Ein nationales Anliegen

Die von Politikern fast aller Parteien geforderte große Koalition zwischen Bundestag und Bundestrainer muss dringend um die Bundeswehr erweitert werden. von elke wittich

Wann immer die niederländische Fußballnationalmannschaft ein immens wichtiges Spiel auszutragen hat, ist für den Inhaber einer kleinen Videothek im grenznahen Kerkrade das Vorgehen klar: An die Ladentür hängt er ein mittlerweile schon ein bisschen abgeranztes Pappschild, auf dem steht, das Geschäft sei aufgrund einer »zaak van nationale belanging« geschlossen, und geht dann gemütlich kickengucken.

In Deutschland werden Sachen von nationaler Wichtigkeit dagegen seit einem knappen Monat ganz anders behandelt. Dass sich zum Beispiel die Bundestagsabgeordneten während der WM damit begnügen werden, auf einem am Eingang zum Reichstag angebrachten Schildchen zu verkünden, man sei Fußball schauen, aber gleich wieder da und im übrigen in Notfällen in der Kneipe gegenüber zu erreichen, darf mittlerweile als völlig ausgeschlossen gelten. Denn die Damen und Herren Abgeordneten begreifen sich als weisungsbefugte Vorgesetzte des deutschen Bundestrainers und sind als solche nun schon seit Wochen damit beschäftigt, die deutsche Nationalmannschaft zu retten. Es gehe »um ein natio­nales Anliegen«; denn es gehe »nicht nur darum, ob eine Mannschaft mal schlecht spielt, sondern um die Frage: Wie präsentiert sich Deutschland«, erklärte beispielsweise Miriam Gruß (FDP). Dazu, so fand Reinhold Hemker, (SPD), gehöre ganz unbedingt auch, dass der Nationaltrainer dem Bundestag endlich einmal seine geplante Aufstellung – vermutlich zur Abstimmung – vorlege, denn »die WM steht vor der Tür, da muss langsam mal klar sein, wer spielt. Klinsmann soll endlich sagen, auf wen er setzt.« Schließlich sind die Volksvertreter auch die gewählten Repräsentanten der Fernsehzuschauer und als solche dafür verantwortlich, dass den Fans auch gefällt, was sie zu sehen bekommen, wie Michael Glos (CSU) eindringlich beschrieb: »Wir erwarten, dass bei der WM Spiele stattfinden, bei denen die Leute nicht abschalten.«

Seinem Koalitionskumpel Peter Müller von der CDU blieb es dann überlassen, die vorbildliche große Vision anlässlich der WM, also im Großen und Ganzen Politik und Fußball Hand in Hand, sehr eindringlich zu fordern: »Mit Blick auf die WM braucht Deutschland eine gemeinsame Kraftanstrengung, alle müssen sich jetzt zusammenraufen!« Um dann aber bereits zwei Sätze später einen völlig unverständlichen Rückzieher zu machen und sich mitsamt seinen Politikerkollegen einfach so aus der nationalen Verantwortung zu stehlen: »Wir sollten die Trennung von Politik und Sport beachten. Fußball ist zwar ein nationales Anliegen, aber die Organisation desselben ist Sache des DFB und nicht der Politik.«

Nun ist die Tatsache, dass es sich bei der deutschen Fußballnationalmannschaft um eine Ansammlung nur mäßig talentierter Jungs mit dem A-Skill handelt, Inhaber deutscher Pässe zu sein, nicht wirklich neu. Warum, zur Hölle, tun die deutschen Politiker dann plötzlich so, als sei ihr natürlicher Aufenthaltsort die Trainerbank, und warum, noch mehr zur Hölle, reden Leute, die noch niemals durch das auswendige Aufsagen der Abseitsregel und schon gar nicht durch besondere Fähigkeiten im Fach Kicker-Coaching aufgefallen sind, plötzlich so, als führe der Weg zum Weltmeistertitel nur über eine große Koalition der nationalen Verantwortung? Und: Wer hat diesen Leuten eigentlich eingeredet, dass die Fußballwelt es irgendwie traurig und schade fände, wenn das WM-Gastgeberland sich nicht ins Finale tölpeln würde, sondern zwei sympathische und fähige Teams die Sache unter sich ausmachten?

Man weiß es nicht, zumal das deutsche Team unter Kanzler Schröder nach Herzenslust verlieren durfte, ohne dass der Bundestag den Bundestrainer gleich vor einen Untersuchungsausschuss geladen beziehungsweise sich per Verfassungsänderung zum Co-Trainer gemacht hätte.

Vielleicht liegt es einfach nur daran, dass man Bundeskanzlerin Angela Merkel im Gegensatz zur ihren Vorgängern einfach nicht zutraut, während der Halbzeitpause eines WM-Spiels in der Kabine die richtigen Worte zu finden, oder vielleicht liegt es auch daran, dass insgeheim selbst ihre Parteikollegen glauben, dass eine Frau an der Spitze das Fußball-Karma so richtig versaut – schließlich ist noch kein Land, in dem eine Frau den Regierungsvorsitz innehatte, jemals ins Finale gekommen. Indien, Pakistan, Island, Israel, Norwegen, alle nicht qualifiziert, und auch das Mutterland des Fußballs hat seit Maggie Thatcher ungefähr jedes einzelne entscheidende Elfme­terschießen gründlich und umfassend verbeutelt.

Und so wird es wohl nicht mehr lange dauern, bis die Politiker der Bundeswehr das WM-Mandat überantworten, denn zum einen ist die Truppe durch zahlreiche Einsätze im sie nicht dort haben wollenden Ausland den Umgang mit äußerst bockigen Menschen schon gewöhnt, und zum anderen dürfte sich die Anwesenheit einiger schwer bewaffneter Eliteeinheiten beim Standardtraining und vor allem auch bei Läufen durch alle Arten von Gelände äußerst motivierend auswirken.

Außerdem könnten so die erfolgreichen deutschen Biathleten und Biathletinnen, fast alle sowieso bei der Bundeswehr und ähnlichen Einrichtungen beschäftigt, gleichzeitig das ideale Sommertraining absolvieren. Auf den Stadiondächern postiert, bestünde ihre Aufgabe vor der WM darin, unwilligen Spielern mit sanftem Nachdruck klarzumachen, dass sie jetzt besser sehr, sehr schnell vernünftig kicken lernen und es überhaupt gar keinen Zweck hat, sich wegen irgendeiner leichten Blessur vom Training abzumelden. Während der Weltmeisterschaftsspiele dürfte es dann schon genügen, wenn die Schießsportler einem gerade versagenden Auswahlspieler kurz mittels eines mitten auf seiner Stirn erscheinenden roten Laserpunktes anzeigen, dass sie ihn im Visier haben – das Resultat dürfte, selbst wenn bis dahin kein Grund gefunden wird, die Kanzlerin aus dem Amt zu entfernen, alle Ergebnisse der von Klinsmann verpflichteten Motivationsexperten auf jeden Fall um mehrere 100 Prozent übertreffen.