Für eine Hand voll Dollar

Seit drei Jahren sind französische Soldaten und UN-Blauhelme im kongolesischen Bunia im Einsatz. Dennoch ist der Kongo längst nicht befriedet, dafür bestens bürokratisiert. von alex veit

Es sind zu viele. Wir zählen die Bauarbeiter, die mit Hacken und Schaufeln die Piste einebnen. 30, 40, und weiter hinten steht noch einer zwischen den Büschen und pinkelt. Dieudonné Tandema wird ärgerlich. Wieso arbeiten hier so viele Männer? Wer hat sie eingestellt? Noch einmal ein Blick auf die Liste. 20 Leute sollten auf diesem Abschnitt beschäftigt sein, aber es sind mindestens doppelt so viele.

»Du, komm mal her!« ruft Tandema einen der Arbeiter zu sich. »Seit wann arbeitet ihr hier? Wer hat euch eingestellt?« Sein Verdacht bestätigt sich: Die Männer wurden vom Vorarbeiter angeheuert, ohne dass dieser dazu befugt gewesen wäre. Der Bauarbeiter berichtet, dass er einen Teil seines Lohns an den Vorarbeiter abgeben müsse. Kurz darauf stellt Tandema den Vorarbeiter zur Rede, zeigt auf die Liste, auf die überzähligen Arbeiter. Der verteidigt sich kleinlaut. Tandema lässt den Widerspruch nicht zu: »Nein, so geht es nicht. Wer wird diese Leute bezahlen?«

Dieudonné Tandema arbeitet für die Deutsche Welthungerhilfe in Ituri, einem Distrikt im Nordosten der Demokratischen Republik Kon­go. Die Organisation repariert die schlammigen Straßen in der Region, die vom Krieg und der tropischen Witterung arg beschädigt worden sind. Wenn es wieder Straßen gibt, kann der lokale Han­del aufblühen, auf prosperierenden Märkten werden sich die Mitglieder verfeindeter Gruppen treffen und ihre Konflikte beraten. Das jedenfalls ist die Hoffnung.

Zugleich soll der Straßenbau Arbeitsplätze schaffen, in einem Gebiet, in der das einträglichste Geschäft jahrelang die Kriegsführung war. Die »Communautés«, die Dorfgemeinden entlang der Straßen, wählen die Arbeiter aus. Jeder arbeitet zwei Wochen und erhält am Ende von der Welthungerhilfe eine Hand voll Dollar. Dafür kann man sich ein Fahrrad oder eine Nähmaschine kaufen. Auch der Vorarbeiter wurde von seiner »Communauté« empfohlen, doch er war offenbar eine schlechte Wahl.

Aber so läuft das nicht, zumindest nicht mit Tandema. Seit fünf Jahren arbeitet er für die Welthungerhilfe, kennt jeden Winkel des Distrikts und jeden Dorfschulzen persönlich. Als Kontaktperson ist er selbst zu einer Autorität geworden. Morgen wird er wiederkommen, mit dem Schulzen sprechen, so dass ein neuer Vorarbeiter ausgewählt wird. Und noch einmal wird er seine Liste zeigen, 20 Arbeiter und keiner mehr. Und in einem Monat muss der Straßenabschnitt fertig sein, sonst gerät das ganze Projekt in Verzug und die Finanziers sperren die Mittel, wenn der Abschlussbericht nicht rechtzeitig vorliegt.

Wenn es der Maßstab für intakte Staatlichkeit ist, dass Listen geführt und Dokumente gestempelt werden, funktioniert der Kongo vorbildlich, im Frieden wie im Krieg. Die Rebellen, die jahrelang den Osten des Landes beherrscht haben, nutzten den vorgefundenen staatlichen Apparat für ihre Zwecke. Sie verkauften Lizenzen an verbündete Großhändler im Import/Export-Geschäft. Wer keine Lizenz vorweisen konnte, musste den Zoll teuer bezahlen und lief Gefahr, von Rebellen ausgeplündert zu werden. Bürokratie, Handel und Krieg gingen eine profitable Symbiose ein.

