Eng am Mann

Der Angriff auf den grünen Politiker Volker Beck am Rande einer Schwulenparade in Moskau ist kein Einzelfall. Rechtsextreme Gewalt gegen Schwule gehört in Russland zum Alltag. von ute weinmann

In Russland waren bislang noch fast alle Versuche zum Scheitern verurteilt, schwul-lesbische Themen aus den Clubs und Konzertsälen hinaus in die Öffentlichkeit zu tragen. Erst am 27. Mai 1993 wurde der Paragraf 121 des russischen Strafgesetzbuches abgeschafft, der für freiwillige sexuelle Beziehungen unter Männern eine Freiheitsstrafe von fünf Jahren vorsah. Im selben Jahr konnte eine Parade in St. Petersburg am Christopher-Street-Day nicht stattfinden, da sich die zuständigen Behörden weigerten, den Teilnehmern den nötigen Begleitschutz zu stellen. Im Jahr 2001 wurde das Verbot einer Parade in Moskau mit der Verletzung von religiösen Gefühlen begründet.

Bereits vor einem Jahr hat der Leiter des Projekts »GayRussia.Ru«, Nikolaj Aleksejew, für dieses Früh­jahr eine Parade angekündigt. Damals sprach sich der Moskauer Bürgermeister Jurij Luschkow vehement gegen die Genehmigung einer solchen Veranstaltung aus, und zwar mit dem Argument, er wolle die Interessen der Moskauer Bevölkerung schützen, die sich in ihrer Mehrheit gegen eine der­artige Demonstration ausspreche.

Dieser Meinung schlossen sich führende Vertreter der russisch-orthodoxen Kirche an. Dabei war nicht einmal eine jener skandalträchtigen buntfröh­lichen Gayparaden geplant, sondern eine schlichte und brave Demonstration für die Garantie der Grund­rechte von Homosexuellen. Doch schon dies verletzt den gesellschaftlichen Konsens der neun­ziger Jahre, der der schwul-lesbischen Community ein gewisses Maß an Freiheiten zugestand, wenn sie sich mit gesellschaftspolitischen Aktivitäten zurückhält. Wer seine sexuelle Orientierung nicht öffentlich zeigte, durfte sich im privaten Raum relativ ungestört ausleben. Zumindest galt dies für die Großstädte des Landes.

Um diese Ordnung nicht zu gefährden, sprach sich letztlich nur eine Minderheit der Szene für ein offensives Auftreten am 27. Mai aus. Auf der ver­botenen Protestkundgebung wurden schließlich 50 Personen verletzt, darunter der grüne Bundestagsabgeordnete Volker Beck.

Rechtlich gesehen hält das Verbot der Demonstration, das die Stadt Moskau aussprach, keiner Anfechtung stand. Daran bestehen ebenso wenig Zweifel wie an der homophoben Motivation des Bürgermeisters. Eine Tatsache ist jedoch auch, dass mittlerweile fast allen oppositionellen Demonstrationen in der Stadt die erforderliche Genehmigung versagt bleibt, und zwar unter immer absurder anmutenden Vorwänden. Wer auf sein Recht pocht, wird inzwischen schnell zum Gesetzesbrecher. Hinzu kommt, dass Protestierende und Ausländer vielfach nicht mehr vor Angriffen von Rechts­extremen geschützt werden. Die Polizei lässt den rechten Mob zuschlagen, erst dann greift sie ein. So überraschte es kaum, dass Beck am Rande der verbotenen Demonstration ungehindert von Rechten angegriffen werden konnte.

An den homophoben Ausschreitungen am 27. Mai beteiligte sich anscheinend vor allem der Teil der rechten Szene, der sich positiv auf die russisch-orthodoxe Kirche bezieht. Die Allianz aus verschiedenen Gruppen hat bereits Anfang des Monats erfolgreich zusammengearbeitet. Am späten Abend des 30. April blockierten etwa 200 rechtsextreme Skinheads und Anhänger der Kirche, darunter auch etliche Frauen im Rentenalter, den Eingang des Mos­kau­er Clubs Renaissance, in dem eine Gay­party angekündigt war. Zu Beginn sprachen die Versammelten lediglich Gebete, zündeten Kerzen an und schwenkten Heiligenbilder.

Doch nach und nach wurde die Stimmung durch den Alkoholkosum und die Anweisun­gen eines der Anführer der Russisch-Nationalen Union (RONS), die zu der Aktion auf­gerufen hatte, aufgeheizt. Er hielt die Anwesenden dazu an, undurchdringbare Menschenketten gegen die »perversen« Besucher des Clubs zu bilden. Schließlich flogen Flaschen und Steine, der Mob schlug auf das aus dem Gebäude fliehende Personal des Clubs mit Schlagstöcken, Kreuzen und Ikonen ein. Ein ähnliches Szenario an einem anderen Ort in Moskau konnte die Polizei am folgenden Tag gerade noch verhindern.

Auf der Internetseite der Russisch-Nationalen Union waren alle bekannten Veranstaltungsorte für schwul-lesbische Partys in der Zeit vom 30. April bis zum 9. Mai aufgeführt. »Aufklärungsarbeit über jene zu betreiben, die unsere Tradition, Moral und Sittlichkeit zerstören«, war zu lesen, sei die »Pflicht eines jeden Russen, und umso mehr eines jeden orthodoxen Gläubigen«.

Symptomatisch ist nicht nur die Beteiligung gewöhnlicher Kirchgänger, sondern auch von Priestern an den rechtsextremen Protesten. Vertreter der schwul-lesbischen Community forderten die Leitung der Kirche dazu auf, den Vorsteher einer Moskauer Kirche, Abt Kyrill Sacharow, seines Amtes zu entheben. Augenzeugen haben den Popen Anfang Mai vor den besagten Ausschreitungen bei der Segnung rechtsextremer Schläger beobachtet. Der Abt leugnete zwar weder seine Anwesenheit noch die Tatsache der Segnung an sich, behauptete jedoch, es habe sich um Mitglieder seiner Gemeinde gehandelt, die lediglich in persönlichen Angelegenheiten zu ihm gekommen seien.

In der Kirche stoßen die Aktionen des Abts indes nicht nur auf Zustimmung. Doch eine Maßregelung oder gar eine öffentliche Distanzierung von den gewalttätigen Protesten blieb bislang aus. Wäh­rend viele im Westen und speziell in Deutschland sich über die Polizeigewalt und den rechten Terror in Russland empören, bleibt es im Lande selbst ziemlich ruhig. Nicht nur weil die Gruppen am Rande der Gesellschaft sich keinerlei Sympathien in der Bevölkerung erfreuen, sondern auch weil es fast keine kritischen Medien gibt. Die Einschränkungen der freien Meinungsäußerung und gewalt­tätige Exzesse stellen längst keine Ausnahmen mehr dar.