum Teil lesbischen Bands wie Le Tigre und Sleater Kinney unterschlägt, spricht sie damit doch das Richtige an. Denn wie bekannt sind schon Projekte wie Lesbians on Ecstasy, Tracy and the Plastics, Gravy Train!!!!, Scream Club, Viva la Diva (mit Beteiligung der englischen Band Electrelane) oder auch die Berlinerinnen Rhythm King and her Friends, die alle mit theorielastig-ernster bis sexualisiert-ironischer Herangehensweise ihre »deviante« Identität thematisieren?

Während all diesen Acts die Wahl elektronischer Produktionsmittel zwischen Stampf-Techno, HipHop, Booty-Bass, Disco-House und Kinderspielzeug-Elektronik den gewünschten musika­lischen Spielraum lässt, arbeiten sich Bands wie etwa die no-wavigen Erase Errata, die Indie-Synth-Popperinnen Boyskout und die kanadischen Gaststars aus der Hochglanz-Lesben-Serie »The L-Word«, The Organ, vor allem an den Gitarren ab.

So auch Gossip, die ihr drittes Album »Stan­ding in the Way of Control« nicht mehr nur auf dem Riot-Grrrl-Label Kill Rock Stars, sondern erstmals auch auf dem Hamburger Label Lado veröffentlichten. Mit ihrer langsam anschwellenden, röhrenden Mixtur aus (Post-)Punk, Blues, New Wave und Soul und einer minimalistischen Besetzung mit Schlagzeug, Gitarre und Gesang ließe sich die Formation aus zwei Frauen und einem Mann leicht in die momentan so hippe Tanz-Rock-Welle eingliedern.

Wenn es da nicht vehemente inhaltliche Differenzen gäbe. Beth Ditto meint: »Nimm das derzeit erfolgreiche Band-Modell à la Franz Ferdinand: vier bis fünf dünne Typen, heterosexuell, weiß. Was könnte die jemals so sehr anpissen, dass sie einen groß­artigen, von Angst getriebenen Song schrei­ben? Nichts.« Und sie fährt fort: »Niemand hat die morgens an der Bushaltestelle komisch angeguckt. Wenn dagegen eine Band wie Team Dresch oder wir ein Liebeslied schreiben, dann ist das radikal, weil es queer ist.«

Der Gitarrist Nathan alias Brace Paine fügt an: »In Amerika dreht sich alles ums Image. Man muss Bands an die Öffentlichkeit verkaufen können, und natürlich ist es ein Leichtes, vier straighte Styler, die diesen sexy Dance-Rock machen, zu vermarkten. Aber gerade deswegen bin ich so viel lieber in einer Band mit zwei radikalen Frauen, die revolutionäre Dinge tun, als mit vier straighten Typen, die nur Songs darüber schreiben können, wie traurig sie sind, dass ihre Freundinnen mit ihnen Schluss gemacht haben.«

Immer wieder betonen die drei MusikerInnen, dass sie nicht trotz, sondern mit ihrer Queerness als Band reüssieren wollen. Dabei gäbe es beileibe schon genug Um­stände, die die Band im Popzirkus, wie alternativ auch immer er sich gerieren mag, zu Außenseitern machen könnte. Ursprüng­lich stammt die Gruppe aus Searcy, Arkansas, einem bigotten Kuhdorf im verarmten amerikanischen Süden, in dem MTV nur ein Jahr lang ausgestrahlt und dann wieder – als zu satanisch – verboten wurde. »In Searcy gab es ein Wafflehouse und einen Walmart. Das war alles«, erinnert sich Beth schaudernd. »Die ›Queer Community‹ bestand aus mei­nem Freund Jerry und mir«, erzählt sie. »In einer einzigen großen Buchhandelskette konnte man unter dem Ladentisch Homo-Magazine kaufen. Als der Rest der Stadt das rausfand, wurde das Geschäft geschlossen.«

Nathan war es dann, der Punk und Riot Grrrl nach Searcy brachte und als erster Konzerte in dem 10 000-Einwohner-Kaff organisierte. »Ich hatte einen Cousin, der eine Woche lang Punk war. Der nahm mir ein Mixtape auf, von dem ich richtig besessen war«, berichtet er. »Davon ausgehend, entdeckte ich andere Bands. In unserer Redneck-Gemeinde war ich damit ein totaler Paria und wurde ständig angepöbelt. Ich musste mehrmals um mein Leben rennen.« Gemeinsam mit der damaligen Drummerin Kathy, die mitt­ler­weile durch Hannah Blilie aus Seattle ersetzt wur­de, floh man in das Riot-Grrrl-Eldorado Olympia an der Westküste und residiert mittlerweile in Portland und Seattle.

Was an Gossip wohl am meisten verstört, ist das Auftreten der Band, das neben dem nachlässigen Queerpunk-Style von Nathan und Hannahs von Tätowierungen gekennzeichnetem Tom­boy-Look radikal von Beth Dittos Äußerem beherrscht wird. Denn sie ist, was nicht sein darf: nicht nur eine lesbische Indie-Femme, son­dern auch noch klein, dick und very physical. Also alles, wovor sich die Bloodhound Gang und ihre White-Malestream-Fans ekeln und eigentlich doch nur fürchten.

Allerdings ist Ditto auch so offensiv und einnehmend sexy, dass es bei Gossip-Konzerten, bei denen sie gerne mal bis auf die Unterwäsche strippt, viele aufgeklappte Münder und kugelrunde Augen zu sehen gibt. Berühmt ist die Geschichte, nach der sie während des Entkleidens in die johlende Menge eines aufgepeitschten Londoner Publikums fragte, ob jemand von der englischen Popzeitschrift NME da sei. Als einige Hände in die Höhe schnellten, rief sie: »Ich habe gelesen, was ihr über Missy Elliott geschrieben habt« – nämlich dass sie ein paar Pfunde verlieren solle – »und ich wollte euch nur sagen: fickt euch!«

»Es verweist auf einen ziemlich erbärmlichen Bewusstseinszustand der Gesellschaft, dass viele Leute es nicht fassen können, dass ich dick und gleichzeitig sexy bin«, resümiert sie. »Andererseits bin ich natürlich auch stolz darauf, so wahrgenommen zu werden, weil ich immer noch jeden verdammten Tag mit meinem Selbstbild ringe. Wenn es in meiner Jugend eine fette Kathleen Hanna (ehemals Sängerin von Bikini Kill; Anm. d. Red.) gegeben hätte, wäre ich wahrscheinlich ein glücklicherer Teenager gewesen«, vermutet sie. Mit dieser Attitude werden Gossip vermutlich nicht den größten Erfolg haben. Aber vielleicht machen sie das Leben vieler dicker, queerer, anpassungsunwilliger Misfits glücklicher.

Gossip: Standing in the Way of Control (Lado)