Boom me up, China!

Der Besuch Frank-Walter Steinmeiers in China steht bevor. Deutsche Firmen wollen am ­dortigen Boom teilhaben, fürchten aber die wachsende Konkurrenz. von jörg kronauer

Wieder ein Sonnenscheinbesuch.« Nicht ganz wohlwollend kommentierte die Frankfurter Allgemeine Zeitung die erste offizielle China-Reise Frank-Walter Steinmeiers (SPD). Das war im Dezember 2003, er begleitete Gerhard Schröder in die Volksrepublik. Die China-Politik des Kanzlers und seines Amtschefs stieß bei der konservativen Zeitung auf Unbehagen. Die enge wirtschaftliche Zusammenarbeit sei wichtig, schrieb das Blatt, doch seien Schröder und Steinmeier allzu kooperativ. Kritische Worte gegenüber der chinesischen Regierung seien angebracht, etwa hinsichtlich der Menschenrechtslage.

Wenn Frank-Walter Steinmeier in der kommenden Woche der chinesischen Regierung seinen Antrittsbesuch als Außenminister abstattet, dürfte die wirtschaftliche Kooperation erneut eine wichtige Rolle spielen. Der Sozialdemokrat werde vor allem »Mittelständler im Tross« haben, berichtete Spiegel-online Anfang Februar. Doch diesmal zeichnen sich bereits Unstimmigkeiten ab. Vor allem über den Umgang mit dem Iran sind sich Deutschland und China nicht einig. Differenzen, wie sie hier deutlich zutage treten, haben strategischen Charakter und könnten schon bald die Zeit der »Sonnenscheinbesuche« beenden.

Die ökonomische Entwicklung der Volksrepu­blik China ist nach wie vor beeindruckend. Erst vor wenigen Tagen hat die deutsche Botschaft in Beijing neue Wirtschaftsdaten veröffentlicht, die das immense Potenzial des Riesenstaates erahnen lassen. Um 9,8 Prozent hat demnach das Bruttoinlandsprodukt im vergangenen Jahr zugenommen, für 2006 sagt die Weltbank ein Wirtschaftswachstum von 9,2 Prozent voraus. Der gewaltige Aufschwung hat China inzwischen zur viertgrößten Volkswirtschaft der Welt sowie zur drittgrößten Handelsnation gemacht. Aber auch das sei nur eine »Zwischensta­tion auf dem Weg zur Spitzenposition«, heißt es in deutschen Wirtschaftskreisen. Auch die Auslands­in­ves­titionen chinesischer Unternehmen wachsen mittlerweile rasant. Lagen die kumulierten Direkt­in­ves­ti­tionen außerhalb der Volksrepublik Ende 2002 noch bei 32 Milliarden US-Dollar, haben sie seitdem um mehr als die Hälfte auf 50 Milliarden US-Dollar zugenommen.

Für deutsche Unternehmen ist die Aussicht, am chinesischen Wirtschaftswachstum partizipieren zu können, immer noch verlockend. Siemens etwa hat erst kürzlich den Auftrag erhalten, 60 Hochgeschwindigkeitszüge im Wert von 670 Millionen Euro für die Volksrepublik bauen zu lassen. Kaum mehr Züge der dritten Generation des ICE hat der Münchner Konzern bislang insgesamt an die Deutsche Bahn verkaufen können. Die deutschen Investitionen in China nehmen zu, der Handel wächst jährlich mit zweistelligen Prozentraten. Die Bundesregierung will das deutsch-chinesische Handelsvolumen bis zum Jahr 2010 auf 100 Milliarden Euro jährlich verdoppeln. Das entspricht in etwa dem Umfang des gegenwärtigen jährlichen Warenaustauschs zwischen Deutschland und den USA.

Doch inzwischen zeichnen sich auch Rückschläge ab. Vor allem die Autoindustrie und einige Bereiche des Maschinenbaus, traditionell wichtige Branchen des deutschen China-Geschäfts, hatten im vergangenen Jahr deutliche Export­ein­brüche zu verzeichnen. Denn chinesische Betriebe verschaffen sich durch Kooperationen mit westlichen Firmen das Know-how, das erforderlich ist, um technologisch hochwertige Produkte selbst herstellen zu können. Zudem nutzen chinesische Konzerne ihre wachsende Stärke, um ihrerseits zu expandieren – auch nach Deutschland. »Um in Europa Marktanteile zu gewinnen, haben chinesische Unternehmen in den vergangenen Jahren Firmen aufgekauft«, berichtet die stellvertretende Direktorin des Hamburger Instituts für Asienkunde, Margot Schüller. Zwar sei das Volumen »noch sehr gering«, doch die Wirtschafts­presse warnt inzwischen vor der entstehenden Konkurrenz aus Ostasien.

