Das Kreuz mit dem Kreuz
Könnte eine durchschnittliche Bürgerin das rote Kreuz auf weißem Grund mit einem roten Kreuz, aus dessen Balken eine geballte Faust ragt, verwechseln? Das letztgenannte Symbol verwenden autonome Sanitäterinnen und Sanitäter in ihren Einsätzen auf Demonstrationen. Um die Frage, ob es vertrieben und vervielfältigt werden darf, ging es in der vergangenen Woche vor der Zivilkammer des Hamburger Landgerichts.
Die Anwaltskanzlei Latham & Watkins vertritt in dieser Sache das Deutsche Rote Kreuz. Es geht um die Broschüre mit dem Titel: »Ruhig Blut. Selbstschutz und Erste Hilfe bei Demonstrationen und Aktionen«, die die Rote Hilfe vertrieben haben soll. Außerdem hat die Hamburger Kanzlei auch das linke Informationsportal Nadir, das »Bündnis für Freilassung«, die »Castor-Nix-Da-Kampagne« und die Internetseite »Das linke Forum« aufgefordert, eine Unterlassungs- und Verpflichtungserklärung zu unterschreiben und die Anwaltskosten, die zwischen 1 300 und 2 400 Euro betragen, zu begleichen. Außer dem »Bündnis für Freilassung« sind diese Gruppen aber bislang noch nicht angeklagt.
Zum Prozess erschienen 30 Liebhaberinnen und Liebhaber des Symbols der linken Sanitäter. »Ich fürchte, ich muss das Publikum gleich zu Beginn enttäuschen, denn wir werden uns über die Sache nicht politisch auseinandersetzen«, sagte die Richterin. Das Zeichen mit der Faust werde nach dem Markenrecht geprüft. Die Richter vermuteten, dass »nicht ganz so politisch Informierte« Verbindungen zwischen dem Deutschen Roten Kreuz und der Roten Hilfe herstellen könnten. Sie zeigten sich den Argumenten des Rechtsanwalts der Roten Hilfe wenig aufgeschlossen. Dieser verwies auf ein Urteil des Amtsgerichts Tiergarten, wonach das Symbol dem Roten Kreuz nicht zum Verwechseln ähnlich sei, und betonte die Unterschiede, etwa die weiße Umrandung, den verlängerten horizontalen Balken und natürlich die Faust. Diese sei ein historisches Symbol »der linken, emanzipatorischen Arbeiterbewegung seit dem 19. Jahrhundert und weltweit auch ein Zeichen der neuen sozialen Bewegungen seit den siebziger Jahren«.
Die Anwältin Andrea Jaeger-Lenz sieht das anders: »Das so abgewandelte Rotkreuzzeichen verletzt das Namen- und Zeichenrecht unseres Mandanten in besonders gravierender Weise, weil die zugefügte geballte Faust als Symbol der Gewalt dem Sinngehalt des völkerrechtlichen Schutzzeichens des Roten Kreuzes konträr zuwiderläuft.«
Die Demonstrationssanitäter wollen gar nicht mit dem Roten Kreuz verwechselt werden. In den achtziger Jahren hat sich immer wieder gezeigt, dass dessen Mitarbeiter nicht auf Verletzungen, wie man sie auf Demonstrationen etwa durch Tränengas, Schlagstöcke, Fesseln und Hundebisse erleiden kann, vorbereitet waren. Zudem gaben sie oftmals Namen und andere Daten der Verletzten an die Polizei weiter. In einem offenen Brief an Rettungsorganisationen und Bürgerinitiativen aus dem Jahr 1983 stellten sich die autonomen Sanitätergruppen vor: »Wir verstehen uns allerdings nicht als alternatives Rotes Kreuz, sondern in erster Linie als Demonstranten. Wir sind deshalb parteilich, nicht politisch neutral.«
Dennoch meinte die Richterin: »Die Verwechslungsgefahr ist für durchschnittliche Verbraucher gegeben.« Auch der veranschlagte Streitwert von 50 000 Euro sei angebracht, schließlich sei das Rote Kreuz ein geschütztes Zeichen. Aber es sei »fair und sinnvoll«, wenn der Kläger den Streitwert und damit die Kosten für die Rote Hilfe senke. Das Urteil soll am 27. April verkündet werden. Für die betroffenen Gruppen wären die Kosten enorm. »Das macht uns platt«, sagte eine Mitarbeiterin von Nadir. Wegen des finanziellen Drucks hat die »Castor-Nix-Da-Kampagne« bereits eine Unterlassungserklärung abgegeben.