Pullachs arabische Filiale

Die Arbeit deutscher Geheimdienste im Irak wird zum Skandal hochgespielt. Dabei sind Spione aus Deutschland schon lange im Nahen Osten aktiv. von jörg kronauer

Die Frankfurter Allgemeine Zeitung rätselt bis heute. Konzentrische Kreise, eine ­dicke, schneckenförmige Linie, verwirrende Pfeile – ist hier eine frühneuzeitliche astronomische Uhr abgebildet? Eine Fantasy-Residenz vielleicht oder gar ein Landeplatz für Außerirdische? Vielleicht handelt es sich auch um einen Bauplan Bagdads aus dem 8. Jahrhundert, gibt die Zeitung zu bedenken. Man soll nichts ausschließen. Aber kann das wirklich der Verteidigungsplan Saddam Husseins für die irakische Hauptstadt sein?

Mit der Veröffentlichung einer arabisch beschrifteten Skizze hat die New York Times am 27. Februar die jüngste Enthüllungsrunde um Kriegs- und Folterkooperationen von Bundesnachrichtendienst (BND) und Bundeskriminalamt (BKA) mit der US-Armee eröffnet. Die Grundzüge der geheimdienstlichen Zusammen­arbeit zwischen Deutschland und den USA wäh­rend des Irak-Kriegs sind seitdem einigermaßen klar. Nicht mehr bestritten wird, dass wenige Wochen vor Beginn der Kriegshandlun­gen zwei BND-Agenten – Reiner M. und Holger H. – in Bagdad eintrafen. Nicht bestritten wird auch, dass ein dritter BND-Mann mit dem Decknamen »Gardist« in die militärische US-Kommandozentrale in Doha (Katar) entsandt wurde.

Auch über den Inhalt der BND-Kommunikation ist inzwischen einiges bekannt. Mindestens 25 Berichte lieferte »Gardist« den US-Militärs, nahm 33 amerikanische Anfragen über die Lage in Bagdad entgegen und erhielt von den dort stationierten deutschen Kollegen 18 Antworten. Zwischengeschaltet war vermutlich die BND-Zentrale in Pullach. Kriegsrelevant war zumindest ein Teil der Informationen zweifellos. »Acht von ihnen«, teilt die New York Times mit Bezug auf den geheimen Bericht der Bundesregierung mit, »beschrieben die Art der Militär- und Polizeipräsenz.« Zwei Meldungen enthielten die geographischen Koordinaten von Aufenthaltsorten irakischer Truppen.

Strittig ist vor allem die Bedeutung jener Zeichnung, welche die FAZ an eine frühneuzeitliche astronomische Uhr erinnert. Die US-Armee habe die Skizze kurz vor Kriegsbeginn vom BND erhalten, berichtet die New York Times unter Berufung auf eine geheime amerikanische Militärstudie. Man kenne die Zeichnung überhaupt nicht, behaupten der BND und die Bundesregierung steif und fest. Überdies sei es zwei­felhaft, ob es sich dabei wirklich um den irakischen Verteidigungsplan handele. Außerdem scheint fraglich, inwieweit die Zeichnung die tatsäch­lichen Begebenheiten widerspiegelt. Den zentralen Masterplan Saddam Husseins zu beschaffen, wäre jedenfalls eine geheimdienstliche Meisterleistung gewesen.

Gute Verbindungen in die arabischen Staaten hat der deutsche Auslandsgeheimdienst schon lange. Die Traditionslinien gehen zurück bis in die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg, als die Deutschen begannen, die ara­bische Bevölkerung zu ihren Gunsten gegen die britische und französische Kolonialkonkurrenz zu mobilisieren. Dasselbe Agitationsmuster machten sich später die Nazis zunutze; und kaum hatten die Alliierten sie von der Macht entfernt, begannen ehemalige NS-Funktionäre, die geheimdienstlichen Verbindungen in die arabischen Staaten wieder zu erneuern. Die USA hatten den Vorläufer des BND, die »Organisation Gehlen«, zum Zwecke der Ost­spio­nage aufgebaut. Geheimdienstchef Rein­hard Gehlen jedoch dachte nicht daran, die deutsche Rolle darauf zu beschränken.

