»Was sollen wir in der Türkei machen?«

Familie Aydin

Seit 17 Jahren lebt die kurdische Familie Aydin in Deutschland. Nun sollen die Eltern und sieben der elf Kinder abgeschoben werden, weil Feyyaz Aydin bei seinem Asylantrag anfangs falsche Angaben gemacht hat. Es gebe »keine relevanten Gründe für das Hierbleiben der Familie«, meint der Berliner Innensenator Ehrhart Körting (SPD). Mitte Februar wurde ihre Duldung um einen Monat verlängert.

Deniz Yücel besuchte die Familie in ihrer Doppelwohnung in Berlin-Friedrichshain.

Woher kommen Sie ursprünglich?

Feyyaz Aydin: Wir stammen aus dem Dorf Yesiliköy bei Mardin im Südosten der Türkei. Dort sprechen wir Kurdisch und Arabisch, Türkisch lernen wir erst in der Schule. Ich habe als Spediteur gearbeitet. Ich besaß einen Lkw, mit dem ich in den Iran und den Irak gefahren bin. Finanziell ging es uns gut. Dann begann die kurdische Bewegung, und ich bekam Probleme.

Sie haben sich an der Bewegung beteiligt?

Feyyaz: Ich war nie Mitglied der PKK. Aber damals wurde alles Kurdische unterdrückt. Deswegen musste ich meine patriotische Pflicht erfüllen. Dann wurde ich denunziert und festgenommen. Man brachte mich nach Diyarbakir. Das war die Hölle. Sehen Sie meine Handgelenke? Sie sind immer noch geschwollen. Und den zerquetschten Finger? Ich wurde mit Säure und Elektroschocks gefoltert. Man bot mir an, mit der Polizei zusammenzuarbeiten, und ließ mich laufen. Was hätte ich tun sollen? Ich hatte einen Reisepass, für meine Ehefrau und meine Kinder musste ich für viel Geld Pässe besorgen. Dann sind wir geflohen. Nicht mal meinen Lkw konnte ich verkaufen.

Sie waren bereits verheiratet?

Cemile: Natürlich. Wir haben 1977 geheiratet. Als wir 1989 nach Deutschland kamen, hatten wir sieben Kinder. Die vier anderen kamen hier zur Welt. Meine älteste Tochter ist 29, meine jüngste, Gülbahar, ist sechs. Außerdem haben wir fünf Enkel.

Wie erzieht man elf Kinder?

Cemile: In unserer Kultur sind viele Kinder üblich, und ich liebe Kinder. So wurden es am Ende elf. Aber keines von ihnen hat hier irgendwelche Straftaten begangen.

War es für Sie sehr schwierig, plötzlich in Deutschland zu sein?

Cemile: Wie könnte es leicht sein? Du bist in einem fremden Land, du verstehst die Sprache nicht, du kennst niemanden. In den 17 Jahren haben wir versucht, uns anzupassen, aber für uns ist es immer noch schwierig. Auch wenn wir ein bisschen Deutsch können und gerade einen Sprachkurs besuchen. Aber unsere Kinder sehen Deutschland als ihr Heimatland an.

Ist das so?

Mehmet: Natürlich. Als wir unsere Augen aufgemacht haben, waren wir in Deutschland. Unsere Wurzeln sind hier.

Hayriye: Auf jeden Fall. Ich wohne auch gerne in Friedrichshain. Kreuzberg, wo ich zur Schule gehe, ist zwar gut, um dort abzuhängen. Aber zum Leben ist es hier besser.

Sie kamen nicht gleich nach Berlin?

Feyyaz: Nein, nach Braunschweig. Von dort wurden wir nach Rinteln in Nieder­sachsen geschickt. Dort haben wir uns wohl gefühlt, aber dann bekamen wir Probleme mit der kurdischen Organisa­tion. Sie forderten, dass ich mit ihnen zusammenarbeite, und als ich das ablehnte, entführten sie meine älteste Tochter. Gleichzeitig verlangte der türkische Geheimdienst von mir, dass ich für ihr arbeite. Wir flohen ein zweites Mal, diesmal nach Berlin. Hier stellte ich einen neuen Asylantrag, bei dem ich einen anderen Namen angab und sagte, dass wir aus dem Libanon stammen.

Diese Lüge will Ihnen der Berliner Innensenator nicht verzeihen.

Feyyaz: Jeder andere hätte in meiner Situation genauso gehandelt, auch der Senator. Ich akzeptiere jede Strafe für mein Fehlverhalten. Aber warum sollen meine Kinder dafür büßen?

Wie kam Ihre wahre Identität heraus?

Feyyaz: Die kam schon 1993 heraus. Die Ausländerbehörde rief mich und sagte: Du bist nicht aus dem Libanon, du bist Aydin aus der Türkei. Ich hätte leugnen können. Beweisen konnten sie nichts, und woher sie die Information hatten, wollten sie nicht sagen. Trotzdem gab ich es zu.

