Der Haken am Hakenkreuz

Immer öfter ermitteln Staatsanwälte gegen Antifas, weil diese das Symbol des durchgestrichenen Hakenkreuzes verwenden. von sarah kleinmann

Die Stuttgarter Staatsanwaltschaft hat sich dem rigorosen Kampf gegen das Hakenkreuz verschrieben. Ungemütliche Zeiten für Neonazis, möchte man meinen. Doch die Staats­anwaltschaft verfolgt zurzeit hauptsächlich Antifas, weil sie eines der bekanntesten linken Symbole verwenden: das durchgestrichene, zerstörte oder karikierte Hakenkreuz.

Die Ablehnung des Nationalsozialismus wird seit Jahrzehnten auf Flugblättern, T-Shirts oder Aufnähern auf diese Weise bildhaft zum Ausdruck gebracht. Doch neuerdings löst das Ermittlungen wegen Verstößen gegen den Paragrafen 86a des Strafgesetzbuchs aus. Dieser stellt die Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisa­tionen unter Strafe. Und obwohl die Anwendung des Paragrafen auf Hakenkreuze, die in antifaschistischem Zusammenhang verwendet werden, bei Be­hörden und Polizeistellen in Baden-Württemberg umstritten ist, scheint sich die Stuttgarter Staatsanwaltschaft ihrer Mission sicher.

In den vergangenen Monaten kam es in der Region um die baden-württembergische Lan­des­haupt­stadt zu zahlreichen Beschlagnahmungen, etlichen Strafanzeigen und einer Anklageerhebung vor dem Landgericht. Bereits im März 2005 wurde Tobias B. in Stuttgart verurteilt, weil er Flugblätter gegen einen Aufmarsch von Neonazis verteilt hatte. Das Amtsgericht wertete den Inhalt als Aufruf zu Straftaten, weil die ­Verhinderung des Aufmarsches »mit allen Mitteln« gefordert wurde. Die Staatsanwalt­schaft versuchte darüber hinaus, Tobias B. auch wegen der Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen zu belangen, da auf dem Flugblatt zerstörte Hakenkreuze zu sehen waren. Es solle »jeglicher Anschein vermieden werden, in Deutsch­land würden nationalsozialistische Strömungen geduldet«, hieß es in der Begründung der Anklage. Touristen könnten, fiele ihnen zufällig das Flugblatt in die Hände, die Symbole als Unterstützung des Na­tio­nalsozialismus missverstehen, sagte die Staatsanwältin Alexandra Neidhard in der Verhandlung

Das Gericht folgte dieser Argumentation nicht und sprach den Angeklagten in diesem Punkt frei. Tobias B. hofft, »dass sich Antifas in Zukunft vom Vorgehen der Staatsanwaltschaft nicht einschüchtern lassen, sondern stattdessen an Rechtshilfeorganisationen wenden, die davor Schutz bieten können«.

Im August 2005 ließ die Stuttgarter Staats­anwaltschaft das Lager des Punk-Labels »Nix-Gut-Records« in Winnenden durchsuchen. Beschlagnahmt wurden alle Artikel, auf denen Hakenkreuze zu sehen waren. Auch Daten aus den Ge­schäfts­computern wurden mitgenommen. Die Hausdurchsuchung und die monatelange Verwahrung des beschlagnahmten Mate­rials trieb den Versand an den Rand des ­Ruins.

Das Vorgehen der Staatsanwaltschaft sorgte für Aufsehen und Kritik. Auch Sebastian Edathy, Bundestagsabgeordneter der SPD und Vorsitzender des Innenausschusses des Bundestags, und Claudia Roth von den Grünen sagten dem Versand ihre Unterstützung zu. Roth griff sogar zum ungewöhn­lichen Mittel der Selbstanzeige. Sie gab an, einen Button mit durch­gestrichenem Hakenkreuz getragen zu haben. Der­zeit wird geprüft, ob gegen die Politikerin ein Ver­fahren eingeleitet wird.

Anfang dieses Jahres ging die Stuttgarter Staats­anwaltschaft auch noch gegen Beteiligte der »Anti­faschistischen Kehrwochen« vor. Die Kampagne, deren Infotische am 21. Januar auf den Marktplätzen von Backnang und Schorndorf aufgebaut waren, um über Rassismus und rechte Gewalt zu informieren, wurde Ziel eines Großeinsatzes der Polizei. »Zahlreiche junge Leute wurden von Greif­trupps regelrecht verfolgt, gestellt, verhaftet und in Handschellen abgeführt, allein deshalb, weil sie Abzeichen mit Anti-Nazi-Symbolen trugen oder entsprechende Flugblätter verteilen wollten«, heißt es in einer Presseerklärung der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschisten (VVN-BdA).

Auch Flugblätter, Broschüren und Buttons wur­den wegen durchgestrichenen oder zerstörten Ha­kenkreuzen beschlagnahmt. Die VVN-BdA legte dagegen erfolgreich Beschwerde ein. Im Beschluss der 5. Großen Strafkammer des Landgerichts Stuttgart vom 22. März heißt es, die Darstellungen des Hakenkreuzes seien »weder geeignet, einer Wieder­belebung des Nationalsozialismus, seines Gedankengutes oder gar ehemaliger nationalsozialistischer Organisationen zu dienen, noch entfalten sie eine Werbewirkung für diese Ziele«. Außerdem sei es »auf den ersten Blick jedem unvoreingenommenen Betrachter klar, dass die Bezugnahme auf das nationalsozialistische Kennzeichen in jeweils nachdrücklich ablehnendem Sinne geschieht«.

Trotz dieses Urteils reichte die Stuttgarter Staats­anwaltschaft am 28. März Klage gegen Jürgen Kamm ein, den Geschäftsführer des »Nix-Gut-Versandes«. Auch ihm wird die Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen vorgeworfen. Mit der Anklageerhebung vor dem Landgericht Stuttgart strebt die Staatsanwaltschaft eine grundsätzliche Klärung der Rechtslage an.

Die VVN-BdA wertete dieses beharrliche Vorgehen als »Vorwand, Zivilcourage gegen Nazis zu kriminalisieren«. Tomke Beddies, die Pressesprecherin der Stuttgarter Staatsanwaltschaft, widersprach dem im Gespräch mit der Jungle World: »Wir haben Anklage erhoben, weil wir das Verhalten des Geschäftsführers des Versandhandels schlichtweg für strafbar erachten, vor allem da es sich um eine massenhafte Verwendung des Symbols handelt.« Das Hakenkreuz solle grundsätzlich aus dem öffentlichen Erscheinungsbild verbannt werden. Ob die Staatsanwaltschaft dann demnächst auch gegen Darstellungen in Geschichtsbüchern vorgeht?

Wie absurd die Argumentation der Staatsanwäl­te ist, führen drei Mitarbeiter des Tübinger Club Voltaire vor Augen. Sie erstatteten im November Anzeige gegen die Kampagne »Du bist Deutschland«, weil in deren Fernsehspot durchgestrichene Hakenkreuze zu sehen sind. Wegen der »europaweiten Ausstrah­lung« sowie der Möglichkeit, »dass z.B. japanische Touristen in Deutsch­land den Spot sehen könn­ten«, müsse damit gerechnet werden, dass nicht allen Zuschauern die »mög­licherweise nicht pro-nationalsozialistische Zielsetzung der Urheber« erkennbar sei. Das Verfahren wurde eingestellt.