Revision der Revision

Zum Ausgang des Wiener Irving-Prozesses. von heribert schiedel

Das iranische Establishment wird sich wohl weitgehend ohne prominente europäische »Revisionisten« an der Leugnung oder Relativierung der Shoah abarbeiten müssen. Zur geplanten Konferenz in Teheran werden zumindest Horst Mahler, Robert Faurisson und David Irving nicht anreisen. Mahler wurde der Reisepass abgenommen, Faurisson hat Angst, dass ihn die »Zionisten« ermorden oder verhaften. Auch weitere mögliche Teilnehmer an der »revisionistischen« Konferenz wie Ernst Zündel, Germar Rudolf und Siegfried Verbeke befinden sich derzeit in Haft, und Irving wurde am 20. Fe­bruar in Wien nach fast zehnstündiger Verhandlung zu einer – nicht rechtskräftigen – dreijährigen Haft­strafe verurteilt. Im November 2005 war er während eines Aufenthalts in Österreich aufgrund eines Haftbefehls aus dem Jahre 1989 festgenommen worden. Der Vorwurf der Staatsanwaltschaft lautete: na­tio­nal­so­zia­lis­ti­sche Wiederbetätigung.

Der iranische Außenminister Manouchehr Mottaki verlautbarte einen Tag nach der Verurteilung Irvings, dass es ein »westliches Paradox« sei, einerseits – etwa im »Karikaturenstreit« – die »Meinungsfreiheit« zu propagieren und sie andererseits einzuschränken, wenn es um die NS-Verbrechen gehe.

Aber auch Liberale meinen, in die Diskussion über eine angebliche Einschränkung der bürgerlichen Freiheitsrechte einstimmen zu müssen. Im Falle von Islamisten und Neonazis tritt der Antisemitismus hinter der Forderung nach Straffreiheit für das Leugnen der Shoah deutlich zu Tage. Demgegenüber ist den Liberalen vor allem Naivität und ein falscher Begriff von »Meinung« zu attestieren. Denn bei der Leugnung des Menschheitsverbrechens handelt es sich nicht um eine Meinungsäußerung, sondern um einen Teil dieses Verbrechens. Bereits die Nazis begannen, die Spuren ihrer Taten zu verwischen, die »Revisionisten« setzen diese Arbeit bloß auf anderer Ebene fort. Wer es also gutheißt, die NS-Verbrechen juristisch zu ahnden, muss auch deren Leugner zur Rechenschaft ziehen.

Was den liberal-naiven Glauben an die Durchsetzungsfähigkeit der historischen Wahrheit, welche keinen Schutz durch Gesetze bedürfe, betrifft, so muss aber der jeweilige Hintergrund berücksichtigt werden. Es macht einen Unterschied, ob »Mei­nungsfreiheit« auch für neonazistische Geschichtsfälscher in vormals alliierten und im Unterschied zu Österreich tatsächlich besetzten Ländern oder in den Nachfolgestaaten des »Dritten Reichs« und jenen mit ausgeprägter Kollaboration gefordert wird. Im Falle der erstgenannten trifft die Leugnung oder Relativierung der Shoah nicht auf das weit über die Grenzen des Rechtsextremismus hinaus vorherrschende Bedürfnis nach Entlastung und Abwehr.

Ein David Irving wird in Großbritannien wohl tatsächlich vor allem nur belächelt, in Österreich wird er jedoch von einer Regierungspartei zu Vorträgen eingeladen und nicht nur in der Neonazi-Szene als »Historiker« respektiert. Der bis heute viel strapazierte »antifaschistische und demokratische Konsens« der Zweiten Republik hat sich nie in dem Maße durchgesetzt, wie es die Kritiker der NS-Verbotsgesetze glauben machen wollen.

