Handke/Heine

Aus gegebenem Anlass, aber ich habe ihn nicht gegeben, ich habe ja nichts zu geben, und ich habe nichts zuzugeben. von elfriede jelinek

Was soll man sagen? Ich überlege, was ich zu Handke sagen könnte, während das Geheul und Gebell rund­herum anschwillt. Ich bin ver­sucht damit anzufangen, dass ich politisch in Bezug auf Serbien nicht seiner Mei­nung bin, dass ich das Ein­grei­fen fremder Mächte bei drohendem ­Völkermord, den ich damals am Balkan gesehen hatte, auch völkerrechtlich gedeckt fand und immer noch finde, aber schon das ist eine Falle, in die ich nicht laufen müsste, nicht einmal dürfte. Ich muss meine politische Position nicht darlegen, um meine Besorgnis über die wachsende hysterische Hetze gegen einen Dichter artikulieren zu dürfen. Auch sollte ich nicht eigens drauf hinweisen müssen, dass ich nicht seiner Mei­­nung bin, aber, nein, sterben wür­de ich für seine Meinung nicht, das muss nicht sein, es ­sterben schon viel zu viele, aber dass ich jedenfalls alles täte, damit er diese Meinung äußern darf.

Ich muss auch nicht darauf hinweisen, wie oft Heine seine politische Mei­­nung veröffentlicht – und wieder geändert – hat, mit großer Leidenschaft, und darauf kommt es an. Er hat den Kommunismus begrüßt, im Wissen, dass Leute wie er (und ihre Werke) die Ersten wären, die ihm zum Opfer fallen würden. Also da gibt es im Schrei­­ben immer das Trotz­dem. Und das Dazwischen. Und dort hinein haben wir uns zu begeben, auch wenn es dort eng wird. Indem wir erkennen, was für jeden einzelnen von uns notwendig ist zu sagen. Aber soll nicht mehr drin sein als das zu bejahen, was allgemein Konsens ist, das, was doch nicht zu ändern ist (»glücklich ist, wer vergisst!«) einfach zu übernehmen?

Was wäre das für ein Denken, ich meine ein Fortdenken im Hinblick auf das Hinschreiben, das nur im Hinblick auf ein feststehendes Ergebnis denkt und schreibt und nicht dagegen? Dagegen auch, wenn es weiß, dass es vielleicht falsch ist? Das, was von der Allgemeinheit ge­sagt wird und also gesagt werden muss (der berühmte Konsens über etwas), lässt dem Dichter keine Möglichkeit mehr übrig, etwas zu sagen, da alles schon ausgerechnet, zusam­men­addiert und saldiert ist. Das, was allgemein und der Allgemeinheit (und die Gemeinheit bereits enthält) gesagt werden muss, entscheidet nicht darüber, ob einem Dichter etwas zu sagen nötig scheint, und wäre es das absolut Unnötige, Überflüssige, Sinnlose. Der Dichter hat, was er zu sagen hat, zu sagen, weil es ihm notwendig ist, es zu sagen, aber er hat nicht das Notwendige zu sagen, sonst hätte er gar nichts mehr zu sagen. Sonst hätte er nur noch zu erledigen, was erledigt werden muss. Das ist zuwenig.

So, und jetzt darf ich mich endlich Handke und seiner Stellungnahme anschließen, die Lügen und Halbwahrheiten von der Rech­nung abziehen (die rote Rose auf Mi­losevics Sarg – also wirklich! Vielleicht macht man aus ihm noch einen Sargspringer wie in der großartigen US-Familienserie »Six Feet Under«!), die längst getätigten Klarstellungen noch einmal vom tiefen ins seich­te Wasser ziehen, damit man sie genauer sieht (Handke hat das alles selber längst rich­tig gestellt, vor allem den entsetzlichen Vergleich des Schicksals der Serben mit der Ver­nichtung der Juden), das hätte man alles längst nachlesen können. Was an dem, was er geschrieben hat, richtig zu stellen ist, ist nichts, denn er darf alles schreiben. Was an dem, was er gesagt hat, richtig zu stellen war, hat er getan. Mich hat immer gewundert und auch geärgert, dass Handkes Schlüssel­stück über das ehemalige Jugoslawien, »Die Fahrt im Einbaum«, in der Debatte kaum je erwähnt worden ist. Ich habe das Stück gelesen und die Aufführung in Wien (in der Regie Claus Peymanns) gesehen: In diesem Stück ist doch alles drin. Es ist doch alles gesagt. Da steht es ja. Es ist mehr (und gleichzeitig weniger) als alles gesagt.

Der Dichter sagt alles, indem er nicht alles sagt, und gerade darin ist alles gesagt. So kann ich mit Handke nur das Mindeste erwarten, was zu erwarten ist, nämlich möglichst alles zu lesen, was er in den letzten Jahren zum Balkankonflikt und seinen blutigen Kriegen, Nach­bar gegen Nachbarn, geschrieben hat. Lesen und dann reden, aber nicht hetzen. Sonst wagt man sich zu weit vor, und dann haben sogar die Hunde, die treuen, einen verlassen (ihr klagendes Gebell hört man allerdings noch lang), und die guten Geister verlassen einen auch irgendwann, und dann wird es nur noch geistlos.

Der Kommentar entstammt der Homepage der Autorin und wurde für uns geringfügig ­überarbeitet. Weitere Texte unter www.­elfriedejelinek.com