Zoff bei den Klinsmanndeutschen

Zehn Wochen vor der WM könnte die Stimmung kaum schlechter sein. von alex feuerherdt

Ein bisschen erinnert die Aufregung um die Aus­sichten der Deutschen bei der kommenden Fuß­ballweltmeisterschaft im Allgemeinen und um den Wohnort von Jürgen Klinsmann im Besonderen an einen Familienkrach. Aus den Sprösslingen soll schließlich einmal etwas werden, doch die versemmeln derzeit eine Prüfung nach der anderen und gefährden dadurch ihr Klassenziel. Eigentlich würde man das Machtwort eines gestrengen Oberhaup­tes erwarten, doch das überlässt die Blagen ganz antiautoritär sich selbst oder den überforderten Tagesvätern Jogi & Olli.

Nur gelegentlich schaut der Erziehungsberechtigte nach dem Rechten und verkündet einem staunenden Publikum fröhlich, dass alles in bester Ordnung sei. Unterdessen verlangt die Verwandtschaft, Papa möge gefälligst nach Hause kommen. Kürzlich tagte sogar der Familienrat mit Opa Franz und Mama Angie, doch während Großvater mit sorgenzerfurchtem Gesicht über die Schande grantelte, die die Gören zu bereiten drohten, beruhig­te ihn Mama damit, dass sie keinen Grund sehe, warum die Jungs nicht das Gleiche leisten könnten wie ihre Schwestern. Die seien schließlich auch Weltmeis­terinnen geworden.

Dabei hatte alles so verheißungsvoll begonnen. Auch wenn Klinsmann als Weichei und in nationalen Belangen als eher unzuverlässig galt – schließlich lebt er schon seit Jahren in den USA –, verband man mit seinem Namen Erinnerungen an bessere Zeiten. Dennoch schwante Fußballfans wie Medien Böses, und nicht nur deshalb, weil der Schwabe ungefähr zehnte die Wahl war. Es drohe die »Amerikanisierung des deutschen Fußballs«, meinte etwa die Welt. Ein »Visionär« (Zeit), der alles rosa sieht und aus Scheiße Gold zu machen verspricht – da hatte einer offenbar die typisch amerikanische Oberflächlichkeit adaptiert, was ihn für den Posten des Retters des deutschen Fuß­balls zu disqualifizieren schien. Man zweifelte an seiner Kompetenz, beäugte misstrauisch den großen Stab an Spezialtrainern, Psychologen und Betreuern und legte die Stirn in Falten, als gestandene Nationalspie­ler grotesk wirkende Übungen mit langen Gummibändern verrichten mussten.

Doch die größten Zweifel schwanden nach den ersten Spielen, vorerst wenigstens. Stattdessen mehrten sich die Stimmen, die Klinsmanns sonnigen Optimis­mus und seine innovativen, radikal anmutenden Vor­schläge begrüßten. In Deutschland werde zu viel gemeckert und zu wenig einfach angepackt, weshalb ein »Revolutionär« (Zeit) der Richtige sei. »Jürgen Klinsmann kommt aus Amerika, wo vieles auch nicht so gut läuft. Aber er hat gelernt, so zu tun, als sei alles gut, und das versucht er zu vermitteln«, fasste Uli Hoeneß, der Manager des FC Bayern, die Vorzüge des Neuen zusammen.

Der »polyglotte Sonnyboy mit Wohnsitz Kalifor­nien« (Welt) repräsentierte mit seinem forschen Auftreten die neue deutsche Unbeschwertheit, personifizierte einen Ausweg aus der viel bemühten »ge­sellschaftlichen Erstarrung« und versprach eine Bewältigung des berühmten »Reformstaus«. Er verheiße »Aufbruchstimmung«, meinte der damalige Manager von Borussia Dortmund, Michael Meier, und bringe »positive Energie«, glaubte Theo Zwanziger, der Prä­sident des Deutschen Fußballbundes. Klinsmanns Appelle an das Selbstvertrauen und den »Glauben an die eigene Stärke« kamen nicht nur bei den National­spielern gut an.

Das Projekt »FC Deutschland 2006« machte Fortschritte. Klinsmann verordnete seinen Spielern »aggressiv-rote Trikots« (Welt) und verlegte die Unterkunft der deutschen Mannschaft gegen den erklärten Willen der DFB-Führung weg vom beschaulichen Leverkusen in die Hauptstadt. »Berlin ist in Deutsch­land die Stadt schlechthin, das ist eine Metropole, da ist Energie, das pulsiert. Die Quartierwahl soll unser Selbstbewusstsein ausstrahlen«, ließ der Chefcoach wissen.

Dennoch blieb das Vertrauen in den »hoch intelligenten Systematiker« (Zeit) ziemlich brüchig. Erst nach dem erfolgreichen, aber unbedeutenden Confederations Cup im vergangenen Sommer besserte sich die Stimmung merklich. Doch nach mehreren dürftigen Ergebnissen gegen zweit- und drittklassige Gegner folgte die Ernüchterung, und mit ihr kehrten die Attacken gegen den »schwäbischen Sturkopf« (Zeit) zurück. »Der soll nicht ständig in Kalifornien rumtanzen und hier uns den Scheiß machen lassen. Er muss sich mit uns unterhalten und muss öfter hier sein, das ist alles«, keifte Uli Hoeneß.

