Die letzten Stunden des CPE

Proteste in Frankreich von bernhard schmid, paris

Glücklicherweise hinterlässt der soziale Kon-flikt, der die französische Gesellschaft seit nunmehr zwei Monaten in Atem hält, keinen Toten. Noch vor kurzem war dies nicht gesichert. Der 39jährige Cyril Ferez, Mitglied der linken Basisgewerkschaft SUD PTT, lag 18 Tage im Koma. Mitte März hatte ihn ein Knüppel der Bereitschaftspolizei getroffen und Hirnblutungen verursacht. Erst am Donnerstag vergangener Woche wachte er aus dem Koma auf.

Ein politischer Todesfall könnte hingegen in naher Zukunft ein Ergebnis der Proteste sein. Die Karriere von Premierminister Dominique de Villepin ist sehr gefährdet. Nach Angaben der Sonntagsausgabe von Le Parisien betrachten ihn 86 Prozent der befragten Franzosen als »geschwächt«, nur neun Prozent glauben an das Gegenteil.

Glimpflicher kommt allerdings sein Rivale innerhalb des regierenden konservativen Blocks, der Innenminister Nicolas Sarkozy, davon. Ihn sieht sogar eine knappe Mehrheit gestärkt aus dem jüngsten Konflikt hervorgehen. Sarkozy hatte vorige Woche klar zu erkennen gegeben, dass er bereit dazu sei, den CPE und den Premierminister seinen eigenen politischen Ambitionen zu opfern, und die Verhandlungen mit den Gewerkschaften zum Teil übernommen. Den Job von de Villepin möchte er allerdings nicht an seiner statt ausüben, da er im kommenden Jahr Präsident werden will. Die Wahlchancen von Sarkozys UMP insgesamt sind jedoch vorerst deutlich gesunken.

Zunächst hatte Präsident Jacques Chirac sich am vorvergangenen Freitag an einer politischen Pirouette versucht. Er setzte das Gesetz über die CPE durch seine Unterschrift in Kraft, doch kündigte er gleichzeitig ein zweites Gesetz an, das die Bestimmungen des ersten später modifizieren würde. Das Kalkül ist: Entweder würden die Gewerkschaften bereit sein, an den Verhandlungen über das zweite Gesetz teilzunehmen, oder sie ließen sich nicht darauf ein. Dann aber wäre der CPE bereits eingeführt und bliebe einfach, wie er ist. Doch die Proteste wurden nach der Ansprache Chiracs und seinem »Kompromissvorschlag« noch stärker, nicht schwächer. Der Pseudo-Kompromiss war nicht mehr haltbar.

Nach den Großdemonstrationen vom Dienstag voriger Woche drehten sich die Gespräche nicht mehr vorrangig um Modifikationen am CPE. An diesem Montag nun legten die Unterhändler der UMP, die mit den Gewerkschaften diskutiert hatten, den neuen Gesetzentwurf vor. Der CPE wird definitiv gestrichen, stattdessen soll es eine Eingliederungshilfe für Jugendliche mit geringer Berufsqualifikation und schlechten Arbeitsmarktchancen geben. Letztgenannte wird von den Gewerkschaften im Prinzip akzeptiert. Premierminister de Ville­pin hatte noch am Freitag sein Veto gegen die geplante Streichung des CPE eingelegt. Doch er musste nachgeben.

Auch der Unternehmerverband Medef drängte auf die Rücknahme des CPE. Seine Mitglieder fingen an, über die Bedrohung ihrer ökonomischen Interessen durch die Verkehrsblockaden von Studierenden und Gewerkschaften, durch Lieferverzögerungen und »die Schädigung des französischen Images in der Welt« zu klagen. Ferner fürchteten sie, dass auch in ihren Betrieben die sozialen Spannungen noch anwachsen, da auch Beschäftigte der Privatwirtschaft an den Straßenprotesten teilnahmen. Im Übrigen fürchtete der Medef aber auch, dass eine sichtbare Niederlage beim CPE für die kommenden Jahre Bemühungen um die Einschränkung des Kündigungsschutzes erschweren oder gar unmöglich machen würde. Daher solle man sich geschmeidiger zeigen, um sich künftige Optionen nicht völlig zu verbauen.