Die Brüder zahlen nicht

Nach der Einstellung westlicher Hilfszahlungen steht die Regierung der Hamas vor der Pleite. Die arabischen Staaten wollen nicht einspringen. von michael borgstede, tel aviv

Gerade zwei Wochen ist die neue Palästinenser­regierung im Amt, und kaum ein Tag verging ohne Hiobsbotschaften für die neuen Herren. Bereits in der ersten Kabinettssitzung am Mittwoch der vergangenen Woche kündigte Minis­terpräsident Ismail Hanija den finanziellen Kollaps der Autonomiebehörde an: »Wir stehen vor vollkommen leeren Kassen.« Am selben Tag wurde be­kannt, dass die in Jordanien ansässige Arab Bank die Zusammenarbeit mit der Palästinenserregierung aufgekündigt hatte. Die Suche nach einer neuen Bank aber gestaltete sich schwer. »Man kann keine Regierung führen, ohne eine Bank zu haben«, sagte ein ­Regierungsbeamter am Donnerstag.

Noch schwieriger ist es, eine Regierung ohne Geld zu führen. Am Freitag beschloss die EU-Kommission, vorerst alle Direktzahlungen an die Autonomie­behörde einzustellen. Die Vereinigten Staaten folgten flugs: Ein Sprecher des Außenministeriums in Washington sagte, man werde erst wieder zahlen, wenn die Hamas das Existenzrecht Israels anerkenne. Dass die US-Regierung gleichzeitig die Hilfszahlungen an das Palästinenserhilfswerk der Vereinten Nationen fast verdoppelt hat, dürfte die Hamas-Regierung kaum trösten. Wenn nicht noch ein Wunder geschieht, könnten in der kommenden Woche 140 000 Staatsdiener vergeblich auf ihr Gehalt für April warten.

80 Millionen Dollar Soforthilfe haben Kuwait, Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate versprochen. Etwas verlegen musste Finanzminister Omar Abdel Rassaq allerdings zugeben, dass er nicht wisse, wann mit dem Geld zu rechnen sei. Dennoch verlasse sich die neue Regierung auf »Zusagen der arabischen und islamischen Welt, die Palästinenser und ihre Sache zu unterstützen«.

Das ist ein verzweifelter Hilferuf. Denn in Wahrheit musste die Hamas längst einsehen, dass mit der viel beschworenen panarabischen Solidarität kein Staat zu machen ist. Auf einem Gipfeltreffen der Arabischen Liga in Khartum bekundeten die 23 ara­bischen Staats- und Regierungschefs im März zwar ihre Solidarität mit der neuen palästinensischen Re­gierung. Rund 170 Millionen Dollar hatte die Hamas von den arabischen Brüdern erbeten, ganze 50 Millionen wurden schließlich bewilligt. Doch wenig später musste der algerische Ratspräsident Zahlungs­probleme einräumen. Außer Algerien hätten nur zwei weitere Staaten ihre Mitgliedsbeiträge bezahlt, wurde gemunkelt.

So bleibt dem neuen Außenminister Mahmoud al-Zahar nichts übrig, als seine Antrittsreise Mitte April zu einer Betteltournee durch die arabische Welt zu machen. Zumindest in Jordanien und Ägypten wird er aber auch mahnende Worte zu hören bekommen. Sowohl König Abdullah als auch Präsident Hosni Mubarak liegt viel an der Stabilität in ihrer Nachbarschaft. Sie würden die Hamas gern zur Anerkennung Israels bewegen, um den Friedens­prozess wieder zu beleben und den Plänen des designierten israelischen Ministerpräsidenten Ehud Olmert den Garaus zu machen.

Olmert geht davon aus, nach dem Wahlsieg der Hamas keinen Verhandlungspartner unter der Palästinensern finden zu können, und möchte deshalb allein die zukünftigen Grenzen des Staates Israel festlegen. Dass im Rahmen einer solchen Ak­tion nicht mit einem Rückzug auf die Grenzen von 1967 zu rechnen ist, sorgt in Ramallah zunehmend für Unruhe. Doch um als Verhandlungspartner in Betracht zu kommen, müsste die Hamas jene Forderungen erfüllen, die auch die »internationale Gemeinschaft« als Vorraussetzung für die Wiederaufnahme der Hilfszahlungen nennt: die Anerkennung Israels, einen Gewaltverzicht sowie die Einhaltung aller bisheriger Vereinbarungen.

