Frauen denken, Männer kassieren

Die Entscheidung in der zweiten Runde der Präsidentschaftswahlen fällt zwischen der Christdemokratin Flores und dem indigenen Nationalisten Humala. Viele Peruaner mögen keinen von beiden. von moritz piehler, lima

Wenn es nach Jesus geht, bekommt Peru eine Präsidentin. »Wir brauchen eine Frau an der Spitze«, sagt er mit Nachdruck. »Ein Frau«, meint er und macht eine kleine Kunstpause, während er den Blick von der glücklicherweise fast leeren Panamericana abwendet, »eine Frau lässt sich nicht bestechen, die denkt dreimal nach.« Männliche Politiker dagegen seien alle korrupt, und »einen Ex-Militär wie Humala können wir auf keinen Fall gebrauchen«, sagt der Fremdenführer und Taxifahrer Jesus, der in seinem staubigen Buick Touristen durch die Wüste auf der Panamericana zu den Li­nien von Nazca kutschiert.

Im Januar wurde in Chile erstmals eine Frau zur Präsidentin gewählt, nun hat auch in Peru eine Kandidatin, die Christdemokratin Lourdes Flores, die Chance, das höchste Staatsamt zu übernehmen. Ihr wichtigster Konkurrent ist der ehemalige Offizier Ollanta Humala, während der ehemalige Präsident Alan García in der Schlussphase des Wahlkampfs an Unterstützung verlor.

Ein Großteil der Wähler hält fest zu einer bestimm­ten Partei. El Comercio, die größte Tageszeitung des Landes, forderte in aufwändigen Fernsehspots und großformatigen Anzeigen die Peruaner auf, sich vor der Wahl eingehend zu informieren. Doch es zählte vor allem das Image der Kandidaten. Welche Programme sich hinter den populistischen Äußerungen Humalas verbergen, der seine Unterstützung hauptsächlich aus dem armen Süden und dem Hochland erhält, und den Versprechen von Lourdes Flores, die die meisten der Stimmen im verhältnismäßig reichen Lima sammelt, bleibt unklar.

Viel erwarten die meisten Peruaner von den Politikern nach zahllosen Enttäuschungen ohnehin nicht mehr. »Solange Wahlkampf ist, machen die Politiker den Leuten hier Versprechungen, gehen in die Viertel und lassen sich beim Händeschütteln fotografieren«, sagt die Sozialarbeiterin Carola, die mit ihrer NGO Cedro in den ärmsten Vierteln von Lima für Drogenprävention kämpft. »Am Tag nach der Wahl werden die Barrios wieder vergessen sein.« Lima ist dichter bevölkert als die meisten Millionen­städte, weil Meer und Berge die Fläche einschränken. Die Gassen sind bedrückend eng, aber voller Menschen. Die meisten gehören zu jenen 54 Prozent der Bevölkerung, die unter der Armutsgrenze leben.

Die Armut zu bekämpfen, versprechen alle Kandi­daten. Alan García, in dessen Amtszeit die Infla­tion zeitweise 7 000 Prozent überstieg, redet von Verstaat­lichung und gesicherten Mindestlöhnen. Lourdes Flores, eine Anwältin aus der Oberschicht, kombiniert wirtschaftsliberale Pläne, unter anderem weitere Privatisierung und eine Öffnung des Marktes für die USA, mit staatlichen Arbeitsbeschaffungsmaßnah­men. 650 000 neue Arbeitsplätze mit »gerechtem« Lohn sollen pro Jahr durch Straßenbau und eine Ver­besserung der Kanalisation geschaffen werden. Zugleich präsentiert sich Flores als Garantin von »law and order«, die Zahl der Polizisten soll ver­doppelt und das Problem des Terrorismus »militärisch gelöst« werden.

Immerhin hat Flores ihr Regierungsprogramm vor der Wahl offengelegt und sich somit an einen Teil des »ethischen Wahlpakts« gehalten. Die Übereinkunft zwischen 35 Parteien und Teilen der Presse sollte einen offenen und sauberen Wahlkampf garantieren.

Geheimnisvoller bleiben die Pläne Humalas, der im Jahr 2000 einen Militäraufstand gegen den damaligen Präsidenten Alberto Fujimori anführte. »Ich bin ein Nationalist«, charakterisiert er sich selbst und erklärt deutlich, dass die Nachfahren europäischer, asiatischer, vor allem aber chilenischer Einwanderer keinen Platz in den von ihm erträumten wieder errichteten Inkareich haben sollen (siehe Jungle World, 10/06). Weniger klar sind seine wirtschaftlichen Pläne. Humala, der vor allem in der armen indigenen Bevölkerung Unterstützung findet, verspricht eine gerechtere Gesellschaft. Anders als die Präsidenten Venezuelas und Boliviens könnte er sich jedoch nicht auf Ressourcen an Erdgas oder Öl stützen, um die Armutsbekämpfung zu finanzieren.

