Auf den Klempner ist Verlass

Im April könnte in Reinhardtsdorf-Schöna in der Sächsischen Schweiz der erste NPD-Bürgermeister Deutschlands gewählt werden. Dort umgesehen haben sich martin kröger (text) und tim zülch (fotos)

Schwungvoll fliegt die Tür zur Sporthalle in Reinhardtsdorf-Schöna auf. »N’ Abend!« Die Truppe, die den lauten, zackigen Gruß von sich gibt, ist kein Karnevalsverein, obwohl die Kleidung – Loden und Trachtenjanker sowie schlecht sitzende Anzüge – diesen Eindruck vermittelt. Schließlich ist in dem Ort gerade Fasching, wie das Fest hier in der Sächsischen Schweiz heißt. Der große Dorffasching fand allerdings schon eine Woche vorher statt. In der Mehrzweckhalle ist davon noch ein penetranter Alkoholgeruch übrig geblieben. Bei den acht Männern, die nun diesen zentralen Ort des dörflichen Lebens betreten, handelt es sich um örtliche NPD-Kader, darunter die Gemein­deratsmitglieder Mario Viehrig und Michael Jacobi. Angeführt wird die Gruppe von Johan­nes Müller, dem Kreisvorsitzenden und Ab­geordneten im sächsischen Landtag. Sie nehmen an einer Biergarnitur Platz, bestellen Bier und Würstchen.

An diesem Abend Anfang März hat die Links­partei die 1 600 Bürger des Ortes zu einem »offenen politischen Forum« über die Bestrebungen zur Fusion mit der Nachbargemeinde Bad Schandau geladen. Gekommen sind neben den NPD-Mitgliedern rund zwei Dutzend Bürger, ein paar Vertreter der CDU aus Bad Schandau, rund zehn Mitglieder der Linkspartei und min­destens genauso viele Journalisten von regionalen Fernseh- und Radiosendern, die jedem Bürger, der eine Frage stellt, sofort die Fernsehkamera oder das Mikrofon ins Gesicht halten.

Eine sehr skurrile Atmosphäre, in der in der Hauptsache über die Kommunalpolitik gespro­chen wird. Die Bürger in Reinhardtsdorf-Schöna wollen keine Fusion mit Bad Schan­dau. Sie haben Angst, die Schulden zu übernehmen und ihre eigene Gemeindevertretung zu verlieren. Die Linkspartei argumentiert ähnlich wie die NPD, die mittels eines Bürgerbegehrens eine Abstimmung der Einwohner über die Ver­ei­ni­gung erzwungen hat. Die erforderlichen Stimmen hierfür zu sammeln, stellte für die NPD kein Problem dar. Bereits bei den letzten Kom­munalwahlen im Juni 2004 fuhr die rechtsextreme Partei satte 25,1 Prozent ein, so dass sie zur zweitstärksten Kraft im Dorf wurde und es als »braunes Nest« in der ganzen Republik bekannt machte.

Nebenan, in der »Panoramagaststätte Schramm­steinblick«, die ebenfalls zum Freizeittreff gehört, bereitet der Inhaber Michael Wunderlich gerade die Getränke und Würstchen für die Politikveranstaltung vor. Von seinem Tresen hat man in der Tat einen wunderschönen Blick auf die umliegende Bergwelt des Elbsandsteingebirges, auf den Hausberg des Ortes, den »Zirkelstein«, die Schrammsteine und das nahe gelegene Elbtal.

»Rund 90 Prozent des kulturellen Lebens spielen sich hier ab«, erzählt Wunderlich, der nebenbei im Internet chattet und eine Zigarette raucht. »Die restlichen zehn Prozent Kultur richtet der Heimatverein aus.« Seit elf Jahren betreibt der große Mann mit den blondierten Haaren und dem Silberreifen am Arm als Pächter die Gaststätte. Nun geht er auf die 50 zu und will den Betrieb aufgeben. »Irgendwann will man seine Ruhe haben«, sagt er. Wie viele im Dorf hat er jedoch noch einen Zuverdienst durch eine kleine Pension, in der Touristen einkehren können. »Zurzeit ist es aber ruhig, richtig los geht es erst wieder um Ostern«, erzählt er.

Dass er überhaupt etwas sagt, ist eigentlich schon etwas Besonderes. Denn wie fast alle in Reinhardtsdorf-Schöna meint auch Michael Wunderlich, schlechte Erfahrungen mit der Presse gemacht zu haben: »Einmal war ein MDR-Team hier, das unsere Gemeinderatssitzung gefilmt hat«, erzählt er immer noch wütend, »obwohl Filmaufnahmen verboten waren. Dann bin ich hin und hab’ gesagt, die sollen die Kamera ausmachen.« Gesendet hätten sie dann den Moment, als er ausgerastet sei. »Die haben mich zum Rechten gemacht«, sagt er.

