»Die Pressefreiheit ist immer gefährdet«

Hans Leyendecker

Jahrelang ließ der Bundesnachrichten­dienst (BND) kritische Journalisten bespitzeln und heuerte auch welche an, die Informationen über Kollegen lieferten. Noch ist das Ausmaß der Affäre nicht klar, ebenso unklar ist, wer die Überwachung angeordnet hat und ob sie nur auf die neunziger Jahre befristet war. Aufklärung verspricht der Bericht, den der Sonderermittler Gerhard Schäfer für das Parlamentarische Kontrollgremium angefertigt hat und der möglicherweise in dieser Woche veröffentlicht wird.

Einer der bespitzelten Journalisten ist Hans Leyendecker, früher Redakteur des Spiegel und seit 1997 bei der Süddeutschen Zeitung. Er hat in der Vergangenheit eine ganze Reihe von Affären aufgedeckt. Mit ihm sprach Deniz Yücel.

Was hat Sie mehr schockiert: Dass der Bundesnachrichtendienst Sie und andere Journalisten bespitzelt hat oder dass er sich dabei auch einiger Ihrer Berufskollegen bedient hat?

Mehr schockiert hat mich, dass der Berufsstand der Journalisten offenbar von Sumpfblüten durchsetzt ist, dass es also Kollegen gibt, die über Quellen spekulieren, die eigene Quellen offenbaren und die den Informantenschutz missachten.

Wer hat dem BND Informationen über Sie zugespielt?

Wilhelm Dietl hat viel erzählt, der Mann, der vom BND insgesamt 650 000 Mark für seine langjährige nachrichtendienstliche Tätigkeit bekommen hat. Auch andere haben spekuliert.

Hatten Sie jemals das Gefühl, beobachtet zu werden?

Man hat mich ja nicht beobachtet, sondern das zusammengetragen, was man über meine Quellen zu wissen glaubte – was alles Quatsch ist, weil ich nicht über Quellen rede. Und man hat zusammengetragen, was man für Redaktionsinterna des Spiegel hielt.

Beschattet gefühlt habe ich mich nie. Aber nachdem wir 1995 die Plutoniumgeschichte aufgedeckt haben, war uns allen klar, dass der BND versuchen würde, die undichten Stellen zu finden. Deshalb mussten wir bei den Quellen noch sorgfältiger vorgehen.

Sie haben immer wieder Informationen aus dem BND erhalten. Beruhen solche Kontakte zwischen Journalisten und Geheimdienstlern nicht immer auf der Grundlage von Geben und Nehmen?

Geben und Nehmen ist ein Problem, das sich für den gesamten Berufsstand stellt. Es existiert in allen Bereichen, in der Sportberichterstattung, der Wirtschaftsberichterstattung, überall. Und es gibt viele Arten zu geben: Indem ich einen Informanten lobe, gebe ich etwas; indem ich einen Tatbestand unterdrücke, gebe ich etwas. Dennoch muss man versuchen, mit möglichst sauberen Händen da herauszu­kom­men.

Wie macht man das?

Indem man bei dem Versuch, einen Zipfel der Wahrheit zu finden, niemals seine Unabhängigkeit aus den Augen verliert und sich nicht instrumentalisieren lässt, egal in welchem journalistischen Bereich man arbeitet.

Halten Sie es für möglich, dass auch andere Geheimdienste, beispielsweise der Verfassungsschutz, Journalisten observiert haben?

Dafür gibt es bisher keine Anhaltspunkte, und ich gehöre nicht zu denen, die Ver­schwörungstheorien verbreiten.

Wer beim BND war für die Bespitzelungen verantwortlich?

Im Prinzip liegt die Verantwortung stets bei der Amtsleitung, das gilt für alle Bereiche der Verwaltung. Im Einzelfall muss man überprüfen, was die jeweilige Amtsleitung zu welchem Zeitpunkt gewusst hat und was eigenmächtiges Handeln aus dem Apparat war. Aber auch dafür gibt es eine Verantwortung.

Glauben Sie, dass die Ausmaße des Skandals nunmehr als bekannt gelten dürfen oder rechnen Sie mit weiteren Enthüllun­gen?