Hugo Chávez und Evo Morales sehen in ihm einen willkommenen Bündnispartner. Die meisten peruanischen Linken dagegen haben sich längst von ihm abgewandt. Sie unterstützen entweder einen der zahlreichen Kandidaten kleinerer Parteien oder wählen ungültig. Die linkere der beiden großen Tageszeitungen, La República, hatte Humala nach seinem Militäraufstand noch als aufrechten Kämpfer gegen die Korruption gefeiert. Mitt­ler­weile ist die Zeitung auf Distanz gegangen, in einem Kommentar warnte der stellvertretende Chefredakteur Gustavo Gorriti vor dem Populisten. Es gehe um eine Entscheidung zwischen Demokratie und Diktatur: »Nicht aus den Fehlern der Vergangenheit zu lernen, ist idiotisch.«

Zwischen 1968 und 1980 herrschte ein Militärregime in Peru. Nach 1985 folgten mit Alan García und Alberto Fujimori zwei autoritär regierende Präsidenten, in dieser Zeit starben im »schmutzigen Krieg« zwischen der maoistischen Guerillabewegung Sendero Luminoso und dem Militär zwischen 30 000 und 70 000 Menschen. Die Kämpfe zwangen viele zur Flucht in die Städte. Vor allem im Hinterland sind die Auswirkungen des Kriegs noch deutlich zu sehen, aber auch in Lima ist jedes offizielle Gebäude weiterhin von Wachttürmen und Stacheldraht umgeben. Noch im Januar wurden acht Po­lizisten von verbliebenen Kämpfern der stark de­zimierten Bewegung getötet, Soldaten erschossen einen mutmaßlichen Guerillaführer auf offener Stra­ße.

Weiterhin ist Peru neben Kolumbien der weltweit größte Produzent von Kokablättern. Der von Flores befürwortete Versuch, den »Narkoterrorismus« mit militärischen Mitteln zu bekämpfen, hat jedoch weder in Kolumbien noch in anderen Ländern die Situation verbessert. Humala hat angekündigt, den »Krieg gegen Drogen« zu beenden, doch auch er propagiert einen autoritären Staat und will das Militär stärken, während García mit der Todesstrafe für Terroristen Stimmen gewinnnen möchte.

Kaum jemand, der politisch gebildet ist, unterstützt einen der drei Hauptkandidaten. Der Maschinenbaustudent Jaime ist aus dem Andenhochland nach Lima gekommen, um Deutsch zu lernen, da eine Spezialisierung in seinem Fachgebiet nur im Ausland möglich ist. Seine Mutter hat keine Schulbildung, sein Vater arbeitet für die Minen, die europäischen oder US-Firmen gehören, in den Bergen. Jaime sieht keinen Kandidaten als Alternative, er werde wohl ungültig wählen, sagt er mit einem Schulterzucken.

»Eigentlich sind wir ein so reiches Land, wir haben Gold, Kupfer, Silber. Aber die Einnahmen aus dem Erzabbau bleiben nicht in Peru«, sagt er, der sich als Sozialist bezeichnet. Die Erz­ausfuhr macht fast die Hälfte der Export­einnahmen aus, betrieben wird der Abbau aber fast ausschließlich von ausländischen Firmen. »Wir haben in Peru nur die Chance, uns selbst weiter zu entwickeln, wenn wir das ändern und das Geld im Land bleibt. Und wir müssen besser mit den anderen lateinamerikanischen Ländern zusammenarbeiten, wie in der Anden­gemeinschaft.« Doch die Andengemeinschaft (Can), die nach dem Vorbild und mit dem Geld der EU ein regionales Integrationsmodell werden soll, hat in der Bevölkerung keine große Akzeptanz. Zudem steht Peru unter dem Druck, sich einer der beiden großen Freihandelszonen anzuschließen, der von den USA propagierten Nafta oder dem von Brasilien dominierten Mercosur.

»Nie hatten wir so viele Kandidaten und selten so wenig Alternativen«, kommentierte La República den Wahlkampf. Bei der Wahl am Sonntag stimmten nach vorläufigen offiziellen Ergebnissen 27,8 Prozent für Humala, 26,3 Prozent für Flores und 25,6 Prozent für Alan García. Die Stichwahl am 7. Mai wird zwischen den beiden Bestplatzierten entscheiden.