Triumph der Zeitgeschichte

Der Leipziger Trödelmarkt ist ein Paradies für die Liebhaber von NS-Devotionalien.
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Eine knappe halbe Stunde ruckelt und lärmt die alte Straßenbahn an den Rand der Stadt. Die Werbetafeln an den heruntergekommenen Häusern bilden die einzigen Farbkleckse in der durch und durch grauen Umgebung. Auf einem ehemaligen Vorzeigegelände, dem Agra-Messepark Markkleeberg, findet monatlich einer der größten Trödelmärkte Deutschlands statt. Der frühe Vogel fängt den Wurm, weiß der Flohmarktexperte. Um zehn Uhr schiebt sich bereits eine unüberschaubare Masse von Menschen gemächlich an Würstchenbuden und überquellenden Verkaufständen vorbei. Was die Leute hingebungsvoll begutachten, ist vor allem eins, nämlich, beim allerbesten Willen, Schrott. ­Möbelschrott, ­Geschirrschrott, Kleiderschrott, Werkzeugschrott, Elektroschrott, Dekoschrott. Hier gibt es alles, was kein Mensch jemals mehr brauchen wird. Aus dem Getümmel ragen zwei himmelhohe und fußballplatzgroße Messehallen. Drinnen sehen die Auslagen schon etwas sortierter aus als draußen. Es gibt unzählige Bücherstände, Antiquitäten, Postkarten, Briefmarken, Porzellan und Besteck – alles, was das Sammlerherz begehrt. An einer Vitrine klebt ein Schild mit der Aufschrift: »Abzeichen des Deutschen Reiches werden nur unter Einhaltung der Paragraphen 86 und 86a StGB verkauft.« Im Kleingedruckten ist zu lesen, dass »Gegenstände aus der Zeit zwischen 1939 und 1945 (…) nur zu Zwecken der staatsbürgerlichen Aufklärung, der Abwehr verfassungsfeindlicher Bestrebungen, der wissenschaftlichen und kunsthistorischen Forschung, der Aufklärung und der Berichterstattung über Vorgänge des Zeitgeschehens oder der militärischen und uniformkundlichen Forschung« genutzt werden dürfen. Jede anderweitige Verwendung sei verboten und könne als Straftat geahndet werden. Auf meine Frage, wer denn ein Hitler-Porträt für 35 Euro kaufe, antwortet die ältere Händlerin kurz angebunden: »Winterhilfswerk.« »Winterhilfswerk?« frage ich nach, und sie sagt bloß noch »Sammler«, bevor ein Kunde die Dame in ein Gespräch verwickelt. Ein Buchhändler, auf dessen Tischen sich Titel stapeln wie »Soldat für Hitler«, »Ein Volk in Waffen«, »Vom Bauernheer zur Volksarmee« und »Das kann doch nicht das Ende sein«, erzählt, der Bestand stamme zum größten Teil aus Haushaltsauflösungen und Dachkammer­entrümpelungen. »Ja, gerade hier gibt es eine große Kundschaft«, berichtet die Verkäuferin an einem anderen Bücherstand. »Das sind vor allem die jungen Leute, Studenten und andere zeitgeschichtlich Interessierte.« Wieder deuten Hinweisschilder auf problematische Inhalte hin. »In den Büchern können Hakenkreuze und andere NS-Symbole abgebildet sein. Wenn Sie diese nicht lesen möchten, blättern Sie nicht in den Büchern, sondern lassen Sie die Bücher liegen.« Die Bücher sind nach den Kategorien Seekrieg/Marine, Luftkrieg, Vertreibung/Gefangene und Kriegstechnik sortiert, alles zum halben Preis zu haben. Davon, dass hier Neonazis einkaufen könnten, will die Verkäuferin nichts wissen. Die Käufer seien, die Dame wiederholt sich, »zeitgeschichtlich Interessierte«, und jeder müsse sich eben »sein eigenes Bild machen«. Drei Stände weiter gibt es eine SS-Uniform für 900 Euro. »Mein Kampf« liegt auf dem Tisch neben anderen NS-Devotionalien. Die Hakenkreuze auf den Orden und Medaillen sind an allen Ständen penibel abgeklebt. »Du machst hier keine Fotos. Ich habe den Platz gemietet und habe hier Stand­recht, dass das klar ist«, sagt der ältere Herr hinterm Tisch. Er wisse doch, wie das laufe. »Das kommt dann ins Inter­net, und ich erhalte prompt die Morddrohung. Alles schon vorgekom­men«, sagt er. »Ich sag’s dir so, wie’s ist, ich bin ein Rechter und du ein Linker, und du machst hier keine Fotos. Das hier ist alles Zeitgeschichte, also was willst du?