Auf dem Rohstoffsektor ist die Konkurrenz bereits deutlich spürbar. Im vergangenen Herbst etwa kaufte die China National Petroleum Corp. (CNPC) den Konzern PetroKazakhstan und verschaffte sich damit unmittelbaren Zugriff auf Öl- und Gasreserven in Zentralasien. Im Dezember wurde die erste Pipeline aus Kasachstan in die Volksrepublik in Betrieb genommen. Durch sie fließen von nun an jährlich 20 Millionen Tonnen Rohöl nach Osten – Ressourcen, auf die es auch die westlichen Staaten abgesehen haben. China habe seine »Anstrengungen deutlich verstärkt«, »von den Ressourcen des Kaspischen Beckens profitieren zu können«, stellte die EU-Kommission bereits vor mehr als zwei Jahren besorgt fest. Sie konstatierte zugleich, eben diese Rohstoffe seien »für die Energieversorgungssicherheit der EU (…) von entscheidender Bedeutung«.

Die europäisch-chinesische Konkurrenz betrifft auch den Iran. China hat mit dem Golfstaat einen 100-Milliarden-Dollar-Vertrag abgeschlossen, der die Erdgaslieferungen für ein Vierteljahrhundert festschreibt. »Europa will seinen Gasverbrauch steigern und seine Bezugsquellen diversifizieren«, schrieb angesichts des russisch-ukrainischen Gasstreits der Direktor der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), Volker Perthes: »Die Anbindung der iranischen Gasfelder an das europäische Erdgasnetz ist eine attraktive Option.« Die Konkurrenz um die Rohstoffe ist ein wichtiges Element des gegenwärtigen politischen Konflikts um den Iran. Das weitere Vorgehen gegen die Regierung in Teheran wird sicherlich bei Steinmeiers Gesprächen mit der chinesischen Regierung thematisiert werden.

Und nicht nur das. Die Bemühungen Chinas »um die Sicherung des Zugangs zu Energie und Ressourcen« reichten »bis nach Afrika und Lateinamerika«, sagt Margot Schüller vom Institut für Asienkunde. China plant, rund 100 Milliarden US-Dollar in Lateinamerika zu investieren, um dort Kohle, Erz, Erdöl und Erdgas zu erschließen sowie Eisenbahnverbindungen und Häfen für den Rohstofftransport auszubauen. Deutsche Unternehmen könnten dadurch wichtige Marktanteile verlieren, befürchten die Wirtschaftsverbände.

Dieselbe Entwicklung vollzieht sich in Afrika. Erst im Januar hat die China National Offshore Oil Company (CNOOC) für 2,3 Milliarden Dollar 45 Prozent der nigerianischen Ölfirma South Atlantic Petroleum gekauft; das chinesische Interesse an den Erdölvorkommen im Sudan ist seit geraumer Zeit bekannt. »Das beobachtet nicht nur die deutsche Außenpolitik sehr aufmerksam«, sagte Außenminister Steinmeier Ende Januar dem Spiegel.

Wie der Anfang Februar veröffentlichte Quadrennial Defense Review des Pentagon bestätigt, halten die USA die Volksrepublik inzwischen für ihren schärfsten Gegner. Fühlt sich auch die Bundesregierung langfristig bedroht? »Lassen Sie uns nicht auf Begriffe fixieren«, wich Steinmeier im Spiegel-Interview der Frage aus und sagte: »Wir sollten den Begriff der ›strategischen Partnerschaft‹ beibehalten, auch wenn wir Europäer global mit China um Ressourcen und Märkte konkurrieren mögen.« Die deutsche Position in dieser Konkurrenzsitua­tion zu verbessern, ist das Ziel, das der Außenminister in der kommenden Woche in der chinesischen Hauptstadt verfolgen wird.