Mittlerweile regiert in Ituri wieder der kongolesische Staat, zumindest formal. Auf die erste staatliche Prozedur trifft man bei der Einreise. Aufgereiht an einem Tisch finden sich das »Amt für Migration«, der Zoll und das »Hygieneamt«. Säuberlich führt jeder einzelne Beamte seine Kladde: Name, Geburtsdatum, Nationalität, Beruf, Arbeitgeber, Gelbfieberimpfung, Visum, Dauer und Zweck des Aufenthalts. Ein Polizist durchsucht das Gepäck. »Haben Sie nicht eine Zigarette für mich?« Zigarette, das Codewort für ein kleines Bestechungsgeld. Aber hier gibt es keinen Grund, jemanden zu bestechen. Die Präsenz der UN-Blauhelmmission Monuc schützt west­liche Ausländer vor der Willkür der Beamten.

Botschafter des Friedens

Die Vereinten Nationen, die in Ituri neben etwa 5 000 Blauhelmsoldaten auch etwa 300 zivile Mitarbeiter beschäftigen, sowie das gute Dutzend Nichtregierungsorganisationen in Ituri bringen eine weitere Bürokratisierung. Unentwegt werden Sitzungen abgehalten, über die Berichte geschrieben werden. Anträge werden verfasst, Projekte evaluiert und mündliche Informationen verschriftlicht. Der verwaltete Friedensprozess verläuft langsam, aber er zeigt bereits bürokratische Nebeneffekte. Schon finden sich die Nichtregierungsorganisa­tionen vor dem Gericht in der Distrikthauptstadt Bunia wieder, verklagt von ­entlassenen kongolesischen Mitarbeitern. Und lokale Bauunternehmer beklagen sich, dass ihre Maurer plötzlich schriftliche Verträge verlangen, in denen Arbeitnehmerrechte festgeschrieben sind.

»Plötzlich tauchten Soldaten auf und sagten, dies sei eine verbotene Versammlung. Das Schreiben unserer Organisation, das meine offizielle Mission bestätigte, hat sie nicht interessiert. Der Bürgermeister wollte noch vermitteln, aber es hat nichts geholfen«, erzählt Jean Likamba* auf der Delegiertenversammlung der »Botschafter für den Frieden«. »Sie haben uns eingesperrt, alle 20 Teilnehmer. Am nächsten Tag haben sie Geld verlangt, damit wir wieder freikommen.«

Die »Botschafter für den Frieden« sind ein lokaler Veteranenverein von ehemaligen Milizionären, die im Rahmen eines Programms zur Demobilisierung ihre Waffen abgegeben haben und nun versuchen, im zivilen Leben wieder Fuß zu fassen. Im Auftrag der »Botschafter« reiste Likamba nach Katoto, einem Dorf im Norden der Distrikthauptstadt Bunia, um auch dort Mitglieder zu werben.

Doch Katoto befindet sich mitten in einer Kriegszone. Bei einem Angriff der »Revolutionären Kongolesischen Bewegung« (MRC) vor sechs Wochen sollen viele einheimische Jugendliche den Aufständischen geholfen haben, ­einige hatten sogar versteckte Waffen hervorgeholt, mit denen sie die überraschten Regierungssoldaten aus dem Dorf jagten. Inzwischen haben sich die Rebellen wieder in die umliegenden Berge zurückgezogen, und die Armee hat das Dorf erneut besetzt. Die im Ort gebliebenen Jugendlichen allerdings stehen unter dem Generalverdacht, Rebellen zu sein. Wohl deshalb misstrauten die Armeesoldaten dem Treffen der »Botschafter«.

Dabei legen die »Botschafter« Wert darauf, eine ordentliche Organisation zu sein. Das Gründungstreffen im Herbst vergangenen Jahres bestand vor allem im langwierigen Verlesen des französischen Organisationsstatuts. Und obwohl die meisten Teilnehmer nur gebrochen Französisch sprachen, bestanden sie darauf, dass auch die detaillierten Anhänge über die Prozeduren zu Vorstandswahlen vorgetragen wurden. Anschließend wurde gesammelt, um die hohen Verwaltungsgebühren für die Vereinsanmeldung aufzubringen.

Seitdem sind die »Botschafter« gut vorangekommen. In der Distrikthauptstadt Bunia steht der Rohbau eines Büros, und auch Mitgliedsausweise wurden bereits erstellt. Sauber laminiert zeigen sie das Emblem der Organisation, eine Friedenstaube über zwei zum Zeichen des Vertrauens verschränkten Händen. An einer Kordel um den Hals getragen, ähneln die Mitgliedsausweise den Plastikkarten, die den Mitarbeitern der Vereinten Nationen und internationaler NGO in Bunia alle Türen öffnen. Doch die Ausweise der »Botschafter« haben bislang noch keinen vergleichbaren Effekt.