« Er legt die Hände in die Hüften, und unter seinem Parka kommt ein Sweater mit der Aufschrift »Thule-Seminar« zum Vorschein. Zwanzig Meter weiter begutachtet ein Händler zusammen mit einem älteren Herrn konzentriert eine Hitlerbüste. Daneben wieder Bücher sowie Werkzeug aller Art. Zwischen Schraubenziehern, Zangen und Schlüsseln liegt ein dickes Buch mit buntem Schutzumschlag: »Kameraden von einst«. »35 Euro muss ich schon nehmen dafür«, sagt der zuvorkommende Verkäufer. Vor den Auslagen stehen immer wieder ältere Männer, die, sobald man sie anspricht, die Ware verstohlen auf den Tisch zurücklegen und im Gewühl verschwinden. An einem anderen Tisch liegen, umringt von schwarzen Schlüsselbändern mit NS-Parolen, zwei rostige Stahlhelme. Das Ensemble auf schwarzem Samt, gekrönt von einem blau-weißen Aschenbecher mit der Aufschrift »Deutschland erwache«, hat Ähnlichkeit mit einem Altar. Die Helme kosten 450 Euro pro Stück. Die Leute am Stand sehen mich skeptisch an, als ich den Verkäufer nach den Verkaufsaussichten befrage. Dass er wohl nicht hier stünde, wenn er das Zeug nicht zu dem Preis loswerde, antwortet er. Etwas weiter werden Möbel verkauft, aus den Siebzigern. Werner, der Verkäufer, trägt Sandalen, weite Baumwollkleidung und einen Vollbart. Ob es manchmal zu Konflikten zwischen Linken und Rechten komme, frage ich ihn. Er berichtet, dass Linke einmal einen ­Verkaufstisch umgeworfen hätten, von der ­Security ­festgehalten und von der Polizei abgeführt worden seien. Alles in allem sei es aber ruhig. Schließlich gehe es ums Geld. Anders als die meisten Verkäufer in der Halle kommt er selbst aus Leipzig. In den letzten zwei Jahren habe der Anteil an Händlern aus dem Westen stark zugenommen. »Etwa von 20 auf 80 Prozent«, weiß Werner. Das Geschäft mit den NS-Accessoires sei noch das lukrativste. »Die Händler nehmen einen riesengroßen Stress in Kauf. Die langen Wege hierher, die hohen Platzmieten hier drin, aufbauen, rumstehen, abbauen. Vermutlich fahren die vor allem auf den Kitzel ab, den richtig heißen Scheiß zu finden.« Im Gegensatz zum nicht überdachten Gelände finden sich in den Hallen kaum Artikel aus den Beständen der Sowjetarmee oder der NVA. »Wer sollte dafür auch Geld ausgeben wollen, hier im Osten?« fragt Werner. Wieder im Freien finde auch ich endlich etwas Brauchbares, einen Ventilator der Marke Ocean Air. Fünf Euro, wir werden uns schnell einig. Der Verkäufer, Mitte zwanzig, erweist sich als redselig. Seine Eltern hätten einen Trödelladen, verrät er. »Hier in Leipzig ist, was den Trödel, Nazis und den Krempel betrifft, zwar alles groß und mengenmäßig dementsprechend viel, aber doch alles in allem noch im Rahmen.« Wenn ich wirklich Neonazis sehen wolle, solle ich auf einen Markt nach Chemnitz fahren. Seine Mutter hat das Gespräch mit einem Ohr verfolgt und kommt hinzu. »Am ekelhaftesten finde ich die Fotoalben von Wehrmachtssoldaten, die hier überall verkauft werden«, sagt sie, woraufhin ihr Sohn wieder den Faden aufnimmt: »Ja, da sind dann Fotos eingeklebt, wo sie Juden erschießen und so, und drunter dann der Kommentar. So was kriegt man kaum noch und eben vor allem hier. Das meiste haben die Leute ja verbrannt, gerade in der DDR, damit das niemand findet.« Er jedenfalls bleibe lieber bei seinem Porzellan. Die Antifa sei hier noch nie aufgetaucht, sagt er noch, und seine Mutter fügt hinzu: »Von mir aus können die hier aufkreuzen und den ein oder anderen Stand kleinmachen. Hauptsache, ich stehe weit, weit weg.«