Gott ist schwul

Morrissey auf Sinnsuche

Die Frage nach Gott hat in der Popmusik einen so sicheren Platz wie sonst nur das Amen in der Kirche. Ewiggültige Antworten, wie sie die Kirchenväter festgelegt haben, werden auch von Popstars mal mystisch, mal pragmatisch verkündigt und reichen von »God is love« und »God is great« zu »God is a DJ«. Wer sich mit Gott einlässt, ist ihm allerdings vollständig ausgeliefert und kann über Nacht in den Ruf eines Ketzers kommen und mit dem Anathema, der christlichen Bannfluchformel, belegt werden. So wurde neulich die Band Oomph! von der Echo-Verleihung exkommuniziert, weil die Veranstalter das Stück »Gott ist ein Popstar« für nicht zumutbar hielten.

In Austin, Texas, stellte ein paar Tage später Morrissey sein neues Album »Ringleader of the Tormentors« vor. Produziert in den Studios von Ennio Morricone in den Katakomben einer römischen Kirche, geht es wie gewohnt um die Frage nach dem Sinn. Wie immer verführt einen der schwule Mädchenschwarm Morrissey zum emphatischen Mitleiden.

Eher ungewöhnlich sind die religiösen Ekstasen auf dem Album. Mit dem Song »Dear God, please help me« setzt Morrissey die prekäre Gemütslage der Gläubigen einer schweren Prüfung aus. Zwischen den Zeilen verkündet der »einflussreichste Künstler aller Zeiten« (New Musical Express): Gott ist schwul! Zumindest suggerieren das die Zeilen, in denen er Gott beichtet, er habe »explosive Pulverfässer« zwischen den Beinen, und ihn in dieser Angelegenheit um Beistand bittet. Nach einigem guten Zureden erlöst der Gesprächspartner Morrissey dann tatsächlich von seinen Qualen und macht die Beine breit. Der Popstar verfällt in ekstatischen Jubel.

Der folgende Song ist einem weiteren homosexuellen Heiligen gewidmet. »You have killed me« beginnt mit den Zeilen »Pasolini is me«. In dem Video zeigt Morrissey, dass er das italienische Massenpublikum für den Tod Pasolinis verantwortlich macht. Vielleicht ist diese Aussage nicht besonders originell, aber der Song ist ein wohltuender Vergeltungsschlag gegen die schamlosen Ehrenbezeigungen katholischer Theologen, italienischer Botschafter und Parteikommunisten anlässlich des 30. Todestags Pasolinis im vorigen Herbst.

Auch Pasolini hatte einst Gott durch einen Priester wissen lassen, dass er schwul sei. Der Priester verletzte sein Beichtgeheimnis und informierte die Öffentlichkeit. Das hatte zur Folge, dass Pasolini seinen Lehrerjob verlor und aus der Kommunistischen Partei exkommuniziert wurde. Häretiker, und Pasolini war ein prototypischer, zeichnen sich aber dadurch aus, dass sie nicht Rache nehmen, sondern im Kampf um den wahren Glauben weitermachen. Bei aller Religiosität hat das aber nichts mit Versöhnung, sondern vielmehr mit permanenter Revolution zu tun.

Bereits auf seiner vorigen Platte hatte Morrissey Jesus für seine schlechte Laune verantwortlich gemacht. Weil das christliche Liebeskonzept nicht funktioniere, fühle er sich jeden Freitag so wie Jesus an seinem letzten. Trotzdem sang er »I have forgiven Jesus«. Auch die Pasolini-Hymne endet mit den Zeilen »I forgive you«, was dem Publikum gilt. Diese Vergebungslyrik Morrisseys soll uns wohl seinen permanenten Kampf mit seiner Libido zeigen und zugleich offenbaren, dass er mit Gottes Hilfe zum Höhepunkt kommt.

doris akrap