Seitdem sind 14 Jahre vergangen. Was ist danach passiert?

Cemile: Einmal haben sie versucht, uns abzuschieben. 1998 wurden wir nachts von Polizisten geweckt. Mit allen Kindern brachten sie uns ins Polizeipräsidium. Gott sei dank hat uns unser Anwalt rausgeholt.

Feyyaz: Danach habe ich einen Folgeantrag gestellt. Seitdem haben wir immer für sechs Monate eine Duldung bekommen. Das ging bis Oktober 2004 so weiter. Dann lehnte das Gericht meinen Antrag endgültig ab. Wir sind zur Härtefallkommission gegangen. Die haben gesagt, dass man uns eine Aufenthaltsgenehmigung geben soll. Aber der Senator lehnt das ab. Er will mich und meine Frau abschieben, außerdem vier der Kinder. Unsere vier ältesten sind verheiratet, die können bleiben. Drei meiner Töchter auch. Aber nur, bis sie ihre Schule beendet haben.

Cemile: Verstehen Sie das? Der deutsche Staat bildet sie aus und schickt sie dann weg. Das ist, als ob Sie einen Apfelbaum pflanzen und gießen und in dem Moment, in dem er Früchte trägt, ihn mit einer Axt fällen.

Könnt ihr euch vorstellen, in der Türkei zu leben?

Hayriye: Ich weiß gar nicht, wie es dort aussieht und was ich da machen soll. Ich soll ja nicht sofort gehen, sondern bei einer Gastfamilie bleiben, bis ich meine Ausbildung beendet habe.

Mehmet: Ich soll sofort abgeschoben werden. Ich kann es mir nicht vorstellen, dort zu leben. Ich kenne das Land nicht, ich kann nicht mal Türkisch.

Was macht ihr zurzeit?

Mehmet: Ich habe die Schule beendet und besuche die Tüv-Akademie. Aber manchmal frage ich mich: warum eigentlich? Ich kann hier zur Schule gehen, aber schon eine Ausbildung zu machen, ist ein Problem. Und richtig arbeiten darf ich nicht, weil ich keine Arbeitsgenehmigung bekomme. Meine Eltern haben auch keine bekommen, obwohl sie es versucht haben. Aber wir haben gesagt, dass wir keine Sozialhilfe mehr wollen, wenn das das Problem ist.

Was würdest du gerne machen, wenn dein rechtlicher Status geklärt wäre?

Mehmet: Ich kann gut mit Leuten umgehen und ich kann gut verkaufen. Mein Traum wäre es, einen Handyladen aufzumachen.

Und du?

Hayriye: Ich bewerbe mich um eine Lehrstelle als Fachverkäuferin. Momentan ge­he ich in die Realschule. Ich würde auch gerne Fachabitur machen. Aber erstmal muss ich im Sommer meinen Realabschluss schaffen. Wir haben bald Prüfungen, und ich will mich in Geschichte prüfen lassen.

Warum Geschichte?

Hayriye: Weil es mich interessiert. In der Schule haben wir vor einiger Zeit ein Projekt über Antisemitismus und Judenverfolgung gemacht. Ich habe mitgeholfen, eine Broschüre darüber zu machen. Ich wollte wissen, wie es dazu gekommen ist.

Du trägst draußen ein Kopftuch?

Hayriye: Warum interessieren sich die Deutschen so dafür? Aber es stimmt, meistens trage ich ein Kopftuch, aber kein strenges. Meine Eltern haben damit nichts zu tun. Eine meiner Schwestern trägt auch ein Kopftuch, eine zweite hat es abgelegt, die anderen tragen keines.

Finden Sie es gut, wenn Ihre Töchter ein Kopftuch tragen?

Feyyaz: Das ist ihre Sache. Die Deutschen sagen, dass wir uns an ihre Kultur und Gesetze anpassen sollen. Und sie haben recht. Aber jeder hat Sitten und Traditionen, die er nicht aufgeben kann.

Welche zum Beispiel?

Feyyaz: Die Pflichten, die uns unsere Religion auferlegt; dass wir fasten und die Feiertage beachten.

Denkt ihr oft an die Abschiebung?

Hayriye: Natürlich ist das ein Thema. Aber wir versuchen, unser Leben weiterzuleben.

Mehmet: Man will das gar nicht wahrhaben.

Hayriye: Schön ist, dass uns viele Leute unterstützen. Unsere Mitschüler und ihre Eltern, Lehrer und Nachbarn haben alle unterschrieben, dass wir hier bleiben können. Die können das auch nicht verstehen, warum wir nach 17 Jahren abgeschoben werden sollen.