Ein Link für Rechte

Das rechtsextreme Internetportal »Störtebeker-Netz« bietet jedem Neonazi etwas. Trotzdem streitet die rechte Szene darüber. von martin behrens

Sie waren der Alptraum jedes Kaufmanns: die so genannten Vitalienbrüder. »Gottes Freund und aller Welt Feind« – das war ihr Topos, Nord- und Ostsee ihre Jagdreviere. Als Rächer der Armen kämpften sie im späten 14. Jahrhundert gegen das frühkapitalistische System der Hanse. Ihre Beute teilten sie gerecht untereinander auf. Vor allem Klaus Störtebeker (»Stürz den Becher«) handelte sich später, wohl allein wegen seines klingenden Namens, den Ruf ein, ein »Robin Hood der Meere« gewesen zu sein. »Sein Wirken muss als sozialer Protest der Unterdrückten und Ausgebeuteten gegen das Handelsbürgertum gewertet werden«, schrieb der DDR-Historiker Johannes Schildhauer im Jahr 1981.

Gut 600 Jahre nach seinem Tod ist Störtebeker vor allem eines: ein romantisch verklärter Volksheld. Stark, mutig und trinkfest soll er gewesen sein. Selbst ein Bier trägt mittlerweile seinen Namen: »Störtebeker – das Bier der Gerechten«. Die Störtebeker-Festspiele auf Rügen ziehen seit Jahren Tausende Touristen an.

Doch aus dem Mythos Störtebeker bedienten sich auch schon die Nationalsozialisten. Sie machten aus ihm zu Zwecken der Propaganda einen »nor­dischen Freibeuter«. Und auch die Rechtsextremis­ten von heute beziehen sich auf ihn. Das besondere Interesse der Rechten am »Mythos Störtebeker« be­ruhe darauf, dass er »ein Rebell war, der gegen das Handelssystem kämpfte«, glaubt der Vorsitzende der NPD in Ostvorpommern, Christian Deichen. Das mache ihn zu einem »vorkämpferischen Ideal, das Freiheit und Kampf dem ›Establishment‹ symbolisiert«. Die rechte Szene brauche solche »historischen Vorbilder, die international als Staatsfeinde gelten«. Auch wenn »das mit dem eigentlichen Störtebeker nicht viel gemein hat – abgesehen von der Fight-the-System-Einstellung«.

Eines der wichtigsten Internetportale der Neonazis nennt sich »Störtebeker-Netz«. Der Verfassungsschutz rechnet es zu den aktivsten rechtsextremen Seiten im Internet. Seine Aufmachung und Funktionsweise wirken, als seien sie von Indymedia abgeguckt. Betrieben wird das Portal seit dem Jahr 1998 vom Stralsunder Neonazi Axel Möller. Täglich kommentiert er am Computer in seiner Dachgeschosswohnung Politik und Gesellschaft.

Das Ziel des »Störtebeker-Netzes« ist es, allen nationalistischen und »nicht-parlamentarisch organisierten Gruppen« ein Forum abseits der verhassten »Systempresse« zu bieten. Besonders rege verfolgte das Portal in den vergangenen Monaten die Prozesse gegen die Geschichtsrevisionisten Germar Rudolf, Ernst Zündel und den in der vergangenen Woche in Wien zu drei Jahren Haft ohne Bewährung verurteilten David Irving. Bereits auf der Startseite, auf denen Fotos der Holocaust-Leugner abgebildet sind, wird zur Solida­rität mit ihnen aufgerufen. Wobei sich zumindest Irving diese zuletzt verspielt hat, als er eingestand, dass »neue Akten« ihn von der Existenz des Holocaust überzeugt hätten. Als »Umfallen« und »Canossa-Gang« wurde dies bewertet. So werde Irving nicht zu einem »Helden und zu einer unsterblichen Gestalt in der Historikerzunft«.

Auch für die jüngsten islamistischen Proteste gegen die Mohammed-Karikaturen in­teressiert sich das »Störtebeker-Netz«. Es zeigt Fotos von muslimischen Frauen in Bur­ka mit Transparenten wie »God bless Hitler«, um sich allerdings umgehend »aus rechtlichen Gründen« von ihnen zu distan­zieren. Diese Taktik ist typisch für Möller.

Manchmal gibt er sich aber auch ganz offen zu erkennen. Einmal war auf der Internetseite zu lesen: »Bei einem palästinensischen Selbstmordattentat kamen acht Men­schen und elf Juden ums Leben.« Die Res­tau­rierung jüdischer Friedhöfe wurde als finanzielle »Verschwendung« bezeichnet. Man könne sich nur wünschen, dass sie »mög­lichst bald ihrer eigentlichen Bestimmung wieder zugeführt werden, damit die Kosten dafür wenigstens ansatzweise reinkommen«.

Möller schreibt den Holocaust stets in Anführungszeichen. Er zählt sich zu jenen Menschen, die am Holocaust-Gedenktag »keine Betroffenheit heucheln, die man gar nicht wirklich empfindet«. Der Holocaust und die »offizielle Geschichtsschreibung« beruhten ja ohnehin nicht »auf professoralen Lehrmeinungen, son­dern in erster Linie auf dem Paragrafen 130 des StGB«.

Möller hat allerdings, und das nimmt ihm die Szene übel, die Vorliebe, »seine (seiner Meinung nach) intellektuelle Überlegenheit gegenüber durchschnittlich begabten Szeneangehörigen allzu gerne zu zelebrieren«, analysiert der Verfassungsschutz. Seine »unverblümten, oftmals demütigenden und herablassenden Nachrichten sind für manche Personen genauso unangenehm wie zu jener Zeit die Überfälle Störtebekers auf die Hanse-Flotte«, meint das NPD-Mitglied Christian Deichen.

Freilich zielt er damit nicht auf Möllers rechtsextreme Hetze ab, sondern auf dessen Kommentare über die NPD. Sie sei ein »nationaler Wander­zirkus«, macht sich Möller lustig. Er selbst bezeich­net sich als »freien Nationalisten«. Mit der Partei, deren zweiter Vorsitzender er in Stralsund einmal war, liegt er seit Jahren im Streit. Mit Millionen von Zugriffen im Jahr ist sein »Störtebeker-Netz« eine wichtige Adresse für Rechtsextremisten, und trotzdem gilt er manchen inzwischen als »Unperson«. »Schließt endlich die Störtebeker-Seite! Glaubt nicht seinen Lügen!« fordert etwa die »Pommersche Aktionsfront« .

Das könnte man als die gute Seite des »Störtebeker-Netzes« bezeichnen: Wegen Möller zerstreitet sich die Szene. Er wird als Meister der Intrige gesehen, der Insider-Gerüchte streue, die Motiva­tion der Mitglieder senke und Unmut säe.

Juristische Konsequenzen gab es für seine neonazistische Hetze im »Störtebeker-Netz« bisher keine. Er stellt seine Propaganda in den USA ins Internet.

Eigenartig mutet der Spruch an, der auf der Startseite des Internetportals zu lesen ist. Er stammt von dem Psychologen Gustave Le Bon und könnte auf das »Störtebeker-Netz« selbst gemünzt sein: »Nie haben die Massen nach Wahr­heit gedürstet. Von den Tatsachen, die ihnen missfallen, wenden sie sich ab und ziehen es vor, den Irrtum zu vergöttern, wenn er sie zu verführen vermag. Wer sie zu täuschen versteht, wird leicht ihr Herr, wer sie aufzuklären sucht, stets ihr Opfer.«