Ob die Einstellung der Zahlungen angesichts der angespannten wirtschaftlichen Situation in den palästinensischen Gebieten klug war, bleibt dahingestellt. Den Europäern blieb keine andere Wahl. »Es gibt Dinge, die kann man dem europä­ischen Steuer­zahler nicht mehr zumuten«, sagte Marc Otte, der EU-Gesandte für den Nahen Osten, bereits vor Wochen. Doch nicht selten haben Drohungen und Sanktionen gegen islamische Länder in der Vergangenheit zu Trotzreaktionen in der Bevölkerung geführt und das Gegenteil der erwünschten Wirkung herbeigeführt. Könnte die Einstellung der Zahlungen die Hamas also vielleicht gar stärken? Und wäre diese Befürchtung ein ausreichender Grund, um auf das einzige Druckmittel gegen die Terrororganisation zu verzichten?

Die Hamas jedenfalls will sich einerseits gemäßigt präsentieren, andererseits aber ihre ideologischen Grundlagen nicht in Frage stellen. Noch Anfang der vergangenen Woche wollte Außenminister Zahar nichts von einer Anerkennung Israels wissen, einige Tage später soll er in einem Brief an den Generalsekretär der Vereinten Nationen, Kofi Annan, die Mög­lichkeit einer Zwei-Staaten-Lösung zur Sprache gebracht haben. Am Freitag erschien in der Londoner Times ein Inter­view mit Zahar, in dem dieser seine Bereitschaft erklärte, mit den Mitgliedern des Nahost-Quartetts über die »Beschaffenheit einer Zwei-Staaten-Lösung« zu beraten.

Am gleichen Tag sorgte ein hoher palästinensischer Beamter für Aufsehen, der davon berichtete, Hanija wolle dem Kabinett einen Vorschlag zur in­direkten An­erkennung Israels unterbrei­ten. Das sei nicht korrekt, sagte der stell­vertretende Ministerpräsident Nasser al-Shaer prompt der Nachrichtenagentur Reuters. Die Hamas werde keine »derart massive Veränderung ihrer Ideo­logie« zulassen und so eine Entfremdung von ihren Anhängern provozieren. Dennoch sind Ende der ver­gangenen Woche alle Minister der neuen Regierung aus der Hamas ausgetreten. Offi­ziell hieß es, man wolle die entsprechen­den Positionen innerhalb der Terror­organisation anderweitig besetzen. In Wahrheit ist dies wohl nur ein weiterer Versuch, internationalen Organisationen direkte Zahlungen an die Autonomiebehörde zu ermöglichen, ohne dabei in Kon­takt mit der verpönten Hamas treten zu müssen.

Wie ernst diese programmatischen Win­dungen zu nehmen sind, ist schwer zu beurteilen. Ein Sprecher des israelischen Außenministeriums tat die jüngsten Aktivitäten der Hamas schlicht als »Verbalgymnastik« ab. Von einem bedingungslosen Waffenstillstand, den die Terrororganisation den Israelis über ägyptische Mittler angeboten hat, will die israelische Regierung auch nichts wissen. War die Hamas in der Vergangenheit doch immer dann zu einem Waffenstillstand bereit, wenn sie Ruhe zur Reorganisation und Wiederbewaffnung brauchte. Darum kann Israel auch der theoretischen Möglichkeit eines langjährigen Waffenstillstands nichts abgewinnen.

Vielleicht haben die Optimisten ja Recht, und die Palästinenser, schon jetzt des Kampfes überdrüssig, werden sich langsam mit dem israelischen Staat an ihrer Seite abfinden, auch ohne ihn je offiziell anerkannt zu haben. Jahrelang bestand Israel darauf, die von Yassir Arafat geleitete Palästinenserregierung an ihren Taten, nicht ihren Worten zu messen. Diesen Grundsatz könnte man auch für die Hamas gelten lassen. In Israel hingegen fürchtet man nicht zuletzt das hohe palästinensische Bevölkerungswachstum. Und dass nach zehn, 20 Jahren Waffenruhe ohne Friedensabkommen der Ruf nach der Vernichtung des jüdischen Staates wieder aufkommen könnte.