Die frühesten Beispiele bundesdeutscher Nahostspionage stammen bereits aus den fünfziger Jahren. Damals wurde Otto Skorzeny, seit 1943 im »Amt VI – Auslandsnachrichtendienst« des Reichssicherheitshauptamtes tätig, Berater des ägyp­tischen Staatschefs Nasser. Zahlreiche alte Nazis tummelten sich zu dieser Zeit in Ägypten und wirkten unter anderem am Aufbau eines gegen Israel gerichteten Raketensystems mit. Gehlen nutzte die günstigen Umstände und beauftragte Skorzeny, in Ägypten geheimdienstliche Strukturen zu etablieren.

Skorzeny blieb mit dieser Aufgabe nicht allein. 1954 setzte sich ein gewisser Alois Brunner nach Syrien ab. Brunner, bis 1945 engster Mitarbeiter des Holocaust-Organisators Adolf Eichmann, war selbst für die Deportation und Ermordung von weit über 100 000 Jüdinnen und Juden verantwortlich. In Syrien gelang es ihm, sich dauerhaft der Bestrafung zu entziehen. Dafür arbeitete er dort quasi als Gehlens Nahost-Beauftragter – und wurde in den sechziger Jahren bei einem syrischen Geheimdienst »Berater für Judenfragen«.

Seine Nachkriegstätigkeit betraf mehrere Schauplätze deutsch-arabischer Geheimdienstkooperation, da­runter auch Algerien. Dort kämpfte die Befreiungsorganisation FLN gegen die Kolonialmacht Frankreich – mit Waffen, die sie ganz in alter antifranzösischer Tradition über Brunners in Syrien gegründete Firmen erhielt. Von ähnlichen politischen Mustern – gegen Frankreich, aber diesmal mit den Islamisten – berichtete Mitte der neunziger Jahre der Geheimdienstexperte Erich Schmidt-Eenboom. Um den Einfluss der französischen Wirtschaft in Algerien zu brechen, habe der BND 1993 und 1994 die »Islamische Heilsfront« (Fis) angeblich sogar mit Ausrüstung und Trainingsmaßnahmen unterstützt.

Die Reaktionen der Bundesregierung auf die damaligen Vorwürfe ähneln durchaus der gegenwärtigen Informa­tionsblockade. Schmidt-Eenbooms »Behauptungen« seien »absurd«, wetterte der Geheimdienstbeauftragte Bernd Schmidbauer im Januar 1996 im Bundestag, verweigerte jedoch nähere Auskünfte über das tatsächliche Geschehen. »Gegebenheiten im nachrichtendienstlichen Bereich« könne man nicht »öffentlich auf den Tisch« legen, brachte er zur Entschuldigung vor.

Schmidt-Eenboom hat zahlreiche Details über die guten Beziehungen des BND in die arabischen Staaten offen gelegt. Demnach bildete der deutsche Auslandsgeheimdienst unter anderem libysche Kollegen aus und half ihnen mit der Lieferung nachrichtendienstlicher und militärischer Technologie. »Auch vor der Ausbildung der libyschen Präsidentengarde schreckte der BND unter Kinkel nicht zurück«, berichtete Schmidt-Eenboom der Berliner Zeitung. Klaus Kinkel, von 1979 bis 1982 BND-Präsident, habe ebenso die irakischen Diens­te unterstützt, sagte der Geheimdienstexperte schon vor Jahren – »von der Ausbildungshilfe über nachrichtendienstliche Technik bis hin zur Preisgabe von irakischen Asylbewerbern in der Bundesrepublik«.

Über gute Kontakte in den Vorkriegs­irak verfügte der BND jedenfalls. Ob seine Agenten die Skizze jener ominösen frühneuzeitlichen astronomischen Uhr vielleicht wirklich für den Bauplan Bagdads aus dem 8. Jahrhundert gehalten und sie guten Gewissens an die archäologische Abteilung in Pullach weitergeleitet haben, wo ein verwirrter Ar­chivar sie womöglich für den Verteidigungsplan Saddam Husseins hielt, wird man vielleicht nie erfahren. In arabischen Partnerdiensten des BND macht sich seit dem Frühjahr 2003 jedenfalls eine gewisse Skepsis breit – etwa in Syrien, wo der BND 1989 eine Legalresidentur einrichtete. Dort ist man nach dem letzten Irak-Krieg gegenüber nachrichtendienstlichen Kooperationsangeboten aus Deutschland vorsichtiger geworden.