Die Sonne steht bereits tief an diesem Aprilnachmittag und blendet die auf der Terrasse des unvollendeten Büros versammelten Mitglieder des Veteranenvereins. Mandro Shadrack, der »Koordinator« der Botschafter, mahnt die versammelten Delegierten zur Eile: »Vor Einbruch der Dunkelheit muss das Treffen beendet sein, damit alle sicher nach Hause gehen können.« Auch in Bunia ist es besser, Soldaten und Polizisten in der Nacht nicht zu begegnen, die immer wieder Geld von Passanten verlangen, deren Mobiltelefone an sich nehmen oder sie verhaften, weil sie sie verdächtigen, Mili­zionäre zu sein.

Neben der prekären Sicherheitslage beschäftigen die »Botschafter« sich vor allem mit den uneingelösten Versprechungen des Demobilisierungsprogramms. Den 17 000 Männern und Frauen, die freiwillig die Milizen in Ituri verlassen und ihre Waffen abgegeben haben, sollte dabei geholfen werden, sich ein ziviles Leben aufzubauen. Doch bislang wurden weder die versprochenen 25 US-Dollar ausgezahlt, die jeder Demobilisierte im Monat erhalten sollte, noch wurden die »Mikroprojekte« zur Gründung von Kleinunternehmen, etwa als Markthändler, Handwerker oder Fischer, realisiert. »Die zuständige staatliche Stelle Conader hält uns genauso hin wie die NGO Seca, die die ›Mikroprojekte‹ organisiert«, beklagt Shadrack. »Immerhin werden wir morgen mit einer Delegation der Weltbank sprechen können, die das Programm finanziert. Vielleicht können die uns helfen und uns unterstützen.«

Kochtöpfe für die Vertriebenen

Hilfe und Unterstützung ist auch das wichtigste Anliegen der »Déplacés«, der Binnenvertriebenen. Die Zahl derer, die nach Bunia und an andere sichere Orte in Ituri geflüchtet sind, ist in jüngster Zeit wieder gestiegen. Neue Kämpfe zwischen den Rebellen des MRC und den gemeinsam mit der staatlichen Armee FARDC agierenden UN-Truppen haben sie gezwungen, ihre Dörfer zu verlassen.

Viele »Déplacés« haben in den langen Kriegsjahren bereits mehrfach ihr Eigentum zurücklassen müssen, das bis zu ihrer Rückkehr meist von der Armee oder den Rebellen geplündert worden ist. Entsprechend rouitiniert erfolgt die Organisation der Flüchtlinge inzwischen. Sie wählen in einem mehr oder weniger demokratischen Prozess einen »Präsidenten« aus, der sie gegenüber den NGO vertreten soll. Zumeist ist dies ein Bürgermeister oder Geistlicher. Gemeinsam mit diesem »Präsidenten« zählen die NGO die Vertriebenen und beraten mit ihm über die notwendigen Hilfsmittel.

An diesem Tag verteilt die Caritas »Non-Food Items«, also Plastikeimer, Kochgeschirr und Kleidung. In zwei Reihen stehen die Flücht­linge auf einem staubigen Fußballplatz im Süden Bunias. Ihre Registrierungskärtchen, die sie als Flüchtlinge ausweisen, halten sie in den Händen. Am Ende der Reihen befinden sich Tische, an denen Angestellte der Caritas den Vorgang verwalten. Der Erhalt der Hilfsmittel muss mit einer Unterschrift oder einem Fingerabdruck auf den Flüchtlingsausweisen und den Listen der Caritas bestätigt werden. Den Sack mit der Kleidung auf dem Kopf, die Eimer in den Händen, gehen die Frauen und Männer anschließend langsam davon.

»Die Verteilung wird heute an anderen Plätzen in der Stadt fortgesetzt«, sagt eine Mitarbeiterin der Caritas. »Leider nicht in den nördlichen Vierteln. Die Flüchtlinge dort sind noch nicht lange hier und müssen erst noch registriert werden.«

Soldatenlohn

Wie ein Flüchtlingslager wirken die Behausungen auf den Hügeln von Rwampara, einige Kilometer außerhalb Bunias. Zwischen den Ruinen gemauerter Gebäude und einigen Zelten stehen Hunderte Behausungen aus Holzstangen und Strohdächern, die nicht so wirken, als könnten sie dem tropischen Regen standhalten. Doch hier leben nicht Flüchtlinge, sondern die Soldaten der nationalen Armee.