Bei Nachrichtendiensten muss man immer damit rechnen, dass irgendwo eine Mine hochgeht. Daher kann man nicht ausschließen, dass es noch weitere Fälle gibt. Doch bislang ist alles überschaubar, und ich neige auch nicht dazu, Apokalypsen zu entwerfen.

Sollte der Ermittlungsbericht des früheren Bundesrichters Gerhard Schäfer veröffentlicht werden?

Ich bin dafür. Wenn man die Privatsphäre der Betroffenen achtet – und ich gehe davon aus, dass dies geschehen wird – bin ich für Offenheit. Journalisten, die für Informationsfreiheit kämpfen, können sich schlechterdings nicht gegen eine Offenlegung aussprechen.

Manche tun es dennoch. Der Publizist und Geheimdienstexperte Erich Schmidt-Eenboom will sich juristisch gegen die Veröffentlichung des Ermittlungsberichts wehren, weil er verhindern will, dass Details aus seinem Privatleben an die Öffentlichkeit gelangen.

Es hat auch jeder eine andere Vergangenheit.

Ist Ihr persönliches Vertrauen in die demokratischen Institutionen erschüttert worden?

Wenn Sie 57 Jahre alt und lange genug im Geschäft sind, kann Sie so etwas nicht erschüttern. Ich sehe eher ein Problem für den Bundesnachrichtendienst. Diese Affäre hat ihn wieder in die Welt der Schlapphüte zurückversetzt. Dabei war es ihm in der jüngsten letzten Zeit durch die Bekämpfung des Terrorismus, aber auch durch eine gewisse Öffnung nach außen gelungen, ein etwas anderes Image zu erreichen. Diese Reputation ist nun schwer angeschlagen.

Zu dem verbesserten Image des Bundesnachrichtendienstes gehörte auch eine oft wohlwollende, recht unkritische Berichterstattung.

Man muss sich die jeweilige Bericht­erstattung ansehen, das kann man nur im Einzelfall diskutieren. Wenn Sie von einer »unkritischen Berichterstattung« sprechen, denke ich, dass Sie dabei einen politischen Standpunkt vertreten. Meines Erachtens gab es zum Teil sehr gute Berichte und zum Teil sehr verheerende Berichte.

Ich meinte die allgemeine Tendenz, nicht einzelne Berichte.

Um zu beurteilen, ob eine Bericht­erstattung gut oder schlecht ist, muss man etwas vom Thema verstehen. Aber nur deshalb, weil die Berichterstattung der eigenen politischen Meinung nicht entspricht, ist sie nicht falsch. Ich bin immer dafür, sich an den Fakten zu orientieren und dann zu Urteilen zu kommen.

Was sagt diese Affäre darüber, wie es in Deutschland um die Pressefreiheit bestellt ist?

Die Pressefreiheit ist immer in Gefahr, sie ist immer durch staatliche Zugriffe gefährdet. Aber ein größeres Problem sehe ich in der inneren Pressefreiheit. Sie ist beispielsweise dann bedroht, wenn Zeitungen nicht darüber berichten dürfen, was bei Aldi oder bei Lidl vorgeht. Und was ist mit dem Zusammenwachsen von PR und Journalismus? Das sind die eigentlich neuralgischen Bereiche.

Natürlich gehören die Aktivitäten des BND ebenfalls auf die Agenda, natürlich muss man darüber reden, was hier passiert ist, muss man durchleuchten, was der BND gemacht hat und was Journalisten gemacht haben. Aber wenn wir eine Gesamtschau auf die Pressefreiheit machen, müssen wir das Augenmerk auch auf solche Fragen richten, nicht nur auf die exotischen Bereiche.

Woher rührt in anderen Fällen die Gefährdung?

Die Gefährdung entsteht dort, wo Journalisten versuchen, beim Rattenrennen um exklusive Nachrichten vorne zu sein; dort, wo Journalisten das Redak­tionsinteresse hinten anstellen und stattdessen gemäß den Wünschen der Anzeigenkunden schreiben, dort, wo es nur um Schnelligkeit und den scheinbaren Erfolg geht.