»Im Herzen bin ich Sozialist«

Corny Littmann

Zum ersten Mal in seiner Geschichte steht der FC St. Pauli im Halb­finale des DFB-Pokals und spielt am kommenden Mittwoch gegen den FC Bayern München. Anfang der neunziger Jahre wurde St. Pauli zum Lieblingsverein linker Fußballfans. Mit Volker Ippig stand sogar ein Bewohner der Hamburger Hafenstraße im Tor der Bundesligamannschaft. Inzwischen spielt der Verein in der Regionalliga.

Seit Ende 2002 hat er einen schwulen Schauspieler als Präsidenten. Corny Littmann ist Geschäftsführer des Hamburger Theaters »Schmidts Tivoli«, wurde zum »Hamburger Unternehmer« des Jahres 1999 gewählt und bezeichnet sich selbst als »Fanpräsident«. Stefan Rudnick sprach mit ihm von Geschäftsführer zu Geschäftsführer.

Hat sich der Verein mit den Einnahmen aus dem Pokal saniert?

Der Verein ist wirtschaftlich gesund so wie seit Jahrzehnten nicht mehr, hätte ich fast gesagt. Nein, ganz so lange ist es nicht her, dass es uns so gut ging, aber sicher waren die Pokaleinnahmen für uns ein unverhoffter finanzieller Segen.

Sind damit die Schulden beim Finanzamt getilgt?

Der Verein hat langfristige Verbindlichkeiten, die ihn nicht drücken. Und die Probleme mit dem Finanzamt besprechen wir nur mit dem Finanzamt.

Anlässlich eines Spiels gegen den FC Bayern sprach die Stadionzeitung vor einigen Jahren noch von »Klassenkampf«. Inzwischen macht der FC Bayern Benefizspiele zugunsten des FC St. Pauli, und Uli Hoeneß sagte nach der Auslosung, er hätte lieber im Finale gegen St. Pauli gespielt, weil man miteinander befreundet sei.

Wir haben ein freundschaftliches Verhältnis. Aber in der nächsten Woche werden wir kein Freundschaftsspiel austragen, sondern ein Halbfinale im DFB-Pokal. Ich bin mir sicher, dass unsere Spieler das Spiel gewinnen wollen. Die Bayern sind aus der Champions League ausgeschieden, wodurch der DFB-Pokal für sie an Wichtigkeit gewonnen hat.

Ist der FC St. Pauli noch der Außenseiter wie in den vorangegangenen Spielen oder sind die Erwartungen gestiegen?

Die sportliche Ausgangssituation ist klar: Wir sind krasser Außenseiter. Wir haben auf dem Papier keine Chance, und die werden wir gnadenlos nutzen. Trotzdem wecken die Pokalerfolge gegen Berlin und Bremen – und zwar nicht nur die Tatsache, dass wir gewonnen haben, sondern auch die Art und Weise – die Erwartung, dass unserer Mannschaft Derartiges noch einmal gelingt. Berlin und Bremen unterscheiden sich qualitativ nicht zu sehr von den Bayern.

Seit dem Sieg gegen Bremen hat St. Pauli in der Regionalliga viele Punkte verloren, der Aufstieg scheint kaum noch möglich. Vernachlässigt die Mannschaft die Liga?

Überhaupt nicht. Alle, auch der Trainer Andreas Bergmann, haben nach jedem Pokalerfolg betont, wie wichtig die laufende Saison für uns ist. Die Regionalliga Nord ist undankbar und sportlich sehr schwierig. Alle Spiele oben in der Spitze sind äußerst knapp, da spielen manchmal Glück und Unvermögen eine Rolle.

Ist der Aufstieg noch möglich?

Es stehen fünf Mannschaften oben, die um zwei Aufstiegsplätze spielen. Das Rennen ist noch nicht entschieden. Sicherlich ist die Situation im Moment nicht die beste. Aber das kann schon in zwei Wochen wieder anders aussehen.

Wie viele Bundesligisten haben sich bereits gemeldet, die Ihren Pokal-Torschützen Felix Luz kaufen wollten? Hertha BSC Berlin soll interessiert sein.

Ja, die haben mal Interesse bekundet. Aber uns liegt kein Angebot vor.

Glauben Sie, dass Sie ihn für eine weitere Saison in der Regionalliga halten können?

Felix Luz hat einen Vertrag für ein weiteres Jahr mit dem FC St. Pauli, der auch für die Regionalliga gilt. Alles andere ist Spekulation.

