Äpfel, rot und giftig

Den Massenmord an den Armeniern habe es nie gegeben, glauben rechte und linke türkische Nationalisten und wollen in Berlin demonstrieren. von deniz yücel

Manch einer, der in den neunziger Jahren in der hiesigen Linken aufgewachsen ist, kann bestimmte Ausdrücke kaum noch hören. Die »verkürzte Kapitalismuskritik« gehört dazu, vielleicht auch die »Verschwörungstheorie« oder die »Querfront«. Und doch existiert all das, mitunter nicht nur im abstrakten Befund oder der ungestümen Phantasie des Kritikers, sondern aus Fleisch und Blut und in Farbe. Am Samstag will eine solch leibhaftige Querfront türkischer Provenienz gegen die »Lüge vom Völkermord an den Armeniern« in Berlin demonstrieren.

»Nimm deine Fahne in die Hand und komm!« ver­künden Handzettel, Plakate und ein eigens komponierter »Berlin-Marsch«. Nicht ganz zu Unrecht dürfen die Organisatoren darauf vertrauen, dass der Türke seine Fahne stets griffbereit hält. Außer der Demonstration ist eine Konferenz geplant, am Donnerstag will man Talat Paschas gedenken, eines der Verantwortlichen des Massenmords an den Armeniern, der im März 1921 in Charlotten­burg erschossen wurde. Unter den Unterstützern finden sich sozialdemokratische und rechtsextreme Politiker, Professoren, Funktionäre der staatstragenden Gewerkschaften und pensionierte Generäle, die mit Charterflugzeugen anreisen wollen. Auch wenn es nicht die angekündigten fünf Millionen Teilnehmer werden, wird diese Demonstration mehr Deutsch-Türken ansprechen als irgendein Jihadunfug.

Im vorigen Jahr beschlossen türkische Nationa­listen, gegen die internationale Ächtung des Massenmords an den Armeniern vorzugehen, wozu auch eine entsprechende Resolution des Bundestags gehört. Ins Leben gerufen wurde die Kampagne von der »Roten Apfelkoalition«. Hinter die­sem niedlichen, aber der völkischen Mythologie entlehnten Namen verbirgt sich ein Bündnis, das die rechtsextreme MHP, die einst maoistische Ar­beiterpartei sowie links- und rechtskemalistische Gruppen, Publikationen und Intellektuelle umfasst.

Dieses Bündnis ist in den letzten Jahren aus der Ablehnung eines türkischen EU-Beitritts entstanden. Auch wenn es eher ein strategisches Bündnis ist, war es immer wieder auf der Straße, im September vorigen Jahres etwa, als man in Istanbul eine Ausstellung zum 50. Jahrestag des Pogroms gegen die nicht muslimischen Min­derheiten demolierte (Jungle World, 37/05). Hier sammeln sich fast alle Kräfte, die sich gegen fort­schrittliche Entwicklungen in der Türkei wehren.

Interessant ist, wie die Arbeiterpartei oder auch viele Autoren der Tageszeitung Cumhuriyet zu »Apfelkoalitionären« wurden – nämlich durch ihre Auseinandersetzung mit dem Islamismus in den neunziger Jahren. Sie erkannten im Militär den verlässlichsten Gegner des Islamismus, so dass aus der Verteidigung des Laizismus bald ein kruder Nationalismus wurde, der sich überall heraus­gefordert sieht, wo er die Interessen der Nation für gefährdet erachtet. So auch im Nordirak. Nicht zufällig wirkte bei dem Film »Tal der Wölfe« mit Soner Yalçin ein Autor als Berater, der aus der Ar­beiterpartei stammt und früher über den Islamismus schrieb, während sein Augenmerk heute der Unterwanderung der türkischen Gesellschaft durch konvertierte Juden gilt (gewiss ein echter Verschwörungstheoretiker).

Wenn es um den Völkermord geht, vermag dieses Bündnis weitere Kreise anzusprechen. Bis­lang kritisierten nur kurdische Organisationen die Berliner Veranstaltung, während die Türkische Gemeinde Deutschlands wissen ließ, dass sie das Anliegen teile. Andere hatten sogar zur Teilnahme aufgerufen, darunter die Türkische Gemeinde Berlin, die Türkischen Sozialdemokraten, der Bund türkisch-europäischer Unternehmer sowie die religiöse Organisation Ditib, die dem türkischen Staat nahe steht. Doch vorige Woche erklärten sie, die Demonstration nicht länger zu unterstützen. Die Organisatoren in der Türkei missbrauchten das »überparteiliche, nationale Anliegen«, das die »Zurückweisung des angeblichen Völkermordes« sei, für »ideologische Zwecke«. Man könnte sagen: Die Querfront bröckelt, aber sie hält.