Alle wollen Bonny Light

Die eskalierenden Konflikte im Süden Nigerias künden von der Fragmentierung der Allianzen zwischen Milizengruppen und der Öl-Oligarchie des Nigerdeltas. von ruben eberlein

Pünktlich zum Abschluss der Reise des britischen Außenministers Jack Straw in Port Harcourt hatte die nigerianische Luftwaffe am Mittwoch der vergangenen Woche eine außergewöhnliche Präsentation im Programm. Erstmals nahm sie von Hubschraubern aus Schiffe unter Beschuss, deren Besatzung verdächtigt wurde, im Nigerdelta Pipelines anzuzapfen und illegal Erdöl zu exportieren. Der Regierung unter Präsident Olusegun Obasanjo liegt vor den Wahlen 2007 viel daran, einem wichtigen Verbündeten zu demonstrieren, dass sie den bewaffneten Konfrontationen in der Region nicht machtlos gegenübersteht. Während der vergangenen Monate hatten Milizen den dort geführten Krieg niedriger Intensität mit töd­lichen Angriffen auf Armeeposten, Erdölanlagen und der Entführung von vier ausländischen Shell-Mitarbeitern erneut in den Fokus der internationalen Berichterstattung geschossen. Am Samstag begann eine neue Offensive, unter anderem wurdenneun ausländische Mitarbeiter von Ölfirmen entführt. Die »Bewegung für die Emanzipation des Nigerdeltas« bezeichnete die Angriffe als Reaktion auf den Hubschraubereinsatz.

Ein Teil der Aufständischen fordert neben der Sezession des ölreichen Südens die Freilassung zweier prominenter Akteure aus dem Nigerdelta, die seit September 2005 in Haft sitzen. Der Gouverneur von Bayelsa State, D.P.S. Alamieyeseigha, wurde auf Ersuchen der Economic and Financial Crimes Commission (EFCC) Nigerias in Großbritannien vorüber­gehend verhaftet. Die Anklageschrift legt ihm Geldwäsche über verschiedene Firmen, Immobilien und Firmenbeteiligungen zur Last. Außerdem sollen Alamieyeseigha und enge Familienangehörige in Nigeria, Dänemark, den USA und Zypern über erheblichen Reichtum ungeklärter Herkunft verfügen. Trotz Meldeauflagen gelang ihm die spektakuläre Flucht nach Nigeria, doch aus der politischen Rückkehr des »Governor General of the Ijaw Nation« wurde nichts. Er wurde erneut festgenommen, abgesetzt und aus der regierenden PDP ausgeschlossen.

Eine andere zentrale Figur des Nigerdeltas, Asari Dokubo, musste zur selben Zeit einen ähnlich rasanten Absturz erdulden. Den ehemaligen Verbündeten des PDP-Gouverneurs des Bundesstaates Rivers, der Mitte 2004 der Provinzregierung und dem Zentralstaat den Krieg erklärt hatte und nur durch ein großzügiges Entwaffnungsabkommen pazifiziert werden konnte, drängte es einmal zu oft ins Rampenlicht. In einem Interview erneuerte Dokubo sein Ziel, den Nigeria mit bewaffneten Angriffen gegen Armee, Regierungsinstitutionen und Ölfirmen zerschlagen zu wollen. Tausende Kleinwaffen, aber auch Luft­abwehrraketen, eine beachtliche aktive Anhängerschaft und breite Sympathie in der Bevölkerung geben dieser Drohung ihren Gehalt.

Ein feines Gespür für die Befindlichkeiten ausländischer Beobachter zeigt nicht nur die nigerianische Regierung. Ein Teil von Dokubos Unterstützern nennt sich »Märtyrerbrigaden«. Er selbst, Sohn eines Richters und erfolgloser Kandidat in zwei Regionalwahlen, betont gern seinen Übertritt zum Islam, zu dem ihn die iranische Revolution motiviert habe. Dieses ostentative Spiel mit dem Jihadismus richtet sich insbesondere an die internationale Politik. Die Euro­päische Union, vor allem Großbritannien, und die USA haben mit dem Öl- und Gasimport und Unternehmen wie Shell, ChevronTexaco, Mobil und Agip erhebliche ökonomische Interessen im Nigerdelta, das durch krasse soziale Ungleichheit geprägt ist. In Rivers und Bayelsa selbst dominiert der ethno-nationalistische Diskurs. Dokubo, der sich als Nachfahre eines Sklavenhändlers, Kriegsherrn und Gründers des Königreichs Kalabari bezeichnet, versteht sich als Kämpfer gegen die korrumpierte »Ijaw-Intelligenzia«.