In einer »amerikanischen Parallelwelt« sah auch die Zeit den Nationalcoach. »Kopfschüttelnd blickten die Fans Klinsmann hinterher. Selbst wohlmeinende Kommentatoren fürchteten auf einmal ein gestörtes Verhältnis des Bundestrainers zu seinem Job. Der Coach gibt der deutschen Öffentlichkeit immer wieder Rätsel auf.«

Er ist also ein Fremder geblieben, der Jürgen Klinsmann. Man liebt ihn nicht wirklich, zumal er die gewünschte street credibility vermissen lässt. Gleichzeitig passt er jedoch bestens zum Selbstbild eines geläuterten, weltoffenen und moder­nen Deutschlands. Das macht den Bundes­trainer und seine Truppe auch für die­je­nigen attraktiv, die in der Vergangenheit eher Distanz zur deutschen Nationalmann­schaft hielten.

Denn Klinsmann bringt ziemlich alles mit, was des Linken Herz begehrt: Er ist nicht so bräsig und peinlich wie Berti Vogts, weigert sich, anders als beispielsweise Lothar Matthäus, sein Privatleben in der Bou­levardpresse auszubreiten. Er wirkt halbwegs intellektuell, spricht mehrere Sprachen und ist weltgewandt. Er macht sich nicht mit dem grölenden Mob gemein, ist dennoch populär und hat sogar einen proletarischen Beruf erlernt, nämlich Bäcker.

So bekannte Christoph Biermann in der taz freimütig, dass seine »Schwierigkeit, Anhänger der deutschen Fußballnationalmannschaft zu sein«, eine Jugendsünde gewesen sei. Dank Klinsmann könne man es bedenkenlos mit dem Nationalteam halten. »Zwar ist um ihn mitunter arg viel Sound of Neoliberalismus« – typisch amerikanisch eben –, »aber man kann ihn halt beim Wort nehmen und schauen, ob all die schwungvollen Vorgaben wirklich eingelöst werden oder nicht.«

Ärgerlich sei es nur, dass deutsche Länderspiele immer noch »Versammlungen der Allerblödesten« seien. Das liege daran, dass auf den Rängen »provinzielle Lethargie« herrsche und der Deutschland­fan »bespaßt«, also unterhalten werden wolle, was offenbar besonders verwerflich ist, wenn es um Hö­heres und Wichtigeres geht – nämlich um Deutschland.

Derweil haben besonders engagierte Anhänger andere Sorgen. Sie fürchten den Ausschluss vom nationalen Projekt Weltmeisterschaft. Das Bündnis Aktiver Fußball-Fans (Baff) beispielsweise kritisert die »Kommerzialisierungswut«, die »Repres­sion« und die »Versitzplatzung«. Diese Dinge zerstörten schleichend den »Volkssport Fußball« und die »gewachsene Fankultur«.

»Der Fußball verliert so seine Vielfalt und entwickelt sich Schritt um Schritt zum reinen Medienspek­takel.« Schuld daran hätten die »Seelenverkäufer in den Chefetagen«, denen »das liebe Geld und der totale Kommerz zu Kopf gestiegen« seien.

Man klagt also über den Verlust eines Biotops, das es in Wahrheit nie gegeben hat, und fühlt sich von kafkaesken Bürokraten ums Vergnügen betrogen, obwohl man doch so konstruktive Vorschläge macht und dazugehören will. Dass auch der Fußball längst ein lohnendes Marktsegment ist und daher kapitalistischer Rationalität folgt, mithin einen Teil des falschen Ganzen darstellt, kommt den Fans nicht in den Sinn. Der berechtigte Är­ger über exorbitant teure Eintrittskarten, eine absurde Datenerhebung und das groteske Verfahren bei der Vergabe der Tickets übersetzt sich in eine ressentimentgeladene Attacke gegen »die da oben«, die dem »Volk« absichtlich seinen Spaß versauen, es um das »Recht auf Fußball« berauben und lieber unter sich sein wollen.

Am Ende dürfte ausnahmsweise Franz Beckenbauer Recht haben: »Entscheidend wird doch sein, wie das deutsche Team bei der WM abschneidet.« Falls der – glücklicherweise ziem­lich unwahrscheinliche – Fall eintreten sollte, dass dessen Kapitän den Pokal in den Berliner Nachthimmel stemmen darf, wird man allen Ärger vergessen. Landauf, landab wird man Klinsmann als neue »Lichtgestalt« feiern und dankbar sein wie dereinst für die Care-Pakete.

Andernfalls wird man ihn mit Schimpf und Schande davonjagen und sich als Opfer eines amerikanischen Luftikusses fühlen, den man niemals hätte gewähren lassen dürfen. Die gegenwärtigen Attacken gegen ihn erscheinen in diesem Zusammenhang gleichsam als Vorbereitung auf den worst case, also ein peinlich frühes Ausscheiden. Man hätte einen Schul­digen – und man hätte es schon immer gewusst.