James Bond in Gießen

Brutale Eskalation in Gießen: Die Polizei setzte das MobileEinsatzkommando gegen vier Fahrradfahrer aus dem Freundeskreis der Projektwerkstatt Saasen ein. von jens herrmann

Im Namen des Volkers« lautet der Titel einer Internetseite, auf der fleißig Belege für den »Sicher­heitswahn« und die »Law-and-Order-Politik« des hessischen Innenministers Volker Bouffier (CDU) gesammelt werden. Sie dürfte ihm ebenso wenig gefallen wie einige Farbschmiereien an seiner Anwaltskanzlei in den vergangenen drei Wochen. »Polizeigewalt vertuschen: IM Gasser + seine Kanzlei« und »zwei Innenminister, eine Kanzlei«, war am 4. und 9. Mai in großen Lettern auf die Fassade der Kanzlei in der Gießener Innenstadt gemalt worden. Auch eine Fensterscheibe der Räume, die sich Bouf­fier mit dem thüringischen Innenminister Karl Heinz Gasser (CDU) teilt, ging zu Bruch. In einem Bekennerschreiben wurde den beiden Ministern unter anderem vorgeworfen, einen thüringischen Polizisten verteidigt zu haben, der während eines Einsatzes einen Menschen erschossen hatte.

Nachdem Polizisten des Landeskriminalamts dem linken Zentrum Projektwerkstatt Saasen bereits am Tag nach der ersten Schmiererei einen Besuch abgestattet hatten, bekam der als Kritiker Bouf­fiers bekannte Jörg Bergstedt am Morgen des 10. Mai eine eilig geschriebene Anordnung zum Haftantritt zugestellt. Das Land­gericht Gießen hatte ihn im vergangenen Jahr unter anderem wegen Sachbeschädigung und Verletzung eines Polizisten zu acht Monaten Haft verurteilt. Ende März 2006 war sein Revisionsersuchen vom Frankfurter Oberlandesgericht abgewiesen worden.

Die Körperverletzung soll nach Meinung des Landgerichtes stattgefunden haben, als die Polizei im Januar 2003 gewaltsam eine spontane Demonstration auflöste, die einen Wahlkampfstand Bouffiers gestört haben soll. Die Demonstration wiederum richtete sich gegen eine Hausdurchsuchung bei der Projektwerkstatt sowie die Festnahme von mehreren Personen aus ihrem Freundeskreis. Bergstedt bezeichnete die Auflösung der Demonstration als rechtswidrig und reichte deshalb eine Verfassungsklage ein.

Aus Protest gegen seine bevorstehenden Inhaftierung spielten am Abend des 14. Mai einige Angehörige der linken Szene Gießens unter den Augen der Polizei vor den Gebäuden der Staatsanwaltschaft und dem Gefängnis Badminton. In den frühen Mor­genstunden stellte ein Sonderaufgebot der Polizei vier Radfahrer, unter ihnen Bergstedt, die Badmintonschläger und Lebensmittel aus den Containern von Supermärkten bei sich hatten, auf filmreife Art und Weise. Ein Polizist sei aus dem fahrenden Einsatzwagen auf einen der Radfahrer gesprungen, woraufhin der Wagen frontal mit einem entgegenkommenden Auto zusammengestoßen sei, berichtete einer der vier.

Nach Informationen der Frankfurter Rundschau soll an der Polizeiaktion eine Einheit des »Mobilen Einsatzkommandos« beteiligt gewesen sein. Im Nachhinein habe selbst die Gießener Polizei in dem Einsatz der sonst auf Drogenbosse und Terroristen spezialisierten Polizeieinheit eine Unverhältnismäßigkeit erkennen können, schrieb die Zeitung. Zwar wurden dem Bericht zufolge keine belastenden Indizien gefunden, mit denen die Polizei eine Beteiligung der vier Personen an neuerlichen Farbschmiererein in jener Nacht hätte belegen können. Trotzdem kam der zuständige Amtsrichter der Forderung der Polizei nach und ordnete an, Bergstedt in der Justizvollzugs­anstalt Gießen festzusetzen. Die drei anderen Radler kamen frei.

Während sich die ermittelnde Staatsanwaltschaft in Gießen noch in Erklärungen versuchte, warum die entdeckten Graffiti den Politaktivisten aus der Projektwerkstatt zuzurechnen seien, trudelte ein Fax aus Karlsruhe ein. Das Bundesverfassungsgericht hatte den Haftantrittstermin in einer Eilentscheidung aufgehoben und befunden, zunächst müsse über die Verfassungsklage Bergstedts entschieden werden. Am Donnerstag kam er wieder auf freien Fuß.