Sommer, Sonne, Strand und Tod

François Ozons radikales Adieu in seinem neuen Film »Die Zeit die bleibt«. von aljoscha weskott

Als die Zeitung Liberation im vergangenen Herbst François Ozon anlässlich der französischen Kinopremiere von »Die Zeit die bleibt« aufforderte, seinen Werdegang zu skizzieren, protokollierte der französische Regisseur in einer trockenen, süffisanten und zugleich hochdramatischen Erzählweise ­einige Stationen seines Lebens. Ozon ­berichtet in poetischen Erinnerungsfragmenten von ersten, eher bizarren sexuellen Erfahrungen, einer kurzen Lebensphase als weltumkreisendes Kindermodel für Unterhosen und von ernsten Anlaufschwierigkeiten seiner Filmkarriere, die von diversen Verwerfungen gekennzeichnet ist.

Doch inzwischen hat Ozon es geschafft, Sentimentalität und Rührung als Kennzeichen des melodramatischen Kinos eine neue Ausrichtung zu verleihen. »Die Zeit die bleibt«, sein neuer Film, löst sich dabei von der Fokussierung auf tragische Frauenfiguren, entdeckt eine männliche Hauptfigur und verzichtet auf den fragmentarischen Operettenstil anderer Filme von ihm wie »8 Frauen« und »Tropfen auf heiße Steine«.

Noch entschiedener zeichnet er nun ein Leben am Rande des Abgrunds. »Die Zeit die bleibt« ist nach »Unter dem Sand« der zweite Teil seiner »Trilogie der Trauer«. Der Film ist ein von einer unbändigen Wut erfüllter, äußerst präziser Versuch, sich dem Unsagbaren filmisch zu nähern. Zunächst wird der Erzählrahmen von der Figur des Modefotografen Romain (Melvil Poupaud) bestimmt. Im grellen Licht eines Fotoshootings, vor dem Hintergrund einer Paris-Kulisse, verliert er das Bewusstsein. Die Diagnose lautet: unheilbarer Gehirntumor. Das ist die radikale Setzung Ozons. Denn Romains Votum gegen eine Therapie ist der Beginn seines Abschieds. Er spricht weder mit seiner Familie über sein Schicksal noch mit seinem Freund, von dem er sich sofort trennt.

Romain begreift den nahenden Tod als intimen Prozess, den er mit niemandem teilen möchte. Das Entrückte an Ozons filmischer Konstruktion in »Die Zeit die bleibt« besteht in der entkörperlichten und glatten Welt, die mit der Körperhülle des Modefotografen Romain korrespondiert.

Schnell wird deutlich, dass in »Die Zeit die bleibt« jede Hoffnung weit entfernt ist. Selbst die elegischen, im Zeitraffer gezeigten Wolken am Ende von »Unter dem Sand« sind verflogen. Romain umgibt eine Stille. Er ist kein postmoderner Held, der wieder aufstehen könnte. Hier geschieht etwas gänzlich Hoffnungsloses.

Der Tod im gelebten Augenblick, wie es Derrida formulierte, steht bei Ozon im Kontrast zur tatsächlich verrinnenden Zeit. Was bleibt, ist die Zeit mit sich selbst, in der Schritt für Schritt eine Trauer um sich selbst exerziert wird. Dabei wird der Entwurf eines Post-Queer-Cinemas sichtbar, das den homosexuellen Körper allein als Folie nutzt, aber die Erzählung von schwuler Liebe zunehmend in den Hintergrund drängt.

Angesichts von Romains Sprachlosigkeit übernimmt die Fotografie die Funktion, vorbeihuschende Momente einzusammeln, nicht um Erinnerungslücken zu schließen, sondern um Jetztzeit zu genießen. Hier geht es auch um die Wendung des egomanischen Fotografen, der flüchtige Snapshots gegen die perfekt inszenierte Modefotografie tauscht. Die Digital-Fotografie hält ihn am Leben und bildet die Schnittstelle zwischen feinfühlig dargestellten kleinen Momenten zwischen Kitsch und Tod, und Begegnungen mit dem eigenen Gesicht, jenseits des perfekt inszenierten Weinkrampfs, der eher nebenbei stattfindet.

Wenn Romains Großmutter, die von Jeanne Moreau gespielt wird, ihre faltigen Hände auf seinen roten Pullover legt, später einen Garten durchquert und Romain Blumen überreicht, entstehen die einzig zärtlich wirkenden Szenen des Films, in denen das Leben trotzdem nur wie eine Imitation vor­überzieht. So bleibt der Film auf den Umgang mit dem eigenen Tod fokussiert. Erschreckend zielgerichtet ist der Auflösungsprozess von Romain, der im nahenden Tod noch schöner aussieht. Das ist die Konstruktion des Kinos, eine Verschiebung des realistischen Eindrucks in eine künstliche Sphäre: Das Aussparen der Körperrea­lität ist daher eine Stärke des Films. Ozons Filmbilder sind dann ein letztes Refugium gegen den unaufhaltsamen Niedergang. Leicht wäre es hingegen gewesen, in Elementarteilchen-Manier seichte Effekte aus Darkroom, Kokainrausch und nahendem Tod herauszuschlagen.

In »Die Zeit die bleibt« werden diese Arrangements nicht durchstreift, um die Psychologie einer Figur zu ergründen, sondern um Romains umhertaumelnden Körper eigenständig erzählen zu lassen, der begehrenswert, schroff und schonungslos ist: eine perfekte Folie für das Spiel von Identifikation und Nichtidentifikation. Statt der Kultivierung eines Totentanzes erwirkt Ozons Figur eine Neuerfindung des verloren geglaubten Selbstbezugs, obwohl sich Romain im Krieg mit sich befindet.

Kein körperlicher Schmerz wird sichtbar, sondern eine Metaphysik der Schmerztherapie im egomanischen Alleingang, der in Filmen Ozons immer auf den Topos Strand gerichtet ist. So spielt im Schlusstableau das Cinemascope-Format den virilen Verstärker, wenn das Filmbild den Kontrast von ­Innen- und Außenwelt verschärft. Romain ist am Ende umringt von Menschen, doch unendlich weit entfernt von allem. Am Strand bleiben nur Gesten des blassen Körpers: Zittrig, aufgewühlt, irgendwie ruhig und ganz leicht inhaliert Romain ein paar Züge seiner Zigarette und lässt unruhige Blicke über spielende Kinder und das rauschende Meer streifen. Was bleibt, ist ein vergessener Körper am Strand. Im irreversiblen Lauf der Zeit muss die ­untergehende Sonne zur Vollendung des Kitschbildes avancieren. Dieser Körper trifft auf ein lautloses Adieu, was Ozons Film von jeglichem Todeskitsch unterscheidet.

»Die Zeit die bleibt« (F 2005). Regie: François Ozon. Start: 20.  April