Sag einfach Maccaroni

Die Underground-Ikone Miranda July hat mit »Ich und Du und Alle, die wir kennen« ihren ersten Spielfilm gedreht und international alle Preise abgeräumt. von sonja eismann

Wunderliche Dinge könnten geschehen. Bald könnte man Menschen sehen, auf deren T-Shirts »))(( forever« steht. Manche von ihnen werden sich gegenseitig anrufen, »Maccaroni« sagen und auflegen. Oder Zettel mit erotischen Botschaften an ihre Fenster kleben. Irgendwer wird sich vielleicht sogar die Hand mit Feuerzeugbenzin übergießen und anzünden.

Das könnte geschehen, falls »Ich und Du und Alle, die wir kennen« das deutschsprachige Publikum erobern kann. Denn Miranda Julys erster Spielfilm ist voll mit solchen spleenigen Idiosynkrasien, die sich hervorragend dazu eignen, als Insider-Codes liebevoll imitiert zu werden. Doch ob der Film der multitalentierten Miranda July, die neben zahllosen anderen Auszeichnungen die Goldene Kamera in Cannes und den Preis der großen Jury in Sun­dance abräumen konnte, auch hierzulande reüssiert, muss sich erst noch zeigen: Aus einer Traube männlicher Kritiker in Köln war nach der Pressevorführung zu hören, Frauen könnten einfach keine Filme inszenieren. Zu abgehoben, zu »gefühlig«.

Die Regisseurin mit ihrem eindeutig Kunst- und Underground-bezogenen Hintergrund selbst fürch­tet, dass »Deutschland wirklich hart« sei. »Ich bin mir nicht sicher, ob ich meinen eigenen Film anschauen würde, wenn mir jemand erzählen würde, worum es geht«, erklärt Miranda July lachend. Ihr sei es nie gelungen, sich einen schnittigen Slogan zur Bewerbung des Films auszudenken. Stattdessen habe sie auf ihrer Ochsentour durch potenzielle Geldgeberbüros immer nur versucht, die Stimmung des Films zu performen. Was so gut ankam, dass sie neun lange Monate von Tür zu Tür laufen musste, bis endlich die nötigen Gelder beschafft waren.

Eine vermarktbare Tagline müsste wohl so lauten: »Durchgeknallte Künstlerin verliebt sich in frisch geschiedenen Schuhverkäufer.« Aber der Film entzieht sich einer Verschlagwortung. Die im San Fernando Valley, L.A.s provinziellem Hinterhof, gedrehten Episoden schwelgen in dem Kinder­glauben, dass irgendwann in der eigenen Zukunft etwas Magisches geschehen müsse, von dem ich und du und alle, die wir kennen, ahnen, dass es sich nicht nur immer weiter verzögert, sondern möglicherweise niemals passiert.

Im Mittelpunkt der lose verknüpften Erzählstränge steht die Künstlerin Christine Jesperson, gespielt von Miranda July, die sich als Fahrerin von Rentner-Taxis ihren Lebensunterhalt verdient und versucht, mit ihren Multimedia-Performances in die arrivierten Galerien vorzurücken. Auf das Ende eines Videobandes, das sie völlig demotiviert einer Kunstkuratorin zukommen lässt, spricht sie: »Nie im Leben schauen Sie sich das Band bis hier an. Ich könnte etwas völlig Verrücktes tun … Falls Sie es doch gesehen haben, rufen Sie mich an und sagen einfach ›Maccaroni‹.«

Christine verliebt sich in den Schuhverkäufer Richard (John Hawkes), der gerade von seiner Frau verlassen wurde. Während ihres Auszugs aus dem gemeinsamen Haus versucht er, die beiden gemeinsamen Söhne damit zu beeindrucken, dass er seine Hand kurz in Flammen setzt. Er wählt aus Versehen den falschen Brennstoff, seine Hand verbrennt und Robby, 7, und Peter, 14, sehen ihm entgeistert zu. Robby, der noch gar nicht richtig schreiben kann, macht mittels Copy & Paste-Verfahren im Flirt-Chat­room eine groteske Bekanntschaft, die seine kindlichen Fäkalphantasien »hot« findet. Die Zeichenkombination »))((» bedeutet nichts anderes als: »I’ll poop into your butthole and then you’ll poop it back into my butt and we’ll keep doing it back and forth with the same poop forever.«

Der ältere Bruder Peter, den die Regisseurin speziell wegen seines »unmachohaften Aussehens« ausgewählt hat, wird von zwei vorlauten Schulkameradinnen als Versuchskaninchen zum Test ihrer Kunstfertig­keit beim oralen Sex missbraucht. Den hatte nämlich ein Kollege von Peters Vater Richard auf obszönen Botschaften, die er speziell für die Mädchen an seine Fensterscheibe geklebt hatte, eingefordert. Peter hingegen interessiert sich mehr für die 10jährige Sylvie, die wie ein uraltes Kind davon träumt, eine perfekte Aussteuer zusammen zu bekommen und bereits eine Armada von Haus­halts­geräten in ihrer Mitgift-Truhe hortet.

