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Dirty South

Wilson Pickett. Aretha Franklin bezeichnete ihn als »einen der größten Soulsänger aller Zeiten«. Und das war er wohl auch, obwohl seine Zeit nicht all zu lang war. Die Karriere von Wilson Pickett erstreckte sich über die sechziger Jahre, in denen er beim berühmten Label Atlantic zuhause war. Anfang der Siebziger wechselte er, wie so viele Soulstars in dieser Zeit, zu einem Major, erfuhr dann aber kommerziell und künstlerisch einen Einbruch. Eine neue Zeit brach an, klassischen Soul wollte niemand mehr hören, Disco war immer stärker angesagt, und Wilson Pickett wurde immer mehr zur Soul-Größe, die nur noch von der eigenen Vergangenheit lebte, von unsterblichen Hits wie »In the Midnight Hour«, einer dieser Nummern, die bis heute auf keiner Studentenparty fehlen dürfen.

In den Sechzigern freilich war Wilson Pickett eine echte Bombe. Als er bei Atlantic vorstellig wurde, regierten im Soul die Crooner, jeder war vor seiner Karriere im Kirchenchor gewesen, konnte singen wie ein Waldvogel und sah so aus, als würde er sich morgens von der Schwiegermama die Haare frisieren lassen. Wilson Pickett war da anders. Jerry Wexler von Atlantic Records nannte ihn »Wicked« Pickett, der Typ war pures Dynamit, ein echter Macho und auf der Bühne ein Tier. Der Mann war nicht sexy, sondern personifizierter Sex. Er schrie und jaulte, und Mütter versteckten ihre Töchter vor ihm.

Pickett war in Detroit aufgewachsen, hatte mit dem eher cleanen Motown-Sound des Nordens aber nichts am Hut. Er ging nach Memphis, arbeitete viel mit der Hausband des für eher schwitzigen Südstaaten-Soul bekannten Labels Stax zusammen, mit Booker T. and the MGs und ließ sich vom Stax-Chefkomponisten Steve Crooper die Hits auf den Leib schneidern. Wilson Picketts Sound war barock und orgiastisch, vollgestellt mit Bläsersätzen und auf Überwältigung bedacht.

Ab den Siebzigern verlief dann einiges eher traurig im Leben des Soulman. Er verfiel in Depressionen, wurde wegen Trunkenheit am Steuer angeklagt und zog sich immer mehr zurück, auch weil die Erfolge ausblieben. 1999 hatte er mit dem Album »It’s Harder Now« einen Comeback-Erfolg, Kritiker waren der Meinung, hier sei der alte Wilson Pickett wieder zu hören. Er begann erneut zu touren. Doch bald begann er, an Herzproblemen zu leiden, weswegen er im vergangenen Jahr das Touren einstellte. Am Donnerstag voriger Woche erlag er im Alter von 64 Jahren einem Herzinfarkt. (aha)

Weiße oder schwarze Weste?

Harry Mulisch. Der weltbekannte Autor des Bestsellers »Die Entdeckung des Himmels« muss sich mit Vorwürfen herumschlagen, als Kind Mitglied des »Nationale Jeugdstorm« gewesen zu sein, der Jugendabteilung der holländischen Nazipartei NSB. Vorgebracht hat die Anklage gegen Mulisch der Journalist Dick Verkijk in seinem Pamphlet »Harry Mulisch. Grimmiger Anti-Nazi. Aber seit wann?«

Mulisch wurde 1927 als Sohn eines österreichisch-ungarischen Vaters und einer in Antwerpen zur Welt gekommenen jüdischen Mutter geboren. Sein Vater war während der Besetzung Hollands an der »Arisierung« jüdischen Eigentums beteiligt und wurde nach dem Krieg als Kollaborateur verurteilt.

Mulisch selber sagte zu den gegen ihn erhobenen Vorwürfen: »Alles Quatsch. Über meinen kollaborierenden Vater habe ich immer mit offenen Karten gespielt. Glaubt man wirklich, ich als Halbjude hätte in einem nationalsozialistischen Jugendclub Mitglied sein können? Der einzige Verein, in dem ich Mitglied war, waren die Pfadfinder.« (aha)

Berlin? Berlin!

Design-Hauptstadt. In London, Buenos Aires oder Paris gehen die Menschen abends normalerweise nicht mit den Klamotten in die Clubs, in denen sie sich tagsüber während der Arbeit jede Menge Schweißflecken und beim Mittagessen Ketchup-Spritzer eingefangen haben. In diesen Metropolen zieht man sich vielmehr vorher um, begreift das Ausgehen damit als vom Alltag abgekoppelt und versucht, stilvoll zu leben. In Berlin ist das anders. Hier legt man in den Clubs großen Wert darauf, bloß nicht overdressed zu wirken, und hält auch die Jeans für die absolut angemessene Ausgeh-Klamot­te.

Berlin hat keinen Style, ist Currywurst-Stadt, dieses Bild von der deutschen Hauptstadt hat man eigentlich. Die Unesco, ausgerechnet die Unesco, hat nun aber Berlin, ausgerechnet Berlin, als »Stadt des Designs« ausgezeichnet. Berlin ist somit die erste europäische Stadt überhaupt, die in das internationale Netzwerk der »Creative Cities« aufgenommen wurde. Tusch und hoch die Tassen!

Die Designbranche scheint in Berlin tatsächlich zu boomen. 6 300 Unternehmen aus diesem Bereich gibt es inzwischen in der Stadt, und deren Umsatz beträgt 1, 4 Millarden Euro im Jahr. Außerdem gibt es seit einiger Zeit permanent Modemessen. Wird Berlin das neue London oder Paris? Nach Einschätzung der Unesco ist es das längst. (aha)

Carola Stern gestorben

Nachruf. Mit Carola Stern ist ein echtes deutsches Gesamtkunstwerk gestorben. Nie wurde sie müde zu betonen, dass sie sich gleich zwei­mal in ihrem Leben geirrt und das tief bereut habe. Damit gemeint waren ihre jugendliche Begeisterung für den Nationalsozialismus und im Anschluss daran ihre kommunistische Phase in den Aufbaujahren der DDR. Sie arbeitete für den amerikanischen Geheimdienst, flog auf und rettete sich in den Westen. Zwei Entführungskommandos wurden auf sie angesetzt, blieben aber erfolglos. Carola Sterns Karriere in der Bundesrepublik begann dann erst richtig in den sechziger Jahren, sie begründete die deutsche Sektion von amnesty international, war Mitherausgeberin verschiedener Zeitschriften und die erste Frau, die im deutschen Fernsehen Kommentare sprechen durfte. Im Pensionsalter begann sie, Bücher zu schreiben, über sich und ihre Irrtümer. Seitdem galt sie als Vorbild für deutsche Ge­schichts­­auf­ar­bei­tung. (her)