Ein Krawall zur rechten Zeit

Die rechten Regierungsparteien versuchen, die Ausschreitungen von Mailand zu nutzen. Die Mailänder Linke ist sich uneins, wie sie auf die zunehmende faschistische Gewalt reagieren soll. von egon günther

Verkehrte Welt in Mailand? Mit ihren Rutenbündeln und Keltenkreuzen, »Duce, Duce!« rufend und die Hand zum römischen Gruß erhoben, marschierten am 11. März rund 1 000 Nazifaschisten und Boneheads von der rechtsradikalen Partei Fiamma Tricolore durch die Straßen von Mailand – einer Stadt immerhin, der wegen des Widerstands ihrer Bevölkerung gegen Mussolini und die deutschen Besatzer einst die Goldmedaille der Resistenza, des bewaffneten italienischen Widerstands, verliehen wurde.

Doch ungefähr 300 so genannte Autonome aus einigen Centri Sociali der Stadt stellten sich der Gruppierung entgegen, die von dem notorischen Holocaustleugner und erklärten Rassisten Luca Romagnoli angeführt wird und die mit Silvio Berlusconis Bündnis »Haus der Freiheiten« Absprachen für die bevorstehenden Wahlen getroffen hat. Auf einer vorausgegangenen Vollversammlung hatten die Autonomen beschlossen, den Nazifaschisten nicht ohne weiteres die Straße zu überlassen. Zwei Jahre nach der Ermordung eines Linken aus dem Centro Sociale Orso durch faschistische Messerstecher und 28 Jahre nach den ebenfalls von Faschisten verübten Morden an Fausto und Iaio, zweier Genossen des ältesten Sozialen Zentrums der Stadt, des Leoncavallo, wurde der Marsch der Fiamma Tricolore von diesem Teil der Mailänder Linken als das verstanden, was er war: eine Provokation und ein Skandal.

Ein anderer Teil, darunter die Aktivisten des Leoncavallo, hatte es an diesem Samstag vorgezogen, an einer nationalen Großdemonstration in Rom gegen die restriktive Drogenpolitik der Rechtsregierung teilzunehmen. Andere wiederum blieben gleich zu Hause. Bereits am Mittag verhinderten starke, zur Aufstandsbekämpfung gerüstete Polizeieinheiten, dass die Antifaschisten die für den Aufzug der Nazifaschisten vorgesehenen Straßen und Plätze, von der Porta Venezia zur Piazza San Babila, besetzen konnten. Dabei kam es zu Scharmützeln, wobei von der Polizei Schlagstöcke und Tränengas eingesetzt wurden. Eine Barrikade wurde gebaut, und in der am meisten frequentierten Mailänder Einkaufsmeile am Corso Buenos Aires gingen ein paar Schaufensterscheiben zu Bruch. Außerdem fingen vier Autos, ein Motorrad, ein Kiosk sowie ein Wahllokal der rechten Regierungspartei Alleanza Nazionale Feuer.

Ungefähr jeder zehnte aus der kleinen Schar der protestierenden Antifaschisten wurde von der Polizei festgenommen, die ihren eigenen Angaben zufolge Mühe hatte, einige Demonstranten vor einem angeblich zum Lynchen bereiten Mob Mailänder Bürger zu retten, der sich über den Sachschaden aus der Straßenschlacht und die »Gewalt der Autonomen« empörte. Derzeit befinden sich noch 35 Leute im Gefängnis.

Kaum hatte sich das Tränengas verzogen, eilten diesen ausgesucht gewaltfreien Bürgern die Führer der rechten Regierungspartien zu Hilfe, die in den Scherben von Mailand und der von den meisten Medien und vom Innenminister Giuseppe Pisanu überzogen als »Stadtguerillakampf« dargestellten, kläglich gescheiterten antifaschistischen Aktion ein kostenloses Wahlkampfgeschenk erkannten.

Zuvorderst waren natürlich die rechten Biedermänner um Gianfranco Fini und Silvio Berlusconi zur Stelle. Meinungsumfragen sagen ihnen eine Wahlniederlage vorher. Der Skandal um die Bespitzelung politischer Gegner vor der Regionalwahl in der Region Latium (»Laziogate«), der jüngst zum Rücktritt des Gesundheitsministers Francesco Storace führte, war nicht gerade hilfreich im Wahlkampf. Ein vom Mailänder Händlerverband ausgerufener abendlicher Fackelmarsch »gegen die Gewalt der Autonomen« bot ihnen eine willkommene Gelegenheit, die Ereignisse am Corso Buenos Aires für ihre Zwecke zu instrumentalisieren.

Mit zahlreichen italienischen Fahnen und hinter einem mit einem Wortspiel glänzenden Spruchband mit der Aufschrift »No ai prodi autonomi!« (»Wider die autonomen Helden!«) zogen Mitglieder des Verbandes italienischer Polizisten und Anhänger der Lega Nord, der Forza Italia und diverser faschistischer Parteien durch Mailand. Auch Silvio Berlusconi und Gianfranco Fini liefen mit, während Romano Prodi, der Spitzen­kan­didat des Linksbündnisses, wohlweislich nicht an dem Umzug teilnahm, den er als »Falle« bezeichnete.

Tatsächlich beabsichtigten die Rechten, sich den Umstand zunutze zu machen, dass etliche Kandidaten von Prodis Bündnispartner Rifon­dazione Comunista aus den Centri Sociali und der globalisierungskritischen Bewegung kommen. Ihre Inszenierung zielte zu offensichtlich darauf ab, Prodi in den Augen der veröffentlichten Meinung zum Schutzherren der autonomen Gewalt und sich selbst zu Freunden und Helfern der friedliebenden Bürger zu stilisieren.

Daniele Farina, der Sprecher des Leonca­vallo, dachte womöglich, er könne mit seiner Teilnahme am Fackelzug und seiner dadurch ausgedrückten Ablehnung der Gewalt die rechte Strategie unterlaufen. Die Spaltung der radikalen Mailänder Linken ist somit augenfällig. Auf der einen Seite sind diejenigen, die glauben, dass man auf der symbolischen Ebene nur verlieren könne, wenn man den Faschisten auf eine militante Weise Einhalt zu gebieten versucht. Sie behaupten, ihre Lehren aus der von gewalttätigen Auseinandersetzungen gekennzeichneten und letztlich erfolglosen linken Geschichte der siebziger Jahre gezogen zu haben. Auf der anderen Seite stehen diejenigen, die davon überzeugt sind, dass der antifaschistische Kampf langfristig auch ein militantes Vorgehen umfassen müsse.

Fest steht jedenfalls, dass man, in welcher Weise auch immer, auf die faschistischen Attacken auf Migranten, Linke und Centri Sociali reagieren muss, die sich in letzter Zeit alarmierend gehäuft haben – am besten, ohne dabei den Rechten in die Hände zu spielen. Denn Parteien wie Fiamma Tricolore sind nicht bloß honorige Wahlvereine mit ewiggestrigen Ansichten. Mit Piero Puschiavo und Maurizio Boccacci verfügt die Partei mittlerweile über zwei jüngere Sekretäre, die es als Gründer und Führer der »Veneto Fronte Skinheads« bzw. der »Base Autonoma« mit ihren Neonazi-Netzwerken nicht immer nur beim totalitären Vergangenheitskult oder bei fremdenfeindlichen Sprüchen belassen haben. Sie sind nachweislich für zahlreiche Übergriffe auf Juden, Migranten und Linke verantwortlich. Dass solche Leute nun von einer sich bedrängt fühlenden Rechtsregierung aufgewertet werden, ist der Skandal.