Der Minister zieht die Schuhe aus

Mit der Propagierung »australischer Werte« greift die konservative Regierung die muslimische Minderheit an. Auf ausländische Arbeitskräfte will sie jedoch nicht verzichten. von gilles bouché, melbourne

Ich verlange keine Gesetzesänderung. Ich bringe nur die Ansicht zum Ausdruck, dass Australier im Allgemeinen Burkas als Ärgernis empfinden.« Der Seitenhieb des konservativen Premierministers John Howard reiht sich ein in eine Serie von Äußerungen, mit denen Regierungspolitiker einem Teil der muslimischen Minderheit unterstellen, gegen so genannte australische Werte zu verstoßen. Am deutlichsten brachte es Finanzminister Peter Cos­tello in einer Ansprache am 23. Februar auf den Punkt: Jeder Einwanderer, der »australische Werte« nicht respektiere, solle das Land verlassen. Wer eine Moschee besuche, müsse ja auch seine Schuhe ausziehen.

Die Tatsache, dass sich der Finanzminister laut in Debatten einschaltet, die mit seinem Ressort nichts zu tun haben, deutet darauf hin, dass innerhalb der Liberal Party ein Kampf um die Führung ansteht. Zehn Jahre nach Howards Regierungsantritt sieht dessen Protégé und selbsternannter Nachfolger Cos­tello die Zeit gekommen, den Machtwechsel vorzubereiten. Angesichts traumhafter Umfragewerte denkt Howard jedoch nicht daran, sein Amt niederzulegen. Costello bleibt nichts anderes üblich, als sich mit patriotischen Sprüchen die Unterstützung des rechten Parteiflügels zu sichern, auf den sich Howard stützt.

Die provokativen Äußerungen sind jedoch nicht nur ein Mittel des innerparteilichen Machtkampfs, vielmehr sind sie eng mit dem Programm der Liberal Party verbunden. In einem Einwanderungsland wie Australien, in dem rund ein Viertel der 20 Millionen Einwohner im Ausland geboren wurde, bleiben Spannungen zwischen den Bevölkerungsgruppen und Ressentiments gegenüber Neuankömmlingen nicht aus. Aus diesen Emotionen schlägt die Liberal Party Kapital, ohne jedoch das »multikulturelle« Gefüge allgemein in Frage stellen zu wollen.

Denn allzu sehr hängt das Wachstum der australischen Wirtschaft von qualifizierten Arbeitskräften ab, insbesondere solchen aus den asiatischen Staaten. Allein 2005 wurden 123 424 unbefristete Aufenthaltsgenehmigungen ausgestellt, davon knapp 30 Prozent an Einwanderer aus Ostasien. In dieser Situation wird die Angst vor »Überfremdung« von der Liberal Party geschickt hervorgerufen und gleichzeitig entschärft, indem sie auf eine Randgruppe gelenkt wird, die gerade mal zwei Prozent der Gesamtbevölkerung ausmacht.

Die parlamentarische Linke der Labour Party vermeidet eine eindeutige Stellungnahme, um keine Wählerstimmen zu verlieren. Während der Parteivorsitzende Kim Beazley sich eine abgemilderte Version der antimuslimischen Rhetorik aneignet, um nicht als weichlich und »unaustralisch« zu gelten, bleibt es seinem Parteifreund Steve Bracks, dem Premierminister des Bundesstaats Victoria, überlassen, die linke Anhängerschaft anzusprechen und die Äußerungen der Liberalen als fahrlässig und entzweiend zu kritisieren.

Es könnte sein , dass die Liberal Party nur eine Wertedebatte beginnen will, um von anderen Fragen abzulenken. Da wäre zum einen ein Korruptionsskandal rund um Weizenlieferungen in den Irak unter Saddam Hussein. Eine Untersuchungskommission versucht derzeit zu erkunden, ob Mitglieder der Regierung im Interesse der Exportbilanz an der Zahlung von umgerechnet 180 Millionen Euro Bestechungsgeld beteiligt waren.

Die Regierung arbeitet auch an einer Reihe kontrovers diskutierter Reformen. Nachdem eine unternehmerfreundliche Reform des Arbeitsrechts bereits beschlossen worden ist, stehen demnächst Steuersenkungen an, die in erster Linie Besserverdienenden zugute kommen werden. Dem sollen Einschnitte im Sozialbereich folgen. Es sind diese finanz- und wirtschaftspolitischen Entscheidungen, die das Leben in Australien verändern werden. Nach einer Burka dagegen muss man lange suchen.