So notwendig dieses Gesetz in Österreich angesichts der Schwäche des Antifaschismus also (noch) ist, so problematisch sind aber auch seine mittelbaren Auswirkungen. Es verbreitet in der notorisch autoritätshörigen Gesellschaft eine falsche Sicherheit. Diese führt dazu, dass die Sensibilität gegenüber Rassismus und Antisemitismus mit deren strafrechtlicher Relevanz abnimmt. Der legale Rechtsextremis­mus erfährt mit der rechtlichen oft auch die politische Absolution. Nicht inkriminierte rechtsextreme Handlungen und An­sichten werden so nicht weiter infrage gestellt und normalisiert. Und das NS-Verbot begünstigt die herrschende Doppelbödigkeit:

Vor lauter Zufriedenheit mit der Justiz, die an Irving wohl auch ein Exempel statuiert hat, wird vergessen, dass es die Anhängerschaft seiner kruden Thesen mittlerweile in Amt und Würden geschafft hat. Kaum jemand redet davon, dass es der FPÖ-Akademikerverband war, der Irving 1989 ein Podium verschaffte, damit er jene Lügen verbreiten konnte, welche ihm nun zum Verhängnis wurden. Gleiches gilt für die Tatsache, dass Irving im November vergangenen Jahres bei der Wiener Burschenschaft Olympia, die zahlreiche FPÖ-Kader zu ihren Mitgliedern zählt, hätte auftreten sollen.

Schon vor der Hauptverhandlung sickerte durch, dass Irving sich schuldig im Sinne der Anklage bekennen werde. Darüber hinaus wollte er plötzlich die Gaskammermorde in Auschwitz nicht mehr bestreiten. Er habe Anfang der neunziger Jahre dokumentarische Beweise dafür zu Gesicht bekommen, blieb jedoch eine Erklärung schuldig, warum er mehr als zehn Jahre benötigte, um seine Überzeugung – vor Gericht von ihm als »methodischer Formfehler« verharmlost – öffentlich zu revidieren. Folgerichtig nahm ihm das Gericht die späte Einsicht nicht ab und deutete das Schuldeingeständnis als ein aus prozess­taktischen Gründen abgelegtes »Lippenbekenntnis«.

Gleiches taten übrigens seine vormaligen Kameraden, die ihm nun dennoch »Verrat« vorwerfen. Im letzten Moment wurde noch versucht, Irving von der Notwendigkeit eines neuen Verteidigers zu überzeugen: Der berühmt-berüchtigte Wiener Nazi-Anwalt Herbert Schaller hätte vor Gericht wohl versucht, den »Wahrheitsbeweis« für die Behauptungen des germanomanischen Briten zu erbringen und die Legitimität des Verfahrens in Abrede zu stellen. Irving wäre dann zwar zu einer weit höheren Haftstrafe verurteilt worden, aber der Szene zumindest als »Mär­tyrer« weiter nützlich gewesen. Jedoch war der drohende Schaden für die »revisionistische« Szene nicht mehr abzuwenden.

Wie ernst Irvings »Läuterung« zu nehmen ist, zeigt sich auch daran, dass er die im Gerichtssaal ohnehin nur widerwillig formulierte Entschuldigung bei den jüdischen NS-Opfern, die er zuvor in die Nähe der Psychopathologie gerückt hatte, nur zwei Tage später gegenüber einem britischen Fernsehsender wieder zurückgenommen hat.

Sein öffentlichkeitswirksames Abschwören hat – unabhängig von seiner Glaubhaftigkeit – auch etwas Gutes: Die »Revisionisten«-Szene verlor damit einen ihrer wichtigsten Exponenten. Kein anderer rechtsextremer Pseudo-Historiker hat mehr Bücher verkauft als Irving.

Der 1992 nach Spanien geflohene Neo­nazi Gerd Honsik, eine der Schlüsselfiguren im internationalen Ge­schichts­fälscher-Netzwerk mit seinen neuen Zentren im Iran und in vielen arabischen Staaten, hat angesichts Irvings »Rückgratlosigkeit« das Verdikt ausgesprochen: »Nicht von David Irving, sondern von Männern wie Ernst Zündel wird der Revisionismus künftig repräsentiert sein.«