Dass die Rechten einen solchen Erfolg ha­ben, hat seiner Ansicht nach mit der Po­litik­verdrossenheit zu tun. »Die NPD ist die ein­zige Partei, die von unserer Gene­ration nicht beurteilt werden kann.« Dennoch traut er ihr nichts zu. Im Ort sei die NPD auch nur so stark, seitdem der örtliche Klempnermeis­ter Michael Jacobi dort mitmische. Der sei eben die zuverlässigste Person im Dorf. »Wenn Sonntagabend um zehn die Heizung kaputt geht, dann ist Jacobi zur Stelle.« Das hätten die Leute sich gemerkt, meint Wunderlich.

Viel lieber spricht er über den Ort, dessen Reiz auch dadurch entsteht, dass es von hier aus nirgendwo hingeht. Wer nach Rein­hardtsdorf-Schöna kommt, will meistens nirgendwo anders hin. Aus dem Ort führt keine Straße. »Wenn Sie da hinten in den Busch laufen und nicht aufpassen, sind Sie in Tschechien«, sagt er und zeigt in Richtung einer nahe gelegenen Anhöhe. Die Grenze verläuft gleich hinter dem Ort. Tschechen kommen aber kaum noch hierher. Nur die Deutschen fahren zum Tanken und Einkaufen hinüber – und für billigen Sex.

Früher habe es mehr Grenzverkehr gegeben, erzählt Wunderlich. Bis vor zwei Jahren sei es gelegentlich vorgekommen, dass nachts Menschen in seine Kneipe kamen, die einen Zettel bei sich hatten, auf dem eine Taxinummer stand. »Ich hab’ denen dann ein Taxi gerufen«, sagt der Wirt, ohne die Miene zu verziehen. »Ein grü­nes.« Er fügt hinzu: »Und die waren auch noch so blöd und haben gewartet.« Seit­dem Tschechien in der EU ist, sei es ruhiger geworden.

Tatsächlich scheint es in Reinhardtsdorf-Schöna beschaulich zuzugehen. Der Erholungsort ist herausgeputzt, viele Fachwerkhäuser sind renoviert und für die Touristen hergerichtet. Der Ort wirkt durch und durch sauber. Kein Müll, keine Graffiti. Nur etwas Konfetti auf der Straße deutet auf den Karnevalsumzug vom Wochen­ende hin.

Fast jedes Haus bietet ein »Fremden­zimmer« an. »Dadurch, dass so viele Leute vermieten, achten hier alle auf die Sauberkeit«, erzählt Monika Hauck, die das Fremdenverkehrsbüro des Ortes leitet. »Zu Ostern und zu Pfingsten sind wir richtig ausgelastet.« Außerhalb der Hochsaison gebe es zwar nicht immer genug Gäste für alle, aber der Tourismus sei der wichtigste Arbeitszweig der Gegend. Ihre eigene Zukunft sieht die Mittvierzigerin weniger rosig. Sie hat nur eine befristete ABM-Stelle, immerhin komme sie mit diesem Job unter Leute. Davon abgesehen sei es mit Hartz IV lukrativer, zu Hause zu bleiben.

»Früher haben hier über 250 Leute gearbeitet. Heute sind es noch 30 und zwei Lehrlinge«, sagt Henryk Schultz. Der Ingenieur leitet die Agrargenossen­schaft »Oberes Elbtal« und sieht die wirt­schaftliche Lage trotz der vielen betriebsbedingten Kündigungen seit 1990 inzwischen »relativ stabil«. Die ehe­malige LPG bewirtschaftet in der Umgebung von Reinhardtsdorf-Schöna noch immer 1 300 Hektar Land und hält an die 520 Milchkühe. Gerne ist der freundliche Herr in der grünen Latzhose bereit, uns die modernisierten Ställe zu zeigen. Er versucht, die Kulturlandschaft zu erhalten, damit es für die Touristen etwas zu gucken gibt, zugleich muss er zusehen, dass er die verbliebenen Angestellten und deren Familien »über Wasser hält«. Die Landwirtschaft erzeugt Emissionen, Transportaufkommen und Gestank, was dem Tourismus nicht gerade zuträglich ist. Um auch in Zukunft konkurrenzfähig zu bleiben, will die Agrargenossenschaft in eine Biogasanlage investieren. Ähnlich geht es den anderen Industrien im Ort. Zwar gibt es keinen Boom, aber in Reinhardtsdorf hält sich eine wirtschaftliche Infrastruktur: Zwei Schmiede mit Ausbildungsstellen gibt es, außer­dem eine Bäckerei, einen Friseur, einen Fernseh- und Videofachhandel und eine Gärtnerei.

