Der Melonen-Mafioso

»Bye Bye Berlusconi« ist eine Mischung aus Politsatire, Dokumentarfilm und Persiflage. Entspannt lachen kann man dabei kaum. von federica matteoni

Man kann sich kaum etwas Leichte­res vorstellen, als sich über Silvio Berlusconi lustig zu machen. Ein italienischer Ministerpräsident, der sich mit Napoleon oder Jesus vergleicht, der sich vor seinen EU-Kollegen damit brüstet, ein »Playboy« zu sein, oder mitten in einem Polit-Talk das Studio verlässt, weil er die Moderatorin für »linksgerichtet« hält, bietet täglich Stoff für Satiriker, Parodisten, Karikaturisten. Was kann Satire, wenn die Realität derart grotesk ist?

Diese Frage dürfte den deutschen Regis­seur Jan Henrik Stahlberg (»Muxmäuschen­still«) beschäftigt haben, als er beschloss, einen Film über Berlusconi zu drehen. Seine Antwort ist eine vielschichtige, keines­wegs erwartbare Mischung aus politischem Actionfilm, Reportage übers Filmemachen und Persiflage.

Es beginnt mit einer gewaltigen Explosion in Genua, danach Breaking News auf allen Kanälen: Der italienische Ministerpräsident Berlusconi ist entführt worden. Die Kidnapper rasen mit dem Premierminister in einer Holzkiste durch enge Bergstraßen, dann werden sie auf einen Parkplatz gewunken. Hier befindet sich eine Filmcrew bei den Dreharbeiten. Und der Zuschauer versteht: Die Entführung des ­italienischen Ministerpräsidenten ist bloß gespielt – eine Fiktion innerhalb der Fiktion.

Eigentlich geht es um ein ambitioniertes Filmteam, das mit ganz wenig Geld und viel Engagement einen ernsthaften Film drehen will. Es geht darin um die Entführung von Berlusconi durch vier »Terroristen«, die ihm den politischen Prozess machen wollen. Die Dreharbeiten könnten je­doch aus juristischen Gründen abgebrochen werden: Regisseur und Produzent fürchten, dass der Film verboten wird.

Der Name des Politikers darf nirgendwo auftauchen, deshalb entscheidet man sich, den Film als Satire aufzuziehen und die Ge­schichte in eine Pseudo-Disney-Welt zu ver­legen. Um wiederum zu vermeiden, dass nun Disney gegen die Verwendung der Namen der Figuren klagt, wird Ber­lus­coni nicht Mickey Mouse genannt, sondern Mickey Louse. Er ist der größte Melonenhändler Italiens, der mächtige Besitzer von Melonen-TV und tritt als Bürgermeisterkandidat von Hühnerhausen an. Gespielt wird dieser Berlusconi von Maurizio Anto­nini, der dem Politiker täuschend ähnlich sieht, was einen ganz eigenen Reiz des Films ausmacht.

Im Volksgefängnis der Hundekacker-Bande, wie die Entführer genannt werden, findet der Prozess statt. Angeklagt ist Mickey Louse wegen Mafia-Verstrickung, Geldwäsche und Bilanzfälschung. Der Prozess wird im Internet verhandelt, »das Volk« kann per Mouse­click entscheiden, vorläufiges Urteil: 90 Jahre Haft. Wie das endgültige Urteil lautet, werden wir nicht erfahren. Der Film kann nicht zu Ende gedreht werden: Regisseur, Produzent und Schauspieler müssen vor der Polizei fliehen.

»Bye Bye Berlusconi« besitzt nicht nur diese zwei Ebenen, die zwar stark ineinander greifen, jedoch ganz gut aus­einanderzuhalten sind. Die Off-Stimme der Protagonistin begleitet die Handlung und erzählt von den Schwierigkeiten der Dreharbeiten, aber wer spricht da? Lucia Chiarla, die mit Stahlberg das Drehbuch geschrieben hat, oder die fiktive Schauspielerin, die im Film die zur Hundekacker-Bande gehörende Terroristin spielt?

