»Ohne Erdöl kein Alba«

Die Zukunft des Handelsabkommens Alba hänge vor allem von der Entwicklung des Ölpreises ab, meint enrique dussel, Professor der Wirtschaftswissenschaft an der Autonomen Universität in Mexiko-Stadt.

Bolivien hat sich dem Handelsabkommen Alba angeschlossen. Damit hat das von Venezuela initiierte Kooperationsprojekt neuen Aufschwung bekommen. Ist Alba eine Alternative zu dem von den USA forcierten Gesamtamerikanischen Freihandelsabkommen Alca?

Man kann Alba nicht mit dem Alca vergleichen. Es handelt sich um eine ganz andere Perspektive von regionaler Integration. Da geht es nicht vor allem um freien Handel. Durch den Tausch von Waren und Dienstleistungen sollen die Lebensbedingungen verbessert werden. Wenn Ärzte und Lehrer aus Kuba nach Venezuela oder Bolivien geschickt werden, hat das unmittelbare Auswirkungen für die Be­völkerung.

Hat Alba ein tragfähiges ökonomisches Fundament?

Das Projekt baute bislang auf die Energieressourcen Venezuelas. Folglich hat der Aufschwung von Alba damit zu tun, dass der Ölpreis in den letzten zwei Jahren immens gestiegen ist. Die Einbindung Boliviens verstärkt diesen Effekt noch, denn durch die Erhöhung des Gaspreises ist Bolivien zu einem strategisch bedeutsamen Land geworden.

Also funktioniert Alba nur auf der Grundlage hoher Energiepreise?

Faktisch handelte es sich jedenfalls bisher vor allem um die hohen Energietrans­fers, die Venezuela leistet. Sei es nach Kuba oder an Gemeinden in Nicaragua. Das wäre vor drei, vier Jahren nicht möglich gewesen. Aber es ist sehr interessant, dass nun ausgerechnet diese strategischen Rohstoffe eine zentrale Rolle für einen neuen Integrationsprozess in Süd­amerika spielen. Bei den Alca-Verhandlungen spielten sie keine Rolle.

Und was passiert, wenn der Ölpreis fällt?

Dann ist fraglich, ob sich das Integra­tions­modell aufrechterhalten lässt.

Brasiliens Energieunternehmen Petro­bras muss nun angesichts der Verstaatlichung der bolivianischen Ressourcen über neue Bedingungen für ihre Energieförderung verhandeln. Besteht die Gefahr, dass sich Alba und der Mercosur, das wirtschaftliche Bündnis von Argentinien, Brasi­lien, Uruguay und Paraguay, gegenseitig behindern?

Das denke ich nicht. Die bolivianischen Gasvorkommen sind für Brasilien von großer Bedeutung, entsprechend schwierig werden sicher die Verhandlungen. Auch Argentinien und Chile sind große Importeure von Erdöl und Gas. Natürlich wollen sie alle keine höheren Preise zahlen. Letztlich werden sie aber nicht darum herumkommen. Einen grundsätzlichen Bruch wird es deswegen aber nicht geben.

Mit Blick auf das Freihandelsabkommen, das Peru und Kolumbien mit den USA abschließen wollen, hat es dagegen große Probleme gegeben. Venezuelas Präsident Hugo Chávez hat angekündigt, aus dem Andenpakt auszusteigen.

Probleme gibt es natürlich genug, etwa die relativ aggressive Art, mit der Chávez Alba propagiert und auch sonst in den letzten zwei Jahren Außenpolitik betrieben hat .

Ist denn damit zu rechnen, dass er tatsächlich, wie er immer wieder anklingen lässt, eines Tages kein Erdöl mehr an die USA liefert?

Mittelfristig ist das nicht abzusehen. Immerhin ist Venezuela einer der wichtigsten Erdöllieferanten der USA. Das war ja auch die Kritik aus Peru und Kolumbien. Sie warfen Chá­vez vor, einerseits gegen Freihandelsabkommen mit den USA zu polemisieren und andererseits den größten Teil der Erdölexporte mit den US-Amerikanern abzuwickeln.

Kurzfristig würde ein Stopp der Lieferungen die Erdölpreise steigen lassen. Aber was sollte dann Venezuela machen? Sein Öl unter wahrscheinlich großen mengenmäßigen Einbußen auf den freien Märkten in Rotterdam verkaufen? Ich bin grundsätzlich skeptisch, ob Chá­vez diese aggressive Außenpolitik noch lange durchhalten kann. Auch das hängt sehr stark von internationalen Erdölpreisen ab.

interview: wolf-dieter vogel