Neben der Ökonomie scheint auch das dörfliche Leben einigermaßen intakt zu sein. In der Dorfmitte hat der Schifferverein eine alte Bushaltestelle hergerichtet, in der klassische Elbschiff­fahrtsmodelle, Flaschenschiffe, Schiffsglocken und Steuerräder ausgestellt sind. Ein Foto zeigt die rund 70 Vereinsmitglieder des »Schiffsfahrtsvereins Reinhardtsdorf« in ihren Uniformen. Daneben hängt ein ähnliches Bild, das die Vereinsmitglieder von vor 100 Jahren in denselben Uniformen zeigt, denn der Verein wurde bereits 1894 gegründet. Traditionspflege und Heimatverbundenheit gelten in Reinhardtsdorf-Schöna etwas. Die Feuerwehr, der Heimatverein und der Karnevalsverein haben stabile Mitgliederzahlen und sind sehr aktiv.

Bei der Kirmes im Sommer legen dann »jung und alt« gemeinsam los, bestätigt auch Frau Hauck vom Tourismusbüro. »Da geht es um die Sache, und nicht darum, wer rechts gewählt hat.« Zum Thema »Rechts« hat im Dorf jeder seine Meinung, und es wird von den Bewohnern erstaunlicherweise immer von selbst angesprochen.

Die letzte Verwaltungskraft von Reinhardtsdorf betritt das Fremdenverkehrsbüro. Die Dame möchte ihren Namen nicht in der Zeitung sehen, ihre Meinung will sie trotzdem kundtun: Sollte die NPD bei den Bürgermeisterschaftswahlen im April gewinnen, sieht »sie das Ende des Ortes gekommen«. Ihren Job wür­de sie unter einem NPD-Bürgermeister nicht aufgeben wollen, aber sie hofft, dass die Leute, die der rechts­ex­tremen Partei bei Kommunal-, Landtags- und Bundestagswahlen ihre Stimme gegeben haben, zur »Vernunft kommen« und auch an die Auswirkungen auf den Tourismus denken. Wer die rechten Wähler sind? »Man kann nicht in die Köpfe gucken«, erwidert die Frau mit den rot gefärbten Haaren. Obwohl man ansons­ten eigentlich gut informiert ist, was beim Nach­barn los ist.

Die Jugendlichen sind in das gesellschaftliche Leben im Ort eigentlich integriert. Dennoch hat es mit ihnen in den vergangenen Jahren oft Ärger gegeben. Gewalt­tätige Übergriffe auf Migranten und Linke gehören in der Sächsischen Schweiz immer noch zur Tagesordnung, wie das sächsische Innenministerium vor kurzem abermals darlegte. Einige Jugendliche des Ortes, unter ihnen die Söhne des Klemp­nermeisters und jetzigen NPD-Gemeinderats Jacobi, waren in der inzwischen verbotenen Neo­nazi-Organisation »Skinheads Sächsische Schweiz (SSS)« organisiert, deren paramilitärisches Auftreten und deren Gewalt­bereitschaft bundesweit für Schlagzeilen gesorgt hatten.

Tagsüber ist die Jugend im Ort schwer zu finden. Seitdem die beiden Schulen wegen geringer Schülerzahlen geschlossen wurden, müssen die Jugendlichen längere Busfahrten in Kauf nehmen. Nachmittags trifft man sich im modernisierten Wald­stadion mit Kunstrasenplatz zum Fußballtraining der SG Reinhardtsdorf.

An diesem Tag ist die B-Jugend des Vereins an der Reihe. Die knapp zehn Jugendlichen im Alter von 16 und 17 Jahren warten auf den Trainer. Einige tragen Tarnjacken, andere Klei­dungsstücke der bei Neonazis beliebten Marke »Thor Steinar«. Wieder andere haben HipHop-Klamotten an. Die Stimmung ist ausgelassen, es wird getobt und im Schnee gebalgt.

Gegenüber Fremden gibt man sich jedoch wortkarg. In letzter Zeit kämen oft Leute, um sie zu »löchern«, wie einer sagt. Schließlich gebe es das Gerücht, dass sie »extrem« seien. So hätten sie ihren Jugendclub verloren, nur weil »da einige Idioten ›Sieg Heil‹ geschrien haben, als die Polizei vorfuhr«. »Hey, du warst doch selber …«, will ein Junge dem Redner mit der Tarnjacke ins Wort fallen. Er wird jedoch sofort vom lauten »Hatschie« eines Dritten unterbrochen. Zur NPD fällt ihnen vor allem ein, dass sie »nicht verboten ist«, und auch auf den Jacobi lassen sie nichts kommen. »Es ist schon hart, wenn ein einfacher Waffennarr so abgestempelt wird«, meint einer.

