Kritik für alle

Seit einem Jahr behauptet sich die kleine linke Zeitung Diagonal auf dem spanischen Pressemarkt. von thorsten mense

Viele haben nicht geglaubt, dass wir ein Jahr durchhalten. Aber hier sind wir, und wir machen weiter!« erklärt Belén Macías stolz. Die Redakteurin gehört zu den Gründungsmitgliedern der spanischen linksalternativen Zeitung Diagonal, die im März vergangenen Jahres zum ersten Mal erschien. Damals waren selbst manche Initiatoren nicht davon überzeugt, dass ihr Blatt einen so langen Zeitraum überstehen würde. Doch nun feierte die Zeitung, und man kann schon jetzt von einer kleinen Erfolgsgeschichte sprechen.

Die Diagonal mit Sitz in Madrid erscheint alle 14 Tage und versteht sich als »aktuelle kritische« Zeitung, deren Schwerpunkt auf der Berichterstattung »von unten« liegt. Die Autorenschaft setzt sich zum Großteil aus Mitgliedern sozialer Bewegungen, Universitätsprofessoren und linken Journalisten zusammen. Ihr Ziel ist es, eine »ernsthafte kommunikative Alternative« zu schaffen, mit einer möglichst weiten Verbreitung. Man will eine Zeitung der sozialen Bewegungen sein, die aber auch von Leuten gelesen werden soll, die nicht zu diesen Kreisen gehören. Auf diese Weise sollen kritische und linke Meinungen in die öffentliche Diskussion eingebracht werden. »Die kritischen Diskurse müssen außerhalb des Kreises bekannt gemacht werden, der sie schon kennt«, heißt es in der Vorstellung des Zeitungsprojektes. Und auch Belén Macías betont: »Wir wollen den Kreis der Leser erweitern und nicht nur diejenigen erreichen, die sowieso schon überzeugt sind.«

Die Frage, ob dieses Ziel bereits erreicht wurde, will sie aber nicht mit einem eindeutigen »Ja« beantworten. »Wir sind auch immer noch eine Randerscheinung.« Doch sind die über 3 000 Abonnements ein deutliches Zeichen, dass die Herausgeber auf dem richtigen Weg sind. Umso mehr, als in Spanien der Tageszeitungsverkauf eigentlich fast ausschließlich über die Kioske läuft. Auch das linke Blatt ist an 3 000 solchen Verkaufsstellen erhältlich.

Die Vorgeschichte der Diagonal reicht 20 Jahre zurück. Entstanden 1986 als zusammenkopiertes Anarchopunk-Fanzine Molotov an der Fakultät für Politikwissenschaften und Soziologie an der Madrider Universität Complutense, schmückten Molotov-Cocktails, Anarchiezeichen und Vermummte die ersten Titelbilder. In dieser Form erschien das Heft bis 1998. Nach dem Zusammenschluss mit dem linken Informationsnetzwerk UPA nannte sich das Blatt ab 1994 Bulletin und Agentur der Gegeninformation. Nach einem Jahr Pause erschien dann 1999 die relaunchte Ausgabe des Molotov; die Zeitung war grafisch wie auch textlich deutlich professioneller geworden. Doch die Herausgeber wollten eine noch größere Gegen­öffentlichkeit schaffen und kündigten Ende 2003 den »gro­ßen Sprung nach vorne« an.

Im März 2005 kam dann die erste reguläre Ausgabe der Diagonal heraus. Mittlerweile erscheint die Zeitung in einer Auflage von 15 000 Stück in ganz Spanien und wird sowohl in Infoläden, linken Buchhandlungen als auch an Straßenkiosken verkauft.

Wie bei fast allen linken Projekten bleibt auch bei der Diagonal die Finanzierung das Hauptproblem. »Wenn man wirklich unabhängig sein will, ist das die größte Schwierigkeit«, so Belén Macías. Da man weder finanzielle Hilfe von Parteien oder Stiftungen noch Werbung von Unternehmen will, bleibt die Zeitung ein prekäres Projekt, das vom Engagement der Beteiligten lebt. Ohne die 500 Helfer pro Ausgabe, die unentgeltlich Texte verfassen oder die Zeitung verteilen, könnte die Publikation nicht überleben.

Die Herausgeber versuchen, soweit dies mög­lich ist, die Ausbeutungs- und Machtverhältnisse der Gesellschaft nicht zu reproduzieren. Die sechs fest angestellten Mitarbeiter ­bekommen den gleichen Lohn; die 25köpfige Redaktion ist kollektiv organisiert, Entscheidungen werden ausschließlich von allen gemeinsam getroffen. Ebenso unterliegen die Texte nicht dem Copyright, sondern der Creative Commons-Lizenz.

Creative Commons ist der 2002 von dem Urheberrechtsexperten Lawrence Lessig initiierte ­Gegenentwurf zum Konzept des »geistigen Eigentums«. Die Lizenz erlaubt ausdrücklich den Nachdruck von Texten zu nicht kommerziellen Zwecken, sofern der Autor und die Quelle genannt werden.

Die 48 Seiten starke Zeitung bietet Reportagen, Debatten, Meldungen und Analysen und von Politik über Kultur bis hin zum Thema Gesundheit eine Vielfalt von Themen. Sie erhebt dabei nicht den Anspruch, neutral zu sein. Ganz im Gegenteil, man will kritisch Partei ergreifen und dabei soziale und linke Bewegungen stärken. Die Aufmachung ist seriös und professionell, der Leser merkt, dass die Herausgeber einen journalistischen Anspruch haben und auch Menschen zum Lesen der Zeitung animieren wollen, die sich nicht in der Linken engagieren. »Damit auch meine Mutter die Zeitung lesen kann«, wie es Belén Macías ausdrückt. Daher ist den Herausgebern auch ein ansprechendes Layout wichtig. »Linke und kritische Berichterstattung kann und sollte attraktiv sein, auch wenn die Welt noch so schlecht ist.«

Die Heterogenität der sozialen Bewegungen und ihrer Autoren sehen die Herausgeber als positive und treibende Kraft des Mediums an. Die gemeinsamen politischen Fundamente werden in der Selbstdarstellung u.a. mit »Antikapitalismus, radikaler Demokratie, Ökologie, Antimilitarismus und Widerstand gegen das patriarchale System« beschrieben.

Dass auch hierbei manchmal sehr diffus alles unter dem Label »links« gesammelt wird, was sich ungeachtet der politischen Inhalte so bezeichnet, liegt wohl in der Natur eines strömungsübergreifenden Organs. Dass dadurch auch die kollektive Arbeit nicht frei von Konflikten ist, sieht die Redaktion jedoch keineswegs negativ, sondern als Notwendigkeit an. »An dem Tag, an dem keine Konflikte mehr aufkommen, werden wir alles Mögliche machen, außer einer Zeitung«, heißt es in dem Resümee des Redaktionskollektivs zum ersten Jahr.

Das oberste Ziel ist es nun, die Zahl der Abonnements auf 5 000 zu erhöhen, um so aus der Prekarität herauszukommen und dadurch eine etwas entspanntere Situation zu schaffen. Außerdem will man weiter daran arbeiten, eine wirklich partizipative Zeitung zu erschaffen, die »von jedem für jeden« gemacht wird. »Es soll kein geschlossenes Projekt sein, sondern sich stetig weiterentwickeln«, betont Macías. Dass dies kein leicht zu erreichendes Ziel ist, wenn man dabei die Professionalität beibehalten will, weiß auch die Redakteurin: »Es bleibt eine Herausforderung.«

www.diagonalperiodico.net