In jeder der potenziell höchst entflammbaren Begegnungen lässt July die ProtagonistInnen verletzlich und unsicher wirken, ohne sie je zu denunzieren. Eine der befreiendsten Szenen des Films ist jene, in der die zwei neugierigen Teenager-Mädchen mit dem erwachsenen Absender der erotischen Botschaften die Phantasien in die Tat umsetzen wollen. Der versteckt sich jedoch, entsetzt von seinen eigenen Obsessionen, woraufhin die Mädchen erlöst lachend davonrennen. »Oft«, erzählt July, »hat es eine viel größere emotionale Kraft, gewisse Grenzen eben nicht zu überschreiten. Wenn das Publikum fast gelähmt ist vor Angst um das Wohl­ergehen der Charaktere, machen die Leute emo­tional dicht. So eine Szene wie jene mit den Mädchen entfaltet eine viel größere Wirkung, wenn man sie gerade noch mal entkommen lässt, als wenn man sie durch eine schreck­liche Sexszene schleifen würde.«

Julys unverblümter und doch behutsamer Umgang mit vermeintlichen Tabuthemen wie z.B. kindlicher Sexualität, Passion im Alter (Christine betreut ein altes Liebespärchen) oder »Race« (hier völlig selbstverständlich und nebensächlich im Form von Richards afro-kau­kasischer Familie abgehandelt), lässt sich im Ansatz sicherlich bis zu ihren Hippie-Eltern zurückverfolgen, die in Berkeley seit 1977 den Öko-Eso-Verlag North Atlantic betreiben. Viel wichtiger für den unglaublichen Output der 1974 als Miranda Grossinger in Vermont geborenen Künstlerin, die nie eine Kunsthochschule besuchte, war aber die kreative und explizit politische Explosion von Riot Grrrl. In Portland war July ganz nah dran am Epizen­trum der Revolution Girl Style, betrieb mit einer Freundin ein Fanzine, führte auf Punkbühnen ihre Performances auf, war Mitbegründerin der Band The Need, nahm für das Label Kill Rock Stars vier Performance-Platten auf und gründete den Filmvertrieb Big Miss Movieola.

Doch damit nicht genug: Mit »Joanie 4 Jackie« schuf sie ein geniales Kettenbrief-Videosystem für Frauen, das vor allem dazu gedacht war, Filmproduzentinnen abseits urbaner Zentren miteinander zu vernetzen. Heute ist sie in der etablierten Kunst­welt angekommen, ohne der punkigen Do-It-Your­self-Ästhetik abzuschwören. All ihren Projekten ist ein starker Bezug auf die Alltagskultur und auf das vermeintlich Banale gemein, das jedoch durch einen schrägen Blick oder unerwartete Interventionen so verfremdet wird, dass es beinahe surreal erscheint. So blitzen auch in »Ich und Du« absurde Situationen auf, die inmitten des realistischen Settings traurig-ironisch und magisch wirken – ähnliches kennzeichnete schon ihre frühen Performan­ces wie The Swan Tool, wo sie sich als reale Figur, die nicht weiß, ob sie leben oder sterben soll, durch die Filmprojektion eines Versicherungsgroßraumbüros bewegte.

Ihre Kurzfilme, Performances, Installa­tionen und partizipatorischen Internet-Projekte wurden mittlerweile in den renommiertesten internationalen Museen, u.a. im Guggenheim, und bei der Whit­ney Biennale gezeigt, ihre Kurzgeschichten werden in Paris Review und Harvard Review veröffentlicht, und sie wird immer wieder als Gastlektorin an Uni­versitäten verpflichtet. Der nächste Spielfilm ist be­reits finanziert – und Miranda July hoffentlich nur das erste von vielen ehemaligen Riot-Grrrls, die als zukünftige Indie-Superstars den öden Status quo aufmischen werden.

»Ich und Du und Alle, die wir kennen« (USA 2005) R: Miranda July; D: Miranda July, John Hawkes, Brandon Rat­cliff, Miles Thompson; Start 23. Februar