Beim Klempnermeister Jacobi wurden im Sommer 2000 bei einer Razzia Spreng­stoff und Schusswaffen sichergestellt. Doch das war kein Grund, seine Reputation in Frage zu stellen. Im Gegenteil, weil eine Verurteilung des NPD-Manns wegen der Waffenfunde ausblieb, steigerte sich offenbar das Ansehen des Klempners bei den Dorfbewohnern noch.

»Der Grund allen Übels ist dieser Bild-Artikel aus dem Jahr 2000!« Ar­no Suddars, seit 1990 Bürgermeister des Ortes, gerät in Rage und fuchtelt mit dem Ausdruck des Artikels, der sich mit den Waffenfunden bei Jacobi beschäftigt, herum. Jedem, der das Geheimnis um den Sprengstoff lüftet, für den es keine Verurteilung gab, bie­tet er nicht weniger als den »Nobelpreis« an. Mit der Presse steht der CDU-Mann seitdem auf »Kriegsfuß«, wie er sagt.

Denn erst von den Medien sei Jacobi, den auch Suddars »als kompetent, zuvorkommend und zuverlässig« beschreibt, zur NPD getrieben worden, und so seien dann die außergewöhn­lichen Wahlergebnisse für die rechtsextreme Partei zustande gekommen.

Nun muss Arno Suddars sein Amt wegen einer Altersbeschränkung von 68 Jahren für ehrenamtliche Bürgermeister aufgeben. Das ist bitter für ihn, der sein Lebenswerk, den Ausbau der Abwasser- und Trinkwasserversorgung, die Akquise von Landesmitteln für neue Straßen, den Bau des großen Sport- und Freizeitzentrums und die Schaffung des Elbe-Radwanderwegs samt Grenzübergang, durch die anhaltend negative Berichterstattung gefährdet sieht. »Die Medien schreiben jedes zerschlagene Bierglas zum rechten Volksfest hoch«, meckert er. Vor der ganzen Berichterstattung habe es auch keine »rechte Grundorganisation« gegeben, ein Großteil des Problems sei von außen herangetragen wor­den.

Einige im Dorf sehen das anders. »Als ich Anfang der Neunziger begann, auf rechtsextreme und antisemitische Propaganda un­ter Schülern hinzuweisen, wurde ich im Gemeinderat als Nestbeschmutzer bezeichnet«, erinnert sich Ernst Fink, ein pensionierter Lehrer, der für die Linkspartei im Gemeinderat sitzt. Er hat soeben seine Bürgerversammlung zur Fusion der Gemeinden beendet. »Dass die NPDler kommen würden, wusste ich schon vorher, weil mich einer von denen angerufen hat. Ich habe denen gesagt, wenn sie sich ruhig verhalten, dürfen sie kommen«, erzählt er. Die Rechten ganz auszuschließen, sei nicht so einfach. Dabei hat er bereits schlechte Erfahrungen mit ihnen gemacht. Nicht nur, dass sie ihn jahrelang mit Telefonterror schikaniert hätten, einmal sei er sogar aufgewacht, weil ein Skinhead vor seinem Fenster geschrien habe und dann eine Art Feuerwerk zu sehen gewesen sei. »Ich dachte, das seien Platz­patronen gewesen«, erzählt Fink, trotzdem habe er die Hülsen zur Kriminalpolizei gebracht. 16 scharfe Schüsse aus einem halbautoma­tischen Gewehr waren vor seinem Fenster abgegeben worden, rekonstruierten die Kripobeamten.

Das ist jedoch ein paar Jahre her. Fink kann auch einige gute Dinge berichten: Nicht nur über die rote Vergangenheit des Elbsandsteingebirges als Hort des antifaschistischen Widerstands der dreißiger Jahre, auch heute tue sich wieder etwas. So habe sich inzwischen eine Bürgerinitiative gegen Rechts gegründet. Und auch den kommenden Bürgermeisterwahlen am 23. April sieht er mit Optimismus entgegen: Der Kandidat der Freien Wähler, Olaf Ehrlich, hat gute Chancen, die NPD zu schlagen, die ihren Kan­didaten bisher noch nicht präsentiert hat. Sie will sich wohl aus taktischen Gründen bis zum Ende der Nominierungsfrist am 27. März Zeit lassen. Sollte es dann der Klempner Jacobi sein, verspricht die Wahl brisant zu werden.