Oberschenkelhalsbruch

Selten war etwas so kaputt wie die englische Industrialband The New Blockaders. Ein Tributalbum widmet sich ihren besten Zerstörungen. von andreas hartmann

Terror ohne Ende. Hast du das hier durch, bist du fertig, kannst du dich einsargen lassen. Zwei Boxen, acht Platten, über 600 Minuten lang nur das: Schaben, Klopfen, Schleifen, Sägen, Hammer auf den Kopf. Klingt so, wie sich das Aufreißen von geronnenem Schorf anfühlt. Wie ausgerenkte Beinknochen, herauslappend aus der offenen Fleischwunde, mit dem Schleifpapier zu bearbeiten. Acht Platten lang Krach, Geräusch, ab­solute Kaputtheit. Herrlich.

Mit den beiden New-Blockaders-Gedächtnis­boxen »Viva Negativa I/ II« wird in ausufernder Weise einem Act gehuldigt, der in einem randständigen Genre ein krasser Außenseiter war. Die New Blockaders aus England schafften es nie, Szene-Ikonen des Industrial wie SPK oder Throbbing Gristle zu werden, sondern gelten bis heute als gut gehüte­tes Geheimnis. Ihre Anfang der achtziger Jahre erschienenen Platten kamen über eine Auflage von 100 Stück kaum hinaus, und wer eine dieser Originalpressungen besitzt, kann dank unverschämt hoher Sammlerpreise die anstehenden Probleme der Riester-Rente umgehen.

Die New Blockaders wurden, obwohl bis heute kaum mehr als ein Gerücht, immens einflussreich. Das muss so sein, denn sonst hätten sich kaum diese Massen von renommierten Klangkaputtmachern zusammentrommeln lassen, um für »Viva Negativa!« Klassiker der New Blockaders neu zu bearbeiten. Die Liste reicht von John Wiese über Thurston Moore von Sonic Youth bis hin zu einschlägigen Ver­tretern des Japan-Noise und Jim O’Rourke. Wenn die Brüder Richard und Philip Rupenus, die damals The New Blockaders bildeten, postum Ehrerbietung verlangen, so verneigen sich alle, so scheint es.

Von Musik kann hier nicht die Rede sein, nicht mal wirklich von Anti-Musik. Was bei den New Blockaders zählte, war vor allem die Einstellung. Noch radikaler, negativer, nihilistischer gewesen zu sein als alle anderen, sich den Ehrentitel »Weltmeister des Krachs« umhängen zu können, das hat für Respekt in einem Genre gesorgt, in dem das reine Störgeräusch, die Annäherung an das weiße Rauschen, gefeiert wird wie anderswo ein Refrain, der sich besonders gut mitgrölen lässt.

Richard und Philip Rupenus trieben es mit dem Anti-Alles auf die Spitze. Bei Geistesverwandten des Industrial wie Throbbing Gristle oder SPK gab es trotz des Willens zu Destruktivität auch Momen­te, in denen nicht alles Hass war, Discoeinflüsse gar, oder sogar Humor und Selbstironie. Bei den New Blockaders jedoch war alles ein riesengroßes und permanent wiederholtes Anti. Von »anti-news­pa­pers, anti-magazines, anti-books, anti-music« und noch einigen »Antis« mehr ist da die Rede in ihrem »Manifesto« aus dem Jahr 1982, das mit einer gehöri­gen Portion Vulgärfuturismus aufwar­tet, die Filippo Tommaso Marinetti stolz ge­macht hätte. Vom Ende der Geschichte ist da die Rede und vom Verlangen, die Zukunft augenblicklich in die Gegenwart zu versetzen. Damals gehörten derartige Anlehnungen an den futuris­tischen Ikonoklasmus aller­dings auch einfach dazu, und zur Industrial­folklore lassen sich auch so schön klingende Sätze zählen wie: »Schreibmaschinen sollen zu Pianos werden.«

Den New Blockaders war das permanente Suchen nach eigenen Ikonen, eigenen Antihelden, nach eigenen Vertriebsstrukturen, um die es vielen Kollegen des Genres ging, zu viel Brimborium, zu viel aufgeblasene Ge­genkulturkacke, schon wieder zu nah dran an Kunst und Kunstbetrieb. Sie verlangten nach der reinen Negativität, nach Totalblockade und verorteten sich in der Nähe der Kunst­verweigerungsbewegung Neois­mus. Alles sollte zerstört werden, damit etwas Neues kommt, aber wie das Neue dann konkret auszusehen habe, dieses Neue etwas genauer in ihrem »Manifesto« zu benennen, das wäre ihnen schon wieder zu konstruktiv ge­wesen.