Nicht nur durch diese Figur entsteht ein Verständnisproblem beim Zuschau­er, sondern auch durch die Tatsache, dass die Geschichte der fiktiven Filmcrew an einigen Stellen unterbrochen wird und Interviews mit den realen Per­sonen, die den Film gemacht haben, ein­geschoben werden. Diese zusätzliche do­kumentarische Ebene zwingt den Zuschauer zu einem ständigen, anstrengenden, zum Teil verwirrenden Perspektivenwechsel, was die Handlung unterbricht und ihr ­satirisches Potenzial immer wieder schmälert.

Doch die selbstreflexive Struktur macht den Film zugleich interessant. »Bye Bye Berlusconi«, der zwei Wochen vor den italienischen Parlamentswahlen in Italien und Deutschland startet, ist kein plakativer Politfilm im Stil von Michael Moore. Hier geht es nicht darum, den Feind politisch und mo­ralisch anzugreifen und ihn vor der Öffentlich­keit wegen seiner dunklen Machenschaf­ten bloßzustellen, »Gegeninformation« herzustellen, ist nicht das Ziel.

»Politisch« ist er auf einer Metaebene. Das Spiel mit Fiktion und Realität wird im Film nicht als bloßes Stilmittel, um des Ex­perimentierens willen verwendet. Es ver­mittelt eine politische Aussage über die Macht der medialen Wirklichkeit, die in Italien seit Jahren zur politischen Rea­li­­tät geworden ist. Der Unternehmer, Poli­ti­ker, Medienmogul und Showman Silvio Berlusconi verkörpert in seiner Person diese Verschmelzung von Realem und Irrealem auf groteske und gleichzeitig erschreckende Art und Weise.

Von dieser Ambivalenz lebt auch der Film, der immer wieder zwischen den amü­santen Szenen aus dem Wahlkampf von Mickey Louse und der beklemmenden Stimmung innerhalb der Filmcrew wechselt, die aufgrund der »echten Politik« einem immer stärkeren Druck ausge­setzt ist. Die Drohungen und Schwierigkeiten, die im Film dargestellt werden, sind insze­niert, es sei aber nicht einfach gewesen, diesen Film zu drehen, erzählte der Regisseur in einem Interview anlässlich der Premiere im Panorama-Programm der Berlinale. Die Crew sei nicht direkt bedroht worden, doch »ein gewisses Unwohl­sein und das Gefühl, beobach­tet zu werden, ist schon dabei, wenn man einen Film gegen einen der sieben reichs­ten Männer der Welt macht«, sagte Stahl­berg.

»Wir wollten von diesem Gefühl der Angst erzählen, das Leute haben, die gegen bestimmte politische Interessen arbei­ten«, fügte Co-Autorin Chiarla hinzu. Da­bei bezieht sie sich konkret auf die Fernsehzensur, die sich in den letzten Jahren in Italien immer stärker gegen Kritiker Berlusconis richtete, ganz egal ob es sich dabei um Komiker oder angesehhene Jour­nalisten handelte.

Die Anspielung auf die Zensur ist insbe­sondere für italienische Zuschauer deutlich, wird aber nicht agitatorisch verwendet. Deshalb kann man sich die Frage ersparen, ob und wie dieser Film den italienischen Wahlkampf beeinflusst hätte, wenn er vor den Parlamentswahlen am 9. April in die Kinos gekommen wäre.

Mit seiner komplexen, durchdachten Struktur hätte er vermutlich eine Menge sensationsgieriger Gegner Berlusconis enttäuscht.

»Bye, Bye Berlusconi« (D 2005). Regie: Jan Henrik Stahlberg, Darsteller: Maurizio Antonini, Lucia Chiarla, Pietro Bontempo. Kinostart: 30. März