Konformistische Rebellion

Hauptschule und Kapitalismus von jörn schulz

Verlauste Hippies und andere linke Spinner sind ihnen ein Gräuel. Sie achten auf ihr ­Äußeres und bevorzugen Markenkleidung, schätzen die neuesten Errungenschaften der Telekommunikationstechnik und streben nach sozialem Aufstieg. Sie sind risikofreudig und kreativ, wenn es gilt, einen Profit einzustreichen, und beweisen im Geschäftsleben Teamgeist.

Doch bedauerlicherweise hat der deutsche Kapitalismus keinen Platz für die überwiegend türkischen und arabischen Hauptschüler, denen derzeit die Aufmerksamkeit der Medien gilt. Kein einziger Absolvent der Rütli-Schule hat im vergangenen Jahr einen Ausbildungsplatz gefunden. Und da Bildung, nicht nur an der Hauptschule, allein der besseren Verwertbarkeit auf dem Arbeitsmarkt dienen soll, haben sie keinen Grund, sich um gute Leistungen zu bemühen. Sie verhalten sich völlig rational, wenn sie die zwangsweise in der Schule verbrachte Zeit lieber dafür nutzen, etwas Spaß zu haben, kleine Geschäfte zu tätigen und ansonsten danach zu streben, sich in machistischen Ritualen einen möglichst hohen Platz in der Rangordnung zu sichern.

Die Jugendlichen orientieren sich auf ihre Weise an den dominerenden gesellschaftlichen Werten, allerdings an den wirklich gültigen und nicht an dem von Medien und Politikern propagierten Selbstbild der deutschen Gesellschaft. Es ist für den sozialen Aufstieg weiterhin vorteilhaft, ein Mann zu sein, und auf dem Weg nach oben ist Rücksichtnahme nur hinderlich. In dieser Hinsicht unterscheidet sich eine Jugendgang nicht von einem Unternehmen.

Der Sexismus türkischer und arabischer Jugendlicher ist stärker ideologisiert als der gewöhnliche deutsche Machismo. Allerdings scheint die Verachtung von Mädchen, die kein Kopftuch tragen, eher einem diffusen ­nationalreligiösen Weltbild zu folgen als is­lamistischen Lehren. Denn die verpflichten auch die Männer zu religiös korrektem Verhalten, zu fleißigem Lernen und zum Verzicht auf Alkohol, Drogen und außerehelichen Sex. Offenbar haben auch die Islamisten, die Jugendliche mit Bildungsangeboten ködern wollen, unter muslimischen Hauptschülern wenig Erfolg.

Unter migrantischen Jugendlichen entwickelt sich eine rechte Szene, die ihrem deutschen Pendant so ähnlich ist wie ein grauer Wolf einem Schäferhund. Beiden ist mit »Kuschelpädagogik« und »akzeptierender Sozialarbeit« nicht beizukommen, denn wer aus autoritären Verhältnissen kommt und sie anerkennt, betrachtet Freundlichkeit als Schwäche, die es auszunutzen gilt. Verbote wiederum fordern dazu heraus, sie zu umgehen, und einen Polizeieinsatz an der Schule provoziert zu haben, ist eine Quelle des Stolzes. Lehrstellen für Hauptschüler wird es in nächster Zeit nicht geben. Dass in der Jugendkultur derzeit Identifikationsfiguren dominieren, deren Aussagen über Frauen und Schwule selbst islamistische Prediger als Softies dastehen lassen, macht die Lage nicht erfreulicher.

Wenn unter migrantischen Jugendlichen die konformistische Rebellion dominiert, ist das nicht allein und wohl nicht einmal in erster Linie eine Folge der rassistischen Ausgrenzung. Und dass ein republikanisches Gesellschaftsmodell an der Marginalisierung wenig ändert, beweisen die Verhältnisse in Frankreich und den USA. Sich durch das Angebot der Staatsbürgerschaft für alle auf deutschem Territorium Geborenen dem Standard zivilisierterer Nationen anzunähern und reaktionäre Tendenzen unter Migranten nicht als »fremd« auszugrenzen, sondern als Produkt der Verhältnisse im deutschen Kapitalismus anzuerkennen, wäre aber zumindest ein Anfang.