Während der vergangenen fünf Jahre etablierte sich der Ijaw-Nationalismus zen­tral im politischen Mainstream der Erdöl fördernden Staaten des Deltas. Alamieyeseigha sprach in der Vergangenheit regelmäßig auf Einladung von Diaspora-Vereinigungen in den USA und Großbritannien zur neu konstruierten Geschichte der Ijaw. Ein zentraler Referenzpunkt die­ses indigenen nation building ist der Aufstand des Polizeioffiziers Isaac Adaka Boro vom Februar 1966. Boro rief die zwölf Tage währende »Niger Delta Republic« aus, trat allerdings nach seiner Verhaftung der Zentralarmee bei und spielte in den darauf folgenden Jahren eine entscheidende militärische Rolle beim Sieg der Förderalisten gegen die Separatisten von Biafra.

Die Einkünfte aus dem Export von Erdöl und seinen Derivaten – Nigeria steigt derzeit zu einem der weltweit größten Produzenten von Erdgas auf – stellen die materiellen Grundlagen für lokale Herrschaftsstrukturen bereit. Neben der Zuteilung von 13 Prozent der Einnahmen aus dem Verkauf des in den Bundesstaaten geförderten Öls gibt es auch undokumentierte Zuflüsse. Die jährlichen Einkünfte aus der nicht registrierten Förderung und Ausfuhr von Erdöl werden auf 1,5 bis vier Milliarden US-Dollar geschätzt.

Klare Grenzen zwischen legalen und illegalen Exporten gibt es wegen des klandestinen Charakters des gesamten Ölgeschäfts nicht. Das motiviert Spekulationen über die Herkunft des enormen Reichtums, den die Gouverneure und ihre Vertrauten in den vergangenen Jahren zusammentragen konnten. Alamieyeseigha soll einem Bericht der EFCC zufolge auch eine Raffinerie in Ecuador besitzen. Ende 2005 berichteten zwei nigerianische Journalisten auf ihrer Website (www.elendu reports.com) über eine Firma, die im Internet die Lieferung von monatlich sechs Millionen Barrel der begehrten Erdölsorte »Bonny Light« anbot. Das ist fast ein Zehntel der gesamten Produktion Nigerias. Die Frau des Gouverneurs von Delta State, Theresa Nkoyo Ibori, soll eine leitende Funktion in diesem Unternehmen innegehabt haben.

Seit dem Übergang zur Zivilherrschaft im Jahr 1999 konnten die Bundesstaaten des Deltas ihre Autonomie gegenüber der Zentralregierung, die von vielen Einwohnern aus gutem Grund als koloniale Besatzung empfunden wird, erheblich ausbauen. Am repressiven Charakter der räuberischen Rentenökonomie änderte das nichts. Milizen, unter ihnen Dokubo und seine Truppe, erledigten während der Wahlfarce von 2003 für die lokalen PDP-Anwärter die Drecksarbeit und erhielten im Gegenzug die Kontrolle über lukrative Ölschmuggel-Routen.

Straw lobte die Wahlen vor drei Jahren als einen »Wendepunkt für den Fortschritt der Demokratie Nigerias«. Jetzt erweisen sich die damals etablierten Allianzen zwischen den Warlords und der Petro-Oligarchie des Nigerdeltas als äußerst fragil. Einem gestern noch mit Loyalitätsbekundungen überhäuften Gouverneur kann morgen schon weniger Achtung als einem gewöhnlichen Taschendieb entgegengebracht werden. »Alamieyeseigha teilte sein Geld nicht mit uns«, zitierte Africa Confidential die Frau eines örtlichen Chiefs. »Wenn er hierher kommt, werde ich persönlich eine Pistole nehmen und ihn erschießen.«