Dass sich das Durchhören der opulenten »Viva-Negativa«-Boxen im Großen und Ganzen recht eintönig gestaltet, passt ins Konzept. Keiner der Bearbeiter hat versucht, die Grundidee der New Blockaders – Zerstörung – aufzugreifen und in etwas anderes zu über­führen. Da gibt es nicht irgendwo plötzlich einen Dancetrack oder etwas Ähnliches, es bleibt vielmehr ein schier endloses Brummen und Gesplitter, Track für Track klingt es eigentlich permanent so, als müsste man mal wieder seine Plattennadel auswechseln. Kaputtmachen im Geiste der New Blockaders ist eben auch heute noch eine bierenste Angelegenheit. Aber vielleicht lässt sich das ja auch anders sehen, irgendwie ist es ja auch ein echter Witz, ein paar vor 25 Jahren mit Bohrmaschinengeräuschen versehenen Platten, die zwei schlecht gelaunte Spinner mehr zum Privatvergnügen herausgebracht haben, heute Luxuseditionen für die Regalwand zu widmen.

Ein Witz ist es auch, dass im »Manifesto« Geschichtsschreibung noch als »Parasit« bezeichnet wurde, während »Viva Negativa!« nichts anderes im Sinn hat, als einen vergessenen Kult heute ins rechte Rampenlicht zu rücken. Ein Witz ist es auch, dass die Musik der New Blockaders in den Remixen ganz folgerichtig zerstört wird, also ganz im damaligen Geiste der Band gehandelt wird, dass dies aber letzlich nur der Beweisführung dient, wie stark eine neue internationale Noise-Gemeinde auf dem Zerstörungsgedanken alter Helden fußt. Auf die »Viva-Negativa!«-Boxen wäre Marinetti vermutlich nicht stolz gewesen.

Interessant ist jedoch vor allem ein weiterer Witz. Nämlich der, dass unheimlich viele der auf »Viva Negativa!« vertretenen Nachfahren der New Blockaders, anders als ihre Väter, nicht in den traurigsten Ecken der Obskurität gelandet sind, sondern nicht wenige von ihnen als anerkannte Klangkünstler gelten, von Stipendien zehren dürfen, in der Berliner Volksbühne auftreten, sogar, wie Thurston Moore, den Status eines Popstars genießen oder, wie Wolf Eyes, einer immer stärker wahrgenommenen neuen amerikanischen Noise-Szene angehören, die bereits feuilletontauglich ist.

Die »Kraft der Negation«, wie einmal ein Kongress in der Volksbühne sich nannte, lebt und brodelt mehr denn je. Sie drückt Unbehagen aus, lässt sich als widerständiges und großes Nein deuten. Speziell die US-Szene geriert sich als eine der politischsten Formen gegenwärtiger Popkultur überhaupt. Bands nennen sich USA Is A Monster, stellen sich freiwillig ins Abseits und ersparen einem trotz politischen Anspruchs viel zu oft von Politbands gehörte Parolen, Slogans und fade Auf­rütteltexte. Sie singen nicht über Abu Ghraib, son­dern klingen wie Abu Ghraib, singen nicht über Folter und Guantánamo, sondern klingen wie Fol­ter und Guantánamo.

Als Gutenachtmusik für Freunde des Splatterfilms wahrgenommen, hat dieser ganze Zahnarztbohrerkrach keine subversive Bedeutung mehr. Musikalisch ist das keine Avantgarde, sondern der Schocker von gestern. Aber als Massenbewegung, und bei einem beängstigend ausufernden Projekt wie »Viva Negativa!«, bekommt man wirklich das Gefühl, Noise könnte der Soundtrack einer neuen Internationale sein, wächst diese Unmusik vielleicht gerade zu etwas ungemein Bedeutendem heran. Doch bis es soweit ist, muss freilich erst mal die 500er-Auflage der limitierten Boxen verkauft werden.

The New Blockaders: Viva Negativa! I und II (2 mal 4 Vinyls), Vinyl On Demand