Sie waren Mitglied des Kommunistischen Bundes?

Ich war Sympathisant des KB, aber ich war nie Mitglied. Ich weiß nicht, woher das Gerücht kommt.

Immerhin haben Sie 1980 als Spitzen­kandidat der Hamburger Grünen zu den Bundestagswahlen kandidiert. Sind Sie heute noch Sozialist?

Eine schwierige Frage. Im Herzen: ja.

Der FC St. Pauli gilt als »linker Verein«. Entspricht dies der Realität oder vermarktet der Verein dies nur noch als Image?

Die Vereinsführung trägt es nicht als Etikett vor sich her, ein »linker Verein« zu sein. Aber natürlich gibt es bei uns viele Dinge, zum Beispiel Verhaltensweisen und Regeln, die von Dritten als »links« wahrgenommen werden.

Ebenso wie den Fans ist es der Vereinsführung sehr wichtig, dass der FC St. Pauli in Wort und Tat antirassistisch und antifaschistisch ist. Das sind Worte, die andere Vereine nicht so gerne im Munde führen. Das schlägt sich in der Vereinssatzung und in der Stadionordnung nieder, aber auch im Verhalten der Fans. Das etikettiert der eine oder andere als »links«. Für mich sind diese Dinge eher selbstverständlich. Und ich bin der Meinung, dass der Fußballplatz nicht der Ort ist, an dem politische Auseinandersetzungen stattfinden sollten.

Der Verein hat Stadionverbote gegen Fans ausgesprochen, die die Polizei auf den Bambule-Demonstrationen gesehen haben wollte.

Das ist Unsinn.

Es ist Unsinn, dass Sie Stadionverbote ausgesprochen haben?

Nein, es ist Unsinn, dass dies irgendetwas mit den Bambule-Demonstrationen zu tun hatte. Wir haben damals, die Sache ist ja schon zwei Jahre her, sechs Stadionverbote ausgesprochen, von denen fünf nach einer Woche wieder aufgehoben wurden. Es ging darum, dass bei dem Spiel gegen die Amateure des Hamburger SV in der AOL-Arena Sitzreihen in Brand gesetzt worden waren.

Aus dem linken Fanspektrum wurden Sie damals kritisiert, weil Sie den Anschuldigungen der Polizei gefolgt seien und nicht die Fans angehört hätten.

In der Folge des HSV-Spiels gab es viele Diskussionen, öffentliche und andere. Da ist eine ganze Menge passiert in der Frage der Stadionverbote, wobei man wissen muss, dass der FC St. Pauli zuvor durch seinen Sicherheitsbeauftragten Sven Brux etliche Stadionverbote verfügt hatte. Danach haben wir das Verfahren über Stadionverbote neu geregelt. Im Übrigen auch in Kooperation mit der Polizei, das ist keine Frage.

Für jemanden, der im angetrunkenen Zustand eine Bierflasche aufs Spielfeld wirft, ist es erst mal nicht einsichtig, warum er Stadionverbot bekommt. Grundsätzlich ist ein solches Verbot eine schwierige Sache, weil es in einer gravierenden Weise in die Rechte der Fans eingreift. Wir gehen damit sehr sorgfältig um. Bei uns werden nicht, wie es vielleicht anderswo üblich ist, Verbote von einer Stelle exekutiert. Im Zweifel fragen wir nach. Es gibt ein Anhörungsrecht, das nicht nur für Fans des FC St. Pauli gilt, sondern auch für gegnerische Fans.

Sie sind der erste schwule Vereinsprä­sident im deutschen Fußball.

Ich bin der erste, der es sagt.

Haben Sie die Hoffnung, dass auch im Fußball Homosexualität zu etwas Alltäglichem wird? Wird ein schwuler Vereinspräsident sogar schon akzeptiert?

Für mich ist es nichts Besonderes, ein schwuler Vereinspräsident zu sein. Ich bin Präsident geworden, weil ich jahrzehntelang ein leidenschaftlicher Fan und Unterstützer des FC St. Pauli war, und nicht, weil ich schwul bin. Da ich immer wieder danach gefragt werde, ist es offensichtlich für andere etwas Besonderes, für mich natürlich nicht.

Sie haben einmal gesagt, Sie würden keinem schwulen Fußballspieler raten, sich zu outen. Hat sich daran etwas verändert?

Nein.