Am Zahltag drängen sich die Militärs in Zivil oder in Uniform um einen mit einer Plastikplane bedeckten Unterstand, in dem die Buchhalter mit langen Namenslisten auf losen Blättern kämpfen. Neben ihnen stehen Säcke mit mehreren Millionen kongolesischer Franc, die mit Motorrädern aus der Stadt in das Armeelager gebracht worden sind. Ein Soldat nach dem anderen tritt vor, zeigt seine Plastikkarte vor, die ihn als Angehörigen der Armee ausweist. Dann beginnt die Suche nach seinem Namen in den Listen, bis der Mann schließlich seinen kargen Sold erhält.

Die FARDC ist eine Armee, die bislang weitgehend wie eine Miliz organisiert war und zu einem großen Teil aus ehemaligen Milizionären besteht. Nach den Friedensabkommen zwischen den größten Kriegsparteien des kongolesischen Bürgerkriegs wurde sie in den vergangenen Jahren aus deren bewaffneten Verbänden gebildet. Ohne ausreichend Munition, Fahrzeuge und Kommunikationsmittel ist diese Armee nur mit Hilfe der UN-Blauhelmtruppen fähig, den Krieg gegen die Rebellen in Ituri zu führen.

Doch seit ihrer Stationierung in dem Gebiet vor etwa anderthalb Jahren haben sich die Soldaten den Ruf erworben, für die Zivilbevölkerung eine min­destens ebenso große Gefahr darzustellen wie die Rebellenmilizen. Plünderungen, Vergewaltigungen, willkürliche Verhaftungen und Folter sind vor allem in den umkämpften Gebieten an der Tagesordnung. Nach Meinung einiger Beobachter ist das Wiedererstarken der Rebellen in Ituri während der vergangenen Monate in erster Linie auf die Menschenrechtsverletzungen der Armee zurückzuführen.

Viele meinen, die Korruption der Generäle sei der Hauptgrund für dieses Verhalten. »Die Soldaten waren bislang oft monatelang unbezahlt, der Sold aus der Hauptstadt wanderte in die Taschen der Offiziere«, berichtet Major Ouarti von der französischen Armee. »Das war nicht immer nur Kor­rup­tion. Mitunter legten die Vorgesetzten auch Sozialfonds an, mit denen Medika­mente bezahlt oder die Familien von Ge­fallenen versorgt worden sind.« Ouarti ist im Auftrag des »Eusec-Programms« der Europäischen Union in Ituri tätig. Das Ziel ist es, die Soldzahlung durch einen Verwaltungsapparat zu organisieren, der nicht den militärischen Befehlshabern untersteht. So soll verhindert werden, dass die Offiziere mit dem Sold ihrer Soldaten nach Gutdünken verfahren.

In Rwampara besichtigt Ouarti die ersten Erfolge seiner Arbeit. »Ich mische mich nicht in den bürokratischen Ablauf ein, sondern will nur sehen, dass das Geld direkt von einer Hand in die andere übergeben wird«, erläutert er. »Ohnehin habe ich überhaupt keine Weisungsbefugnisse.«

Einem von der Europäischen Union ausgebildeten Buchhalter scheint dieser Umstand nicht klar zu sein. »Eine Frau ist aus der Stadt mit der Karte ihres Mannes gekommen«, erzählt er dem Franzosen. »Der Soldat liegt im Krankenhaus, und sie möchte den Sold für ihn abholen. Aber nachher werden wir ohnehin noch im Hospital auszahlen. Welchen Befehl geben Sie in diesem Fall?« Doch Ouarti weigert sich, einen Befehl oder Rat zu geben. Die Buchhalter sollten selbst entscheiden, sagt er. Nach kurzer Beratung wird die Frau schließlich ohne den Sold weggeschickt. »Das ist in den Bestimmungen eindeutig so geregelt«, erklärt der Verantwort­liche. »Die Frau ist umsonst aus der Stadt hierhergekommen.«